Lawrence von Arabien

Originaltitel
Lawrence of Arabia
Land
Jahr
1962
Laufzeit
218 min
Genre
Regie
Bewertung
von Matthias Kastl / 20. Juni 2010
"Ich liebe die neuen Medien" meinte Moderator Jon Stewart bei der Oscar-Verleihung 2008 und blickte dabei gebannt auf sein kleines iPhone. "Ich schaue gerade "Lawrence von Arabien"... einfach klasse" fügte er hinzu und das Publikum johlte. Kein Wunder, denn kaum einen Film verbindet man so eng mit der Idee des bildgewaltigen Epos, das nur auf der großen Leinwand seine wahre Kraft entfalten kann, wie David Leans ("Die Brücke am Kwai", "Doktor Schiwago") 218-minütiges Meisterwerk über das aufregende Leben des berühmten britischen Offiziers Thomas Edward Lawrence. Sieben Oscars gab es 1963 für das Wüstenepos, darunter die Auszeichnungen für den besten Film, die beste Regie und die beste Kamera. Im kollektiven Gedächtnis der Zuschauer und der Filmgeschichte blieben dabei vor allem die atemberaubenden Aufnahmen der arabischen Wüstenlandschaft, und so schwärmen die meisten Menschen auch noch heute in erster Linie von den majestätisch anmutenden Sanddünen, der berühmten Fata Morgana-Szene oder dem mitreißenden Angriff auf die Küstenstadt Akaba.
Doch bei all der Bewunderung für die auch noch heute spektakulär wirkenden Bilder darf nicht vergessen werden, dass "Lawrence von Arabien" noch viel mehr zu bieten hat. Der Film ist nämlich auch ein großartiges Beispiel für eine sich perfekt ergänzende Besetzung aus alten Haudegen und unbekannten Newcomern, und besitzt nebenbei auch noch ein grandioses Drehbuch mit einigen der geschliffensten Dialoge und eine der wohl schillerndsten Hauptfiguren der Filmgeschichte. Mit anderen Worten, Vorhang auf für ein weiteres Meisterwerk der Filmkunst.

Es ist die faszinierende Lebensgeschichte des britischen Offiziers Thomas Edward Lawrence, der im ersten Weltkrieg an vorderster Front den Aufstand der Araber gegen das Osmanische Reich unterstützte, die David Lean dabei als Vorlage diente. Gleich vorneweg, die Betonung liegt dabei natürlich auf "Vorlage", denn zu Gunsten der Dramatik hat sich Hollywood ja schon immer gerne ein paar künstlerische Freiheiten genommen, und das ist auch in diesem Fall nicht anders. Die wichtigsten Eckpfeiler der wahren Ereignisse blieben allerdings erhalten, und so wird auch im Film der aufstrebende Lawrence (Peter O'Toole) von seinen Vorgesetzten auf die arabische Halbinsel gesandt, um dort den arabischen Führer Prinz Faisal (Alec Guiness) zu einem Aufstand gegen das Osmanische Reich zu überreden - natürlich im Interesse der britischen Krone. Getrieben von seinem unbändigen Ehrgeiz und einer schon fast naiven Liebe zur Wüste übernimmt Lawrence dabei schnell eine aktive Rolle in diesem Kampf und sieht sich, dank eindrucksvoller militärischer Erfolge, schon bald als Befreier und neuer Führer der arabischen Welt. Die Bewunderung, welche ihm viele seiner arabischen Mitstreiter, darunter auch sein engster Freund Sherif Ali (Omar Sharif) nun entgegenbringen, verstärkt diesen Eindruck nur noch bei ihm. Prinz Faisal und auch der mit Lawrence kooperierende Stammesführer Auda abu Tayi (Anthony Quinn) sehen die Heldentaten des selbstverliebten "Retter Arabiens" dagegen mit einem deutlich skeptischeren Blick. Beiden ist klar - lange wird das so bestimmt nicht gut gehen.

Omar Sharif hat es einmal wundervoll auf den Punkt gebracht. Es sei ein Wunder, dass dieser aufwendig produzierte Film überhaupt entstanden ist, schließlich hatte er keine großen Stars und keine Liebesgeschichte, dafür aber reichlich Araber und Kamele. Keine Liebesgeschichte ist dabei noch untertrieben, in "Lawrence von Arabien" gibt es nicht einmal eine einzige weibliche Sprechrolle. Wohlgemerkt, wir reden hier von 218 Minuten Film. Doch glücklicherweise spielt die Filmgeschichte den scheinbar festgeschriebenen Gesetzen des Marktes eben manchmal einen Streich und es entstehen trotz widrigster Umstände cineastische Meilensteine, die noch Generationen von Zuschauern zu verzaubern wissen.
Dass dem auch noch heute so ist, ist allerdings einer aufwendigen Restaurierung Ende der 80er Jahre zu verdanken, bei der nicht nur die in die Jahre gekommene Bildqualität des Films verbessert wurde, sondern auch einst herausgeschnittene Szenen wieder hinzugefügt und mit der Hilfe der Originaldarsteller sogar neu synchronisiert wurden. So liegt "Lawrence von Arabien" also nun vor uns in all seiner Pracht - mehr als drei Stunden pure Kinomagie.

Auch nach fast 50 Jahren wirken die Bilder, die Kameramann Freddie Young in der Wüste eingefangen hat, dabei noch immer wie ein Märchen aus 1001 Nacht. Kamele stolzieren elegant riesige Sanddünen hinauf, einzelne Reiter verlieren sich in den scheinbar bis in die Unendlichkeit reichenden Ebenen oder stoßen auf farbenprächtige Oasen. Wer als Zuschauer vom Kino in ferne und exotische Länder entführt werden möchte, bitte schön, kaum ein Film erreicht dieses Ziel eindrucksvoller als "Lawrence von Arabien". Dabei nutzt Regisseur David Lean die ganze visuelle Bandbreite der Wüste, und zeigt uns eben nicht nur Dünen und Oasen, sondern auch spektakuläre Felsenlandschaften und, zum ersten Mal in der Geschichte des Kinos, eine wahrhaftig gefilmte Fata Morgana.
Doch den optischen Reiz des Films auf seine Wüstenszenen zu reduzieren wäre ein Fehler. Denn, und da zeigt sich die wahre Kunst des Filmemachens, in "Lawrence von Arabien" versprüht auch noch das kleinste Set ein wahrlich episches Flair. Das liegt zum einen an dem ebenfalls Oscar-prämierten und detailgetreuen Set-Design, zum anderen aber auch an der wohl größten Stärke David Leans: seinem einfach unglaublichen Gespür für Bildkomposition. Man sollte einfach mal darauf achten, wie der britische Regisseur innerhalb der Szenen seine Schauspieler durch den Raum "navigiert", nämlich genau von einer perfekten Bildkomposition zur nächsten. Das Ergebnis: Jede Einstellung ist ein kleiner Genuss, ob nun weitläufige Wüstenlandschaft oder eine Gesprächsrunde in einem kleinen Zelt. Die gleiche Sorgfalt legten die Macher dabei auch auf die Übergänge zwischen den einzelnen Szenen, bei denen zum Beispiel von einem ausgeblasenen Streichholz wundervoll auf einen morgendlichen Sonnenaufgang geschnitten wird.

Ein visuelles Meisterwerk in jeglicher Hinsicht also, keine Frage, doch bei all den überschwänglichen Komplimenten, die der Film dafür in den letzten Jahrzehnten erhalten hat, vergisst man leicht, dass unter der prachtvollen Verpackung noch eine Menge weiterer bewundernswerter Arbeit zum Vorschein kommt. Steven Spielberg meinte einmal, dass Robert Bolt und Michael Wilson für nichts anderes verantwortlich sind als das wohl beste Drehbuch, welches je für die Kinoleinwand geschrieben wurde. Das nennt man mal ein Kompliment. Es ist aber auch wirklich zu beeindruckend, was die beiden aus der ja sowieso schon so faszinierenden Lebensgeschichte von T.E. Lawrence machen. Nämlich eine der wohl längsten Charakterstudien der Filmgeschichte.
In den 218 Minuten gibt es so gut wie keine Szene in der Lawrence nicht vorkommt, und das Drehbuch nutzt jede Sekunde davon um den Wahn, die Sucht nach Anerkennung und die Zerrissenheit dieser Figur herauszuarbeiten. Anstatt Lawrence einfach als einen besessenen und machtgeilen Offizier zu portraitieren, verleiht ihm das Drehbuch Tiefe und lässt ihn immer wieder an sich selbst zweifeln. Doch immer wenn ihm Skrupel an der eigenen, oft sehr blutigen Rolle in diesem Krieg kommen, wischt er diese beiseite oder wird von Außenstehenden zum weitermachen ermuntert. Dabei wird aber offensichtlich, dass Lawrence auch nur zu dankbar dafür ist, wenn diese Zweifel wieder fort sind und er weiter seine Heldenrolle spielen darf. Einfach klasse, wie so auf intelligente Weise die verführerische Kraft von Macht und Ruhm am Beispiel eines einzelnen Mannes veranschaulicht wird.
Immer wieder entlarvt das Drehbuch dazu auch noch auf wundervolle Art die oberflächliche Selbstverliebtheit des selbsterklärten Befreiers von Arabien. Wenn Lawrence nach einer großen Heldentat einen glamourösen weißen Umhang geschenkt bekommt und sich heimlich an seiner eigenen Pracht ergötzt, ist es ausgerechnet ein kleiner Junge, der ihm daraufhin wieder den Boden unter den Füßen wegzieht. Oder wenn Lawrence, berauscht an seinen eigenen Fähigkeiten, auf halsbrecherische Weise einen seiner Untertanen aus höchster Not rettet, dann folgt wenig später ein Ereignis, welches diese Tat dann wieder vollkommen ad absurdum führt. Das ist einfach brillant geschrieben und ganz großes Kino, da darf man sich ruhig einmal vor dem Autorenteam verneigen. Vor allem weil dieses auch noch ein weiteres Ass im Ärmel hat, nämlich einen ganzen Haufen erstklassiger Dialoge. Jedes Wort ist hier geschliffen und insbesondere Prinz Faisal wird gleich mit einem ganzen Arsenal an intelligenten und wohlgeformten Weisheiten ausgestattet. Wie so oft bei älteren Filmen wirken diese zwar manchmal sehr theatralisch, doch genau das verleiht ihnen eine Eleganz, die man von heutigen Produktionen kaum noch kennt.

Doch auch den besten Dialogen muss erst einmal Leben eingehaucht werden und "Lawrence von Arabien" ist einer dieser Fälle, bei denen man sich einfach kaum vorstellen kann, wie andere Schauspieler als die auserwählten das auf die gleiche Weise hätten bewerkstelligen sollen. Was dabei besonders fasziniert, ist der Mut der Produzenten sich gleich für zwei Newcomer zu entscheiden und einem von ihnen sogar die so dominante Hauptrolle zu geben. Peter O'Toole und Omar Sharif gelangten so beide über Nacht zu Weltruhm und insbesondere der britische Theatermime hat sich mit dieser Rolle gleich ein filmisches Denkmal gesetzt. Es sind nicht einfach nur die intensiven blauen Augen, die blasse Haut und die etwas arrogante Ausstrahlung, die O'Toole erlauben, Lawrence als eine so illustre Figur im Kreise der Araber zu etablieren. Nein, es sind vor allem die Momente des Wahns, der Verzweiflung und der Zerrissenheit, in denen O'Toole zu Höchstform aufläuft und den Zuschauer noch stärker ans Geschehen bindet.
Auch Omar Sharif hat seine stärksten Momente dann, wenn seine Figur vor Leidenschaft strotzt und sich nur schwer im Zaum halten kann. Diesen beiden jungen Wilden stellte David Lean nun, und das ist wirklich clever, gleich eine ganze Reihe an älteren und sehr erfahrenen Schauspielern zur Seite. Anthony Quinn und vor allem Alec Guiness (der spätere Obi-Wan Kenobi) brillieren als weise Anführer ihrer Stämme, und mit Claude Rains ("Casablanca") und Jack Hawkins ("Ben Hur") wird das britische Hauptquartier gleich mit zwei weiteren erfahrenen Schauspielhaudegen ausgestattet. Den besten Eindruck von allen macht dabei Guiness, dessen stilvolles Spiel ein wahrer Genuss ist. Wenn Guiness als Faisal das Kriegstreiben von Lawrence leicht süffisant mit "Die Jugend führt die Kriege, wir Alten kümmern uns dann um die Friedenspläne" kommentiert, dann wünscht man sich, dass sich manch deutsche Politiker mal von soviel Klasse und Stil eine große Portion abschneidet.

Klasse ist auf jeden Fall das richtige Wort für dieses Meisterwerk in Überlänge, das eben mehr ist als nur eine Ansammlung beeindruckender Bilder. Was aber an einem trotzdem nichts ändert: auf einem iPhone hat dieser Film überhaupt nichts verloren.


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