Harry & Sally

Originaltitel
When Harry met Sally...
Land
Jahr
1989
Laufzeit
96 min
Regie
Bewertung
von Heide Fuhljahn / 20. Juni 2010

 

Auch wer "Harry & Sally" noch nie gesehen hat, kennt meist trotzdem die bekannteste Szene des Films, in der Sally in einem vollbesetzten Restaurant Harry einen Orgasmus vorstöhnt, um ihm zu beweisen, dass er den Unterschied zu einem echten nicht erkennt.
Der perfekt vorgetäuschte Orgasmus ist nur einer der Höhepunkte eines Films, mit dessen riesigem Erfolg 1989 nicht einmal die Produzenten gerechnet hatten. Ende der 80er belegten die neuen, tricktechnisch aufwändigen Action-Blockbuster wie "Indiana Jones" oder "Batman" die vorderen Plätze von Zuschauergunst und Einspielergebnissen, romantische Komödien gehörten nicht dazu. Zur Überraschung aller spielte der Film nach seiner Uraufführung fast 100 Millionen Dollar ein und katapultierte die Darsteller ebenso wie Autorin Nora Ephron (die beim geistigen Nachfolger "Schlaflos in Seattle" dann selbst Regie führte) und Regisseur Rob Reiner in den Hollywood-Olymp.

Harry Burns (Billy Crystal) trifft Sally Albright (Meg Ryan) das erste Mal 1977 in Chicago, von wo aus sie als Zweckfahrgemeinschaft zusammen mit dem Auto nach New York fahren. Mit 18 Stunden Zeit im Gepäck beginnt bald eine "Erzähl mir deine Lebensgeschichte"-Unterhaltung, bei der sich schnell ihre unterschiedlichen Auffassungen über Liebe, Sex und alles andere auch offenbaren. Als Harry Sally anmacht, hat sie kein Interesse und will nur befreundet sein, doch laut Harry ist zwischen Männern und Frauen keine Freundschaft möglich, da ihnen immer der Sex dazwischen kommt. So trennen sich ihre Wege in New York, um sich zufällig fünf Jahre später am Flughafen wieder zu kreuzen. Harry will gerade Helen heiraten, und auch Sally ist ernsthaft gebunden, doch ansonsten fehlt es ihnen nach wie vor an jeglichen Gemeinsamkeiten, und am Ende des gemeinsamen Fluges trennen sich ihre Wege erneut. Ende der 80er begegnen sich die beiden erneut in einem Buchladen. Helen hat sich kurz zuvor von Harry scheiden lassen, und Sally hat sich von ihrem Freund getrennt. Der perfekte Zeitpunkt für eine Beziehung? Weit gefehlt: Zwischen ihnen entwickelt sich langsam eine intensive Freundschaft, die systematisch Harry's Anfangsthese von der Unmöglichkeit eben so einer Beziehung zwischen Mann und Frau demontiert. Oder vielleicht doch nicht?

"Harry & Sally" konzentriert sich auf die Geschichte seiner Hauptdarsteller und vermeidet so Verwässerungen oder klischeehafte Handlungsstränge, die in dieser Sorte Film ansonsten unermüdlich aufgewärmt werden (sie verlieben sich - tragischer, folgenreicher Irrtum - doch: Happy end). Zwar gibt es einen Subplot in der Geschichte ihrer Freunde Marie (Carrie Fisher) und Jess (Bruno Kirby), jedoch liegt der Fokus auf der Entwicklung der Beziehung zwischen Harry und Sally, die dann auch wesentlich interessanter und vielschichtiger ausfällt als die handelsübliche RomCom-Ware und problemlos einen ganzen Film füllen kann, ohne dabei von einem halben Dutzend versponnener Nebencharaktere unterstützt werden zu müssen.
Eine der Stärken des Filmes ist das Casting. Der damals vor allem als Stand-up Comedian bekannte Billy Crystal verkörpert in seinem trockenen Mienenspiel perfekt den ständig witzelnden, oft selbstherrlichen und überheblichen Harry, der einem trotzdem ans Herz wächst. Meg Ryan stellt wie keine Zweite die heitere, aber leicht neurotische Sally dar, die erst spät ihre verwundbare Seele offenbart. Sie war sogar so gut in ihrer Rolle, dass sie zum Inbegriff der weiblichen Hauptdarstellerin in romantischen Komödien wurde und von diesem "Type casting" nicht wieder weg kam. Die Sehnsucht der Fans nach noch mehr Meg Ryan wurden in zahlreichen ähnlichen Filmen ("Schlaflos in Seattle", "French Kiss", "E-Mail für Dich") erfüllt, die sich letztlich aber nie aus dem Schatten ihres großen Vorbilds befreien konnten. So kann "Harry & Sally" - nicht nur durch die Kreierung des Mythos Meg Ryan - getrost als Mutter aller RomComs der Neunziger betrachtet werden. Denn bis heute versucht jeder Autor des Genres die pointierten, geistreichen Dialoge Nora Ephrons (die für ihr Drehbuch eine Oscar-Nominierung erhielt) zu kopieren, die in seltener Brillanz die Eigenarten von Männern und Frauen einzufangen wissen und das Tüpfelchen auf dem i für diesen grandiosen Film bilden. Eine Kostprobe:

Harry: Shel. Sheldon? No, no. You did not have great sex with Sheldon.
Sally: I did, too.
Harry: No, you didn't. A Sheldon can do your income taxes. If you need a root canal, Sheldon's your man, but humpin' and pumpin' is not Sheldon's strong suit. It's the name. 'Do it to me, Sheldon.' 'You're an animal, Sheldon' 'Ride me, Sheldon'. It doesn't work.
Waitress: What can I get you?
Sally: I'd like the chef salad, please, with the oil and vinegar on the side. And the apple pie a la mode …. But I'd like the pie heated, and I don't want the ice cream on top. I want it on the side. And I'd like strawberry instead of vanilla if you have it. If not, then no ice-cream, just whipped cream, but only if it's real. If it's out of a can, then nothing.
Watress: Not even the pie?
Sally: No, just the pie. But then not heated.

Harry's Aussage zu Mann/Frau-Beziehungen (‚Men and women can't be friends because the sex part always gets in the way') wurde zu dem Thema in Magazinen, Talk-Shows, Abendessen und Schlafzimmern. Dass der Film keine eindeutige Antwort gibt, ist einer der feinen Unterschiede, die ihn mit seinen ebenso gewöhnlichen wie besonderen Figuren aus der Masse des Genres herausheben.

"Harry & Sally" ist ein cineastischer Hochgenuss, das Sahnehaupt seiner Klasse, welches auch etliche Jahre später noch uneingeschränkt überzeugt und längst zum Klassiker geworden ist. Ähnlich wie bei den Sketchen von Loriot sind Passagen und Dialoge des Films ("Was du nicht sagst. Dieses Symptom vögelt gerade meine Frau") ins ständige Repertoire seiner Zuschauer übernommen worden. Eine derart sorgfältige und liebevolle Gestaltung eines Films von Anfang bis Ende findet sich heute noch selten, zuletzt vielleicht gesehen in "Besser geht's nicht".
Wer also den Film tatsächlich noch nicht kennt, dem sei dieser nicht nur wegen der legendären Orgasmus-Szene wärmstens empfohlen, und allen Fans, soweit noch nicht gesehen, die amerikanische Originalversion - sie ist noch ein bisschen besser.


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