Dies ist nicht der erste Kinofilm, der die Ereignisse
vom 11. September 2001 aufarbeitet, wie vielerorts geschrieben wird.
Das taten auch schon Max Färberböcks "September"
oder der wesentlich gelungenere "The
Guys" mit Sigourney Weaver. In diesen Filmen ging es allerdings
um den persönlichen Umgang von mehr oder weniger Betroffenen
mit den Auswirkungen der Terroranschläge. "Flug 93"
ist aber in der Tat der erste Spielfilm, der sich direkt den Geschehnissen
dieses denkwürdigen Tages widmet. Und allein diese Tatsache
ließ bereits im Vorfeld bei vielen ein eher mulmiges Gefühl
aufkommen, zumal er sich schwerpunktmäßig den Passagieren
des einzigen der gekaperten Flugzeuge widmet, welches sein Ziel
nicht erreichte. Die noch in frischer Erinnerung befindliche Katastrophe
als Hollywood-Schmonzette? Aufrechte amerikanische Helden im todesmutigen
Kampf gegen menschenverachtende Teufel? Darf man das jetzt schon
und darf man es überhaupt?
Wer die letzte Frage grundsätzlich verneint, für den erübrigt
sich jede weitere Diskussion über diesen Film und damit eigentlich
auch das Weiterlesen. Allen, die noch dabei sind, sei aber gesagt:
Was auch immer man mit gutem Grund an Bedenken haben durfte, sie
waren letztendlich unbegründet. Denn "Flug 93" ist
ein beeindruckender Film, dem das fast unglaubliche Kunststück
gelingt, all die Fehler zu vermeiden, die viele von solch einer
Produktion erwarten.
Der Zuschauer verfolgt in Echtzeit die Ereignisse des 11. September
in den Stunden zwischen 8 und 10 Uhr morgens. Er begleitet dabei
den Flug der United Airlines-Maschine vom Einsteigen der Passagiere
bis zum Absturz auf einem Feld in Pennsylvania. Aber auch die in
dieser Zeit erfolgten Anschläge der anderen entführten
Flugzeuge auf das World Trade Center und das Pentagon werden ausführlich
geschildert, und zwar aus
der Sicht der beteiligten Fluglotsen, Militär- und Sicherheitskräfte.
Da zahlreiche Diensthabende dieses Tages sich im Film selbst spielen
und es sich zudem um eine Präsentation der verfügbaren,
zusammen gesammelten Daten und Informationen handelt, ist "Flug
93" in letzter Konsequenz also doch kein Spielfilm im klassischen
Sinn, sprich eine fiktive Adaption der Ereignisse, sondern eher
ein Zwitter, der eben auch stark mit den Mitteln des Dokumentarfilms
arbeitet.
Ohne die dort üblichen Einblendungen von Namen, Statements
und Erklärungen der Beteiligten allerdings, so dass sich beim
Betrachter ein durchgehendes Gefühl von Chaos und Unübersichtlichkeit
einstellt. Und das ist sicher auch genauso beabsichtigt, denn wer
sich aus der überheblichen Distanz schon immer gefragt hat,
wieso es so lange dauerte, bis man bei den Entscheidungsträgern
endlich reagierte, bis die Flughäfen geschlossen und die Abfangjäger
in der Luft waren, der bekommt die Gründe dafür hier anschaulich
demonstriert: Unglaubliche Überraschung über das Ausmaß
der Attentate, Verwirrung über die Anzahl der tatsächlich
entführten Maschinen, verzweifelte Versuche zu reagieren, Kompetenzgerangel
und vereinzelte Entscheidungskraft, sowie die in den entscheidenden
Minuten absolute Nutzlosigkeit des Militärs. Später dann
die Passagiere von UA Flug 93, die Stück für Stück
erkennen, dass sich ihr Flugzeug in der Hand von arabischen Terroristen
befindet, die keine Forderungen stellen werden, sondern nur den
Heldentod vor Augen haben.
Wer
den Regisseur und Drehbuchautor Paul Greengrass nur von seinem größten
kommerziellen Erfolg "Die Bourne
Verschwörung" kennt und nun vermutet, hier hätte
ein reiner Action-Regisseur das Steuer in der Hand, der irrt. Greengrass
gewann für seine politisch und sozial ambitionierten Filme
bereits zahlreiche Preise in seiner britischen Heimat, am bekanntesten
ist bei uns sein Nordirland-Drama "Bloody Sunday". Er
entschloss sich vor drei Jahren diesen Film zu machen, bekam ein
moderates Budget zusammen, vergewisserte sich der Zustimmung der
Hinterbliebenen und besetzte sämtliche Rollen mit unbekannten
Gesichtern, um auch nicht den kleinsten Ansatz für ein Starvehikel
zu liefern.
Ansonsten ist all das bemerkenswert an seinem Film, was er nicht
tut. Er manipuliert den Zuschauer nicht, indem er ihn mit den Beteiligten
vertraut macht, ihnen eine kurze Vorgeschichte verpasst oder uns
ihr Umfeld zeigt. Diese Menschen an Bord des Flugzeuges kannten
sich vorher nicht und wir kennen sie auch nicht, es erfolgt keine
Konzentration auf zwei oder drei sympathische Hauptfiguren. Innerhalb
weniger Minuten werden Informationen ausgetauscht und die Entscheidung
getroffen, etwas zu unternehmen; eine Entscheidung, die im kleinen
Kreis erfolgt und mit der sicher auch nicht alle Passagiere einverstanden
waren. Es gibt eine Handvoll mutiger und einen Haufen verzweifelter
Menschen. Zu überlebensgroßen Helden verklärt Greengrass
sie dabei nicht, genauso wenig wie er die Entführer als emotionslose
Bestien verteufelt. Diese schwitzen mindestens genauso wie ihre
Opfer, sind sich uneinig über den richtigen Zeitpunkt ihres
Angriffs und geraten in Panik als sie erkennen, dass ihre Aktion
zu scheitern
droht. Man nimmt ihnen richtigerweise nicht ihre Menschlichkeit,
auch wenn sie unmenschliche Dinge tun, und es wird deutlich, dass
sie das was sie da tun, tatsächlich für das Richtige halten.
Und auch den passenden Augenblick für das Ende dieses Dramas
findet der Regisseur, indem er sich genau dann ausblendet, wenn
es angebracht ist.
All die üblichen billigen und vordergründigen Mätzchen,
mit denen man sonst gerne das Publikum einnimmt, werden also unterlassen.
Nun gut, nicht alle, denn ein bisschen dramatische Musik wird dann
doch eingesetzt und natürlich schafft allein die Auswahl dessen
was gezeigt wird letztendlich doch fast zwangsläufig eine eigene,
subjektive Dramaturgie. Doch trotz des Verzichts auf so viele klassische
Versatzstücke fehlt diesem Film nichts, trotz seiner Sachlichkeit
hat er eine Seele. Dafür genügt allein das Wissen um die
grausame Realität des Gezeigten, vor allem das um den bitteren
Ausgang.
"Flug 93" ist ein unglaublich intensives Erlebnis, ein
Film den man trotz seiner Qualität nicht "genießen"
kann, den man eigentlich nicht spannend finden will, obwohl er es
zweifellos ist. Ein Film, der einen jedenfalls nicht kalt lässt
und der so viel schlechter und schlimmer hätte ausfallen können,
stattdessen aber ein beeindruckendes Werk geworden ist. Dass er
bisher nur in den Medien und der öffentlichen Aufmerksamkeit
ein Ereignis ist und nicht an den Kinokassen lässt vermuten,
dass viele wohl doch lieber auf die "Pearl Harbour"-Version
dieser Ereignisse warten. Möge sie niemals kommen.
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