Dies ist Schultzes Geschichte. Und sie führt den Zuschauer in einen kleinen anhaltinischen Ort nahe der Saale, nur ein wenig südlich von Berlin. Auf dem Bahnwärterhäuschen ist der Schriftzug mit dem Dorfnamen schon so vergilbt, dass nicht mal Durchreisende erkennen, an welchem Ort sie gerade nicht anhalten. Abgesehen von ein paar bunten Reklame- und Firmenschildern oder dem Chinesischen Imbiss, ist von der ersten Wende-Euphorie nichts übrig geblieben. In Teutschendorf bröckelt es an jedem Haus und in jeder Seele. Dieses weite Land ist geprägt von einer tiefen Melancholie. Einzig die emporstrebenden Windräder und die großen Abraum-Berge, Wahrzeichen der untergegangenen Bergbau-Epoche, scheinen dieses Bild für einen Augenblick durchbrechen zu können.
Doch Schultzes Geschichte, wie sie bisher verlief, verändert sich: Sein Leben unter Tage - dem er seinen chronischen Husten verdankt - endet heute. Schultze (Horst Krause) wird in den Vorruhestand geschickt. Ebenso wie seine langjährigen Bergbau-Kumpels Manfred (Karl-Fred Müller) und Jürgen (Harald Warmbrunn). Was ihnen nun bleibt sind die ausgedehnten Kneipenbesuche, das Angeln, die mäßig-professionellen Schachspiele und wieder die Kneipe. Und nicht zu vergessen, die hübschen Nachmittage in Schultzes Schrebergarten zwischen seinen Gartenzwergen und den Gattinnen der Kumpels. Die Gartenzwerge bleiben stumm, Schultze wird immer schweigsamer, nur sein Akkordeon wiederholt die selbe Polka, die schon sein Vater vor dem Teutschendorfer Heimat-Musikverein gespielt hat.
Eines Abends entdeckt Schultze durch sein kleines Radio fremdes Leben hinter dem Kali-Berg. Verwegene Südstaaten-Musik dringt da aus dem Lautsprecher direkt in Schultzes müden Kopf. Einen Moment bevor die Routine und das Selbstmitleid seinen Alltag dominiert hätten, entlockt er jetzt seinem polka-geschundenem Akkordeon feurig-mitreißende "Cajun"-Klänge. Die Jubiläumsfeier des örtlichen Musikvereins steht an. Schultze kennt die Traditionen und seine Pflicht. Für die anderen Hobby-Musiker würde Schultzes "Negermusik" schlicht die Regeln des gewohnten Geschmacks sprengen. Also steht Schultze vor der Wahl, wieder zurück ins ‚Loch' zu fallen, oder als einsamer Dorf-Sonderling zu enden. Er fällt eine Entscheidung, die ihn weit von seinen anhaltinischen Windrädern fort, und bis tief in die Sümpfe und die Bayous von Louisiana führen wird...
"Schutze gets the Blues" ist ein poetischer Film mit Widerhaken. Seine traurigsten und bizarrsten, seine schönsten und strahlensten Momente; all die einzigartigen Aufnahmen verdankt der Film der detailgenauen Recherche und den exquisiten Kenntnissen seiner Macher vom anhaltinischen Land und seinen Leuten. Hier setzt Regisseur Michael Schorr seine Ideen so exzellent wie konsequent um, indem er Orte und Situationen fotografisch streng komponiert. Wir sehen ein Dorf am Rand des Zerfalls in all seiner morbiden Schönheit; minutenlange Einstellungen auf die kümmerlichen Reste des Sozialismus und die ebenso kläglichen Anfänge der Marktwirtschaft. Und dazwischen hält Axel Schneppat seine Kamera auf die Realität, wie sie jedem Schultze, Manfred oder Jürgen heute begegnen kann. Um so fern wie möglich von konventionellen Vorstellungen und Bildern zu arbeiten, wurde nur an existierenden Orten (z.B. dem original Aufenthaltsraum im Bergwerksschacht), und zu großem Teil mit Menschen der Region gedreht.
Und damit kommen wir zu den Widerhaken, die auch ein "Biennale"-Löwe nicht verdecken kann. Horst Krause ist Schultze - ohne Frage. Er ist der anhaltinische Schrebergartenbesitzer, Vorruheständler, Ex-Bergbauarbeiter par excellence. Wenn er nichts sagt (und das tut er die meiste Zeit mit stoischer Gelassenheit), seine Tatar-Stulle mit Zwiebeln schmiert oder zum x-ten Mal die selbe Polka anstimmt, möchte man sich an seinen runden Bauch lehnen und mitschweigen. Aber Krause und auch seine Renten-Kumpanen Harald Warmbrunn und K.-F.Müller können diesen Film über 110 Minuten Laufzeit darstellerisch nicht alleine tragen. Und Laiendarsteller - so schön authentisch, unkonventionell und "natürlich" ihr Spiel auch oft sein mag - sind nicht immer das Nonplusultra. Es entstehen phrasenhafte Dialoge, sinnleere Szenen oder völlig überzogenes Spiel. Und bei aller Experimentierfreude mit dokumentarischen Elementen und Fiktion - die Handlung wird so weder verbessert noch voran getragen. Und umso mehr spürt man dem Film das "Kleine Fernsehspiel"-hafte an.
Aber vor allem verliert "Schultze gets the blues" an Kraft, sobald er sein sicheres anhaltinisches Terrain verlässt. Der Film zieht seine Stärke aus den Bildern und den Menschen rund um den Kali-Berg. Texas und Louisiana hingegen ist das neue, unbekannte Land und fast schon eine neue Geschichte. Das ist zuviel für Schultze. Sein Weg zum Blues wurde schon im heimatlichen Sachsen-Anhalt so eindringlich und atmosphärisch dargestellt, wie man es sich nur wünschen kann.
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