Der große Trip - Wild

Originaltitel
Wild
Land
Jahr
2014
Laufzeit
119 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 23. Dezember 2014

Die Amerikanerin Cheryl Strayed hatte einiges an Ballast in ihrem Leben angesammelt: Unfähig, den Krebstod ihrer Mutter zu verkraften, flüchtete sie sich in eine Reihe bedeutungsloser sexueller Abenteuer und ruinierte damit ihre Ehe, bevor sie auch noch mit Heroin in Kontakt kam und in die Sucht verfiel. Um all das hinter sich zu lassen, entschloss Strayed sich zu einer Maßnahme der Selbsttherapie, Der große Trip - Wildund machte sich ohne vorherige Wandererfahrung auf eine 2.000 Kilometer lange Fußreise entlang des „Pacific Crest Trail“, der sich von der Mojave-Wüste in Südkalifornien hinauf bis in den Staat Washington windet, durch ebenso wunderschöne wie größtenteils menschenleere Landschaft. Über diese Reise und wie sie ihr half, ihre düsteren Erinnerungen zu verarbeiten und ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen, schrieb Strayed anschließend ein Buch, dass u.a. dank der Unterstützung durch Amerikas Schutzheilige der Selbstaufrichtung, Oprah Winfrey, zu einem Bestseller wurde und die Vorlage zu diesem Film lieferte. Reese Witherspoon, die den Film mitproduzierte und natürlich die Hauptrolle spielt (und sich damit selbst ins diesjährige Oscar-Rennen manövrierte), sicherte sich höchstpersönlich die Filmrechte, nachdem sie Strayeds Buch gelesen hatte.

Nun kann man niemandem böse sein, der dem Film angesichts dieser Herkunftsgeschichte skeptisch gegenüber steht. Es klingt sehr nach Nabelschau einer leicht narzisstisch angehauchten Dame, die eine körperliche Grenzerfahrung zum psychologischen Erweckungserlebnis hochstilisiert, und man kann sich lebhaft die endlosen, küchenphilosophischen und bedeutungsschwangeren inneren Monologe vorstellen, die Strayed in ihrem Buch festgehalten hat. Wenn man den Buchbesprechungen namhafter englischsprachiger Zeitungen glauben darf, ist das Ganze aus literarischer Perspektive betrachtet in der Tat ziemlich unerträglich.

Der große Trip - WildGott sei Dank schlägt die Verfilmung stilistisch aber einen gänzlich anderen Ton an. Was wiederum nicht so verwunderlich ist, denn mit Jean-Marc Vallée, der bereits letztes Jahr Matthew McCounaghey und Jared Leto zu Oscars verhalf als Regisseur von „Dallas Buyers Club“, und Nick Hornby, der als Romanautor schon seit den 90ern eine große Nummer ist und als Drehbuchautor immerhin schon eine Oscar-Nominierung (für „An Education“) einheimsen konnte, waren hier zwei ziemliche Könner am Werk. Und die machen aus Strayeds redefreudigem Buch so ziemlich das genaue Gegenteil – eine stille Reise innerer Einkehr, welche die Atmosphäre und Transformation einer solchen Erfahrung tatsächlich greifbar macht.

Vallée und Hornby erreichen dies zum Beispiel dadurch, dass sie ihre Film-Cheryl herzlich wenig über sich selbst reden lassen. Ihr Charakter und Durchsetzungswille zeigt sich vor allem in den Zitaten, die sie in die Logbücher entlang des Trails schreibt, und im Miteinander mit anderen Wanderern, die sie in den episodischen Etappen ihrer Reise trifft. Die persönlichen Traumata, die Cheryl zu verarbeiten versucht, entfalten sich fürs Publikum dabei erst nach und nach im Laufe des Films über zahlreiche Rückblenden. Und wie diese in den Film eingeflochten sind, ist ein sehr gelungener Versuch von Vallée und Hornby, die meditativen, assoziativen Wege zu verbildlichen, auf denen die eigenen Gedanken während solch einer Selbstisolierung ihre ganz eigene Wanderung unternehmen. Der große Trip - WildWie oft minimale Details ihrer Wahrnehmung im Hier und Jetzt als Auslöser für bestimmte Erinnerungen aus Cheryls zu bewältigender Vergangenheit führen, und wie diese Vergangenheit in relativ wenigen, aber sehr prägnanten Szenen etabliert wird, ist von beachtlicher filmerzählerischer Eleganz.

Ähnlich erfolgreich ist auch der Soundtrack wenn es darum geht, die mentale Erfahrung einer solchen Reise nachzustellen. Wie sich z.B. Simon & Garfunkels Song „El Condor Pasa“ dezent als Leitmotiv durch den ganzen Film zieht, indem oft nur wenige Takte seiner Melodie zu vernehmen sind, fängt sehr schön die Endlosschleife ein, in der sich solch ein einzelner Song Ohrwurm-artig festsetzen kann, wenn der Kopf die Ruhe und Freiheit hat, sich nur um sich selbst zu drehen.

Immer wieder findet „Der große Trip - Wild“ gelungene, metaphorisch aufgeladene Bilder, die in ihrer Symbolik selbst dann nicht aufdringlich erscheinen, wenn sie sehr naheliegend sind – wie Cheryls Kampf zu Beginn ihrer Reise mit ihrem überdimensionierten und –gewichtigen Rucksack, den sie kaum eigenständig gehoben bekommt; überdeutliches Symbol des persönlichen Ballasts, den sie mit auf ihre Reise nimmt. So entfaltet der Film nach und nach eine erstaunliche Kraft gerade dadurch, dass er sehr subtil vorgeht und gänzlich auf plakative Elemente verzichtet. Das heißt übrigens auch, dass es hier – trotz aller Strapazen, die Cheryl durchzumachen hat – nie wirklich hochdramatisch wird. Es gibt keinen Kampf ums nackte Überleben. Der körperlich drastischste Moment kommt gleich in der ersten Szene, wenn Cheryl sich einen abgelösten Zehennagel vom blutigen Wanderfuß zieht (gleich zur Eröffnung „El Condor Pasa“ zitierend: „I’d rather be a hammer than a nail…“). Der große Trip - WildUnd auch wenn der Film wirksam das Gefühl latenter Bedrohung einfängt, mit dem eine alleinreisende Frau wie Cheryl konfrontiert ist, wenn sie mitten im Nirgendwo einem oder mehreren Männern begegnet, die eher unpassend zu „flirten“ beginnen, so geht dies doch stets glimpflich aus.

Am Ende ist man selbst erstaunt, welch profunde Wirkung ein Film entfalten kann, der so bewusst unspektakulär, zurückhaltend und subtil agiert. Die Unaufdringlichkeit von „Der große Trip - Wild“ wird zu seiner größten Stärke. Er lädt seine Zuschauer ein, ihn auf seiner bzw. Cheryls Reise zu begleiten, ohne sich dabei irgendwie aufzuzwingen, und schafft es gerade dadurch, seine Zuschauer wirklich zu involvieren in die körperliche und geistige Reise, die Cheryl durchlebt. Die berückend schönen Landschaften, welcher der Pacific Crest Trail auf seinem Weg durch Kalifornien durchquert, tragen natürlich ihr Übriges dazu bei, dass es zu einer echten Freude wird, diese Wanderung auf der Kinoleinwand mitzumachen. 

Bilder: Copyright

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