Sie versuchen einen Neuanfang und haben sich dafür einen der vielleicht schönsten, aber auch unwirtlichsten Orte in Europa ausgesucht: Im norwegischen Hammerfest, am Rande des Polarmeers wollen Niels (Jürgen Vogel) und seine Frau Maria (Birgit Minichmayr) zusammen mit ihrem Sohn eine erkaltete Beziehung wieder in Ordnung bringen. Doch das Vorhaben droht schnell zu scheitern, denn Niels beginnt nicht zum ersten Mal eine Affäre mit einer Kollegin, während Maria ständig Überstunden in einem Hospiz für sterbende Kinder schiebt und kaum zu Hause ist. Auch Sohn Markus (Henry Stange) tut sich mit neuen Kontakten in der Schule schwer. Alles scheint noch viel schlimmer zu werden, als Maria eines Nachts einen Unfall verursacht und erst am nächsten Tag erfährt, dass sie ein junges Mädchen angefahren und tödlich verletzt hat. Nur Niels weiß von der Tat und gemeinsam müssen beide nun versuchen damit richtig umzugehen. Eine Aufgabe, die sie aber andererseits auch wieder näher zusammenführt.
Zum zweiten Mal nach dem beeindruckenden Vergewaltiger-Drama „Der freie Wille“ lässt Regisseur Matthias Glasner seinen bevorzugten Schauspieler Jürgen Vogel eine nicht besonders sympathische Figur verkörpern. Denn dessen Niels verhält sich gegenüber seinen Mitmenschen, ob nun Ehefrau, Sohn oder Kollegen schlicht wie ein Arschloch, auch wenn dies erkennbar wohl nur eine Reaktion auf seine grundsätzliche Frustration und Unzufriedenheit ist. Doch auch die oft in Selbstmitleid ertrinkende und sich deshalb in andere Aufgaben stürzende Maria von Birgit Minichmayr präsentiert sich nicht gerade liebenswert, so dass es oft auch für den Zuschauer eine regelrechte Qual ist den beiden Protagonisten beim Nicht-Lösen ihrer großen Probleme zuzuschauen.
Es ist aber genauso faszinierend zu beobachten, wie dann ganz langsam aus dem grundsätzlichen Wunsch, etwas an der Situation zu ändern, die Fähigkeit erwächst dies auch tatsächlich zu tun. Bezeichnend, wenn nicht absurd, dass ausgerechnet eine Katastrophe für andere Menschen dies schließlich möglich macht und die entfremdeten Partner wieder zusammenfinden lässt, womit man als Betrachter durchaus hadern oder es gar als pervers empfinden kann. Doch folgt die Entwicklung einer inneren Logik, die man auch nicht einfach negieren kann.
Zusammen mit den Bildern der andauernden Polarnacht und damit einer Umgebung, deren Unwirtlichkeit an sich bereits für eine bedrohliche Atmosphäre sorgt, entsteht so ein Gefühl des ständigen Unbehagens, bei dem man nicht weiß ob man mit den beiden alles andere als heldenhaft agierenden Hauptfiguren denn nun vor der Entdeckung zittern oder ihnen lieber eine „gerechte“ Strafe wünschen soll. Wie schwer diese es einem mit der Sympathie machen verdeutlicht dabei am besten eine Szene, in der Maria sich beim Heu-Lieferanten darüber beschwert, dass er ihr nicht den Sonderangebotspreis machen will – wenige Tage nachdem sie seine Tochter totgefahren hat. „Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun“ rechtfertigt sie sich vor Niels und als Betrachter schnürt es einem die Kehle zu. Während man gleichzeitig realisiert, dass sich Menschen mitunter eben tatsächlich genau so verhalten, während sie sich bei anderer Gelegenheit dann wieder aufopferungsvoll für andere einsetzen. „Ich bin nicht dieser Mensch“ beteuert Maria dann auch wiederholt und verweist auf ihre Arbeit im Sterbehospiz, während der bis dahin oft verachtenswert handelnde Niels angesichts der herausfordernden Situation immer mehr an charakterlicher Größe gewinnt.
Im zweiten, oft fast ohne Worte auskommenden Handlungsstrang versucht unterdessen Sohn Markus ohne Hilfe und Unterstützung der Eltern (mit der er auch kaum rechnen kann) seine eigene soziale Situation zu verbessern und im Verhalten gegenüber einem gehänselten Klassenkameraden ebenfalls das "Richtige" zu tun. Auch hier gelingen berührende Momente, doch verläuft dieser Part dann leider etwas im Sande bzw. Schnee.
Doch mit starken Schauspielern und genauso beeindruckenden, zwingenderweise an Originalschauplätzen in Norwegen eingefangenen Bildern hinterlässt „Gnade“ trotzdem einen tiefen Eindruck, der nach dem Betrachten zweifellos Stoff zum Diskutieren bietet, unter den Haupt-Stichpunkten Schuld, Sühne und Vergebung. Eine Diskussionswürdigkeit, die sich bei der Vorführung zur diesjährigen Berlinale bereits während des laufenden Abspanns in diversen Unmutsbekundungen äußerte, was aber in erster Linie darauf zurückzuführen sein dürfte, wie die Geschichte schließlich aufgelöst wird. Damit dürften in der Tat nicht alle zufrieden sein, denn ein gewisses Unbehagen bleibt. Aber das spricht ja letztendlich nur für die Wirkung dieses Films.
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