Bei dem Titel "Kick it like Beckham" geht der geneigte Kinobesucher reflexartig davon aus, dass ihn ein Film über Fußball erwartet. Das stimmt partiell, aber nicht ganz, denn genau genommen ist der neue Film der indisch-britischen Regisseurin Gurinder Chadha die Emanzipationsgeschichte einer Einwanderer-Tochter, die sich von den Regeln und Dogmen ihrer Familie zu befreien versucht. Dass sie das vornehmlich über Fußball tut, verschafft "Kick it like Beckham" den doppelten Exoten-Bonus: es geht nicht nur um die indisch-stammige Minderheit in England, sondern auch um Frauenfußball. Das Addieren von zwei konventionellen Außenseiter-Plots zu einem macht "Kick it like Beckham" zwar zu keinem außergewöhnlichen Film, demonstriert aber, wie man eine Standard-Story durch das Hinzufügen weiterer Stereotypen immerhin voller, wenn auch nicht gerade tiefsinniger gestalten kann.
Hauptfigur ist die junge Inderin Jess (Parminder Nagra), die sich so gar nicht mit den Traditionen ihres Kulturkreises anfreunden mag und stattdessen in ihrem mit Beckham-Postern tapezierten Zimmer von einer Fußball-Karriere träumt. Beim gelegentlichen Spaß-Kicken im Park mit ein paar Freunden wird Jess von Jules (Keira Knightley) beobachtet und bald darauf von ihr zum Training ihres Mädchen-Fußballteams mitgenommen. Die Mädchen verbindet ein ähnliches Dilemma: Während Jess ihre Sporttätigkeit gänzlich vor ihren streng traditionsbewussten Eltern verbergen muss, sieht es auch Jules' Mutter nicht gern, dass ihre Tochter beim Einkaufen viel lieber bei der Sportbekleidung stöbert, anstatt ein paar hübsche Push-up-BH's anzuprobieren und sich für die netten Jungs ein bisschen fescher anzuziehen. Gemeinsam stark werden die beiden Freundinnen zum neuen Traumsturm unter der Leitung ihres schnuckeligen Trainers Joe (Jonathan Rhys Meyers), und der angebliche Besuch eines Talent-Scouts aus den USA lässt die Mädchen tatsächlich von einer Profi-Karriere träumen, bis von allen Seiten die Probleme auf sie einstürzen.
Diese Problemflut ist es, die den an sich völlig konventionellen und tausendfach durchgekauten Plot von "Kick it like Beckham" über die üblichen 90 Minuten am Laufen hält und erfolgreich in die Verlängerung rettet. Denn während andere Filme mit ähnlich simpler Problemstruktur sich mit Mühe und Not aufgrund dürftigen Materials zu akzeptabler Spielfilmlänge strecken, versucht Regisseurin und Co-Autorin Chadha es mit der Philosophie "Masse statt Klasse": Inhaltlich nicht tiefgehender als ein Planschbecken, sammelt "Kick it like Beckham" jeden einzelnen Konfliktansatz ein, der irgendwo am Wegesrand seiner Figuren herumliegt, und verwurstet ihn schnell und unverfänglich. Natürlich ist der hübsche Trainer schon lange das Ziel von Jules' Begehren, selbst verguckt sich der Coach aber in Jess, wodurch ein heftiger Streit zwischen den beiden Freundinnen vorprogrammiert ist, die wiederum von Jules' überdrehter Mutter für ein lesbisches Pärchen gehalten werden. Ungefähr ein halbes Dutzend Mal wird Jess zudem von dem einen oder anderen Familienmitglied bei einer unerlaubten Tätigkeit erwischt, nur um sich beim nächsten Mal doch wieder unbemerkt wegschleichen zu können.
Beinahe jede Figur von mittelschwerer Bedeutung bekommt ihr eigenes kleines Problemszenario beschert, und Chadha schneidet jeden Kuchen an, der in der Plot-Backstube bereit steht: Homosexualität, Ausländerfeindlichkeit, Eifersucht, gekränkter Stolz, und so ziemlich jede mögliche Variation von familieninternen Schwierigkeiten. Ernst ist es ihr allerdings mit nichts davon: Angeschnitten und kurz probiert, wird jedes Motiv auch genauso schnell wieder beiseite gestellt.
Wirklich thematisiert wird hier gar nichts, und so bleiben auch die beiden Grundszenarien von "Kick it like Beckham" simple Staffage zum Probleme-dran-aufhängen: Die exotische Andersartigkeit der indisch-pakistanischen Minderheit in England ist hier mehr ein willkommener Aufmacher für zahlreiche Witze, die tatsächlichen Assimilationsprobleme - wie sie 1999 noch in der fabelhaften Komödie "East is East" subtil und intelligent abgehandelt wurden - bleiben oberflächlich. Die Figuren kommen über ihr bloßes Stereotypen-Dasein nicht hinaus und sollen das auch gar nicht. Realistischer geht es beim Kicken indes auch nicht zu: Man merkt deutlich, dass Chadha zwar weiß, wie Fußball funktioniert, aber kein wirkliches Gespür für die Faszination des Spiels hat. Ihre Spielszenen sind auf bloße Schauwerte hin inszeniert, fortlaufend gibt es hübsche Balltricks in Großaufnahme, aber zu keinem Zeitpunkt sieht man eine Totale des Platzes, auf der mehr als fünf Spielerinnen und somit so etwas wie ein richtiger Spielzug zu sehen wären. Jedem Fußball-Kenner werden gerade die besonders "dramatischen" Momente nur ein müdes Lächeln abringen können: Da geht es auf jedem Bolzplatz am Wochenende aufregender zu.
Ein Mannschaftsausflug zu einem Turnier nach Hamburg bietet für deutsche Zuschauer immerhin die amüsante Abwechslung, die Hansestadt einmal als ausgefallene Location aus britischem Auge zu sehen, allgemein gilt jedoch: An "Kick it like Beckham" ist schlichtweg nichts außergewöhnlich. Ein Film, fast schon überladen mit handelsüblichen Problemszenarien und kleinen, aber nicht sonderlich hervorstechenden Comedy-Momenten ("Sporty Spice ist nicht ohne Grund die einzige von denen, die keinen Freund hat" meint Jules' Mutter an einer Stelle, um ihrer Tochter den Sportsgeist auszutreiben), der in seiner konsequenten Oberflächlichkeit niemandem weh tut, aber auch niemanden wirklich berührt. Regisseurin Chadha kann sich rühmen, einen Film über 110 Minuten halbwegs interessant zu halten, der in Hollywood schon eine halbe Stunde vorher versackt wäre, bei der Fülle von Themen allerdings, die eine vernünftige Behandlung durchaus verdient hätten, bleibt am Ende doch eher das Gefühl vieler verpasster Gelegenheiten übrig. Und jeder Fußballer weiß schließlich, dass es nicht reicht, wenn man gut spielt, man muss seine Chancen auch nutzen.
Neuen Kommentar hinzufügen