"… to boldly go where no one has gone before". Dieses prägende Motto der "Star Trek"-Franchise hat sich - auf das eigene Erzähl-Universum bezogen - für die zweiterfolgreichste Science-Fiction-Reihe der Welt inzwischen zu einem Fluch entwickelt. Nach zehn Kinofilmen und sechs TV-Serien schien die Luft mehr als raus aus dem Trek-Universum, der letzte Ableger "Enterprise" war auf der Suche nach neuem Erzähl-Territorium bereits vor die Handlungszeit der Originalserie zurückgesprungen und wurde 2005 dennoch schon nach vier Staffeln aufgrund schwindenden Zuschauerinteresses abgesetzt, nachdem bereits klar war, dass "Nemesis" (2002) das letzte Leinwand-Abenteuer der "Next Generation"-Crew gewesen war. Seitdem herrschte Trek-Funkstille, und selbst als eingefleischter Fan musste man zugeben, dass das vielleicht auch ganz gut so war.
Und wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Abrams her. Das erstorbene Interesse am Trek-Universum flammte mit dieser Personalie auch bei skeptischen Anhängern wieder lodernd auf, denn wenn J.J. Abrams für eines nicht bekannt ist, dann für das überraschungsarme Wiederkäuen sattsam bekannter Standards. Mit der TV-Serie "Alias" hatte er das Agenten-Genre auf den Kopf gestellt, mit "Lost" die innovativste Serie des neuen Jahrtausends konzipiert, und den Superstar-losen Monsterfilm "Cloverfield" verwandelte er mit einer genialen Marketing-Strategie in einen Kassenknüller. Was würde dieser Mann wohl aus dem Trek-Universum rausholen?
Die Ankündigung, dass man mit "Star Trek" an die Anfänge zurückkehren und das Zusammenfinden der ursprünglichen Enterprise-Crew um Captain Kirk erzählen werde, klang zunächst noch wenig spektakulär, das Endergebnis ist es aber in jedem Falle. Mehr als das. Am Anfang erscheint "Star Trek" noch wie ein simples Prequel. Am Ende hat der Film die Tür zu einem völlig neuen Universum aufgestoßen.
Zu verraten, wie er das tut, käme natürlich einem enormen Spoiler gleich, drum soll an dieser Stelle auch nichts dazu gesagt werden. Fest steht jedenfalls: Abrams und seine Crew (sowohl die Autoren Orci und Kurtzman als auch Co-Produzent Damon Lindelof sind bestens etablierte Weggefährten von Abrams) beweisen, dass sie echt Eier haben. Denn einige puristische Hardcore-Trekkies dürften in helle Empörung aufgehen angesichts dessen, was hier passiert. Eins ist sicher: Die Internet-Fanforen-Diskussionen um diesen Film werden sehr, sehr hitzig werden.
Und sicher auch kontrovers, denn es gibt verdammt viel an "Star Trek", was man als echter Fan lieben kann. Der erste Auftritt jedes einzelnen Crewmitglieds ist ein Höhepunkt für sich, der Transfer der klassischen Persönlichkeiten von Kirk, McCoy, Scotty und Co. in ihre jüngeren, lebendigeren und frecheren Ichs ist hervorragend gelungen und zeigt, dass die beiden Autoren dieser Neuauflage selbst wahre Fans sind. Mit Freude zitiert man sich quer durch den Trek-Anekdotenfundus (Stichwort: Kobayashi Maru-Test) und spielt gewitzt mit dem Wissen des Publikums um die spätere Ausprägung der Beziehungen zwischen den Figuren.
Wirklich großartig ist dieser Film jedoch, weil er einerseits die Fans erfreuen kann, andererseits aber dank des bekennenden Nicht-Trekkies Abrams ein neues, Trek-unerfahrenes Publikum nicht abschreckt. Das wiederum kann nämlich problemlos mit diesem Film mitgehen, der so ziemlich alles über Bord wirft, was den "Look & Feel" von "Star Trek" bisher ausgemacht hat. Weg die manchmal etwas biedere und sterile Starfleet-Korrektheit und Moralität, hinfort das steife Pathos und die chronisch unlockeren Charaktere. Das hier ist "Star Trek", wie man es noch nie gesehen hat: Temporeich, frotzelig, manchmal sogar ein bisschen albern und anarchisch. Ein Film wie seine Helden, alle noch ein bisschen grün hinter den Ohren und mit einem gesunden Rest an jugendlichem Übermut und Hormonen (auch der Vulkanier).
In herrlicher Detailarbeit haben Abrams und seine Autoren die Originalfiguren revitalisiert, aus den seinerzeit noch mageren Facetten besserer Stichwortgeber wie Uhura, Chekov und Sulu lebendige Charaktere gemacht, deren bewährte Ensemble-Chemie hier so gut funktioniert wie damals - wenn nicht sogar besser. Und weil man hier eben dabei zusehen kann, wie sich diese Crew erstmals zusammenfindet, funktioniert das auch für Nicht-Trekkies, die Kirk und Konsorten zum ersten Mal kennen lernen.
Dass das so gut klappt, ist auch den tollen Darstellern zu verdanken, von denen ebenso unerwarteter- wie glücklicherweise "Kirk" Chris Pine die herausragende Leistung bringt. Unerwartet deshalb, weil der mit aufstrebenden Jungstars gespickte Cast um ihn herum einige Leute aufweist, die sich schon deutlich mehr einen Namen gemacht haben, so wie "Spock" Zachary Quinto (Cylar aus dem TV-Hit "Heroes"), Kult-Komiker Simon Pegg ("Shaun of the Dead", "Hot Fuzz") als Scotty, "Uhura" Zoe Saldana ("Terminal", "Fluch der Karibik") oder Karl Urban (der Eomer aus "Herr der Ringe") als "Pille" McCoy (nebenbei: die Szene, in der Dr. McCoy - im Original "Bones" genannt - seinen Spitznamen erhält, wird eine Herausforderung für die deutsche Synchronisation). Sie alle agieren großartig und mit tollem Timing in den zahlreichen Humormomenten. Doch es ist an Pine, der ganzen Sache ein Zentrum zu geben, und wie er den überhitzten, tolldreisten und einmalig charmanten Jung-Kirk zum Leben erweckt, kann sich wirklich sehen lassen.
Dass bis hierhin nicht viel zur eigentlichen Handlung von "Star Trek" gesagt wurde, ist durchaus Absicht, denn zuviel über Beweggründe und Aktionen des rachsüchtigen Romulaners Nero (Eric Bana) zu verraten, der hier mit einem furchteinflößenden Riesenraumschiff und einer Waffe, wie sie das Trek-Universum noch nicht gesehen hat, für die zentrale Bedrohung sorgt, würde bereits viel des Überraschungspotentials des Films zerstören, gerade für erfahrene Trekkies. Und die werden hier vermutlich am meisten staunen.
Drum hüllen wir uns auch weiter in Schweigen und verbleiben mit einer uneingeschränkten Seh-Empfehlung sowohl für Alt-Trekkies als auch für alle unbeleckten Jung-Zuschauer, an denen auch das "Next Generation"-Trek-Zeitalter vorbeigegangen ist. Dies ist "Star Trek", die dritte Generation: zwei Stunden atemloses, hochgradig unterhaltsames Actionkino vom Feinsten. Spektakulär, humorvoll und mitreißend. Am Ende sind Kirk und seine Crew genau da, wo in der Original-Serie 1966 alles angefangen hat, und doch ganz woanders. Fortsetzung nicht nur möglich, sondern erwünscht, denn mit ihrer mutigen Neuausrichtung des Trek-Universums können Abrams und Co. auch weiterhin dem alten Motto treu bleiben: "… to boldly go where no one has gone before."
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