A New Franchise is born! So oder ähnlich könnte der Aufschrei der Fox-Studios und sämtlicher anderer „X-Men“-Mitwirkenden gelautet haben. Von vornherein als direkter Konkurrent von „Der Sturm“ und „M:I-2“ im Rennen um den Titel „Blockbuster des Jahres“ gestartet, erfüllten die „X-Men“ nicht nur den Hype, sie übertrafen ihn sogar deutlich: Über 57 Millionen Dollar Einspielergebnis am Startwochenende bedeuteten den vierterfolgreichsten Start eines Films überhaupt und den besten Start eines Nicht-Sequels. Auch wenn Marvels Mutantenbande sich noch auf der Langzeitstrecke beweisen muss: Dieser Traumstart lässt viel hoffen für einen Film, dem es endlich einmal gelingt, sowohl die Comicvorlage adäquat umzusetzen, als auch einen rundum gelungenen Unterhaltungsfilm abzuliefern. Dass so etwas naturgemäß sehr schwer ist, beweist nicht nur das 97er „Batman & Robin“-Fiasko (Siehe dazu auch unser Spotlight über Comicverfilmungen). Tatsächlich gelang es hier, den beliebtesten und erfolgreichsten Comic überhaupt für ein großes Massenpublikum aufzubereiten. Auch wenn der Film, legt man mal den Erfolg der Vorlage zu Grunde, um fast zehn Jahre zu spät kommt: Anfang der 90er Jahre verkauften sich die Abenteuer um Professor X und seine Mannen auch dank solcher Bleistiftzauberer wie Marc Silvestri und Jim Lee wie geschnitten Brot. Der Kult um die große Mutantenfamilie ist zwar geblieben, direkt verantwortlich für die Realisierung des lange Jahre im Limbo geplanter Comicadaptionen vergessenen Projektes dürfte aber der Überhit des letzten Jahres sein: „Matrix“. Nicht nur, dass sich die „X-Men“ Optik und Effekte gleich ausborgten, der überragende Erfolg des Cyberthrillers überzeugte auch die letzten Zweifler, dass man mit den richtigen Machern auch den eher zweifelhaften Ruf von Comicadaptionen aufpolieren und gleichzeitig den nächsten Sommerhit in der Tasche haben könnte.
„X-Men“ hält sich nicht lange mit Vorgeplänkel auf, im Eiltempo werden Helden und Schurken vorgestellt: In einer Atmosphäre der Angst und Anfeindung gegenüber Mutanten – angeheizt durch den fanatischen Senator Kelly (Bruce Davison) – haben sich diese in zwei Lager unterteilt: Die Guten scharen sich um Dr. Charles Xavier alias Professor X (Patrick Stewart) und werden „X-Men“ genannt. Zu ihnen gehören die wetterverändernde Storm (Halle Berry), die telekinetisch begabte Jean Grey (Famke Janssen) und ihr Freund Cyclops (James Marsden), der Energiestrahlen aus seinen Augen abfeuern kann. Die Bösen nennen sich dagegen „Bruderschaft der Mutanten“ und folgen ihrem charismatischen Führer Magneto (Ian McKellen). Zu ihnen gehören die riesige Bestie Sabretooth (Tyler Mane), die formwandelnde Mystique (Rebecca Romijn-Stamos) und der nicht scharf- aber dafür langzüngige Toad (Ray Park). Die eigentlichen Hauptpersonen sind aber andere: Wolverine alias Logan (Hugh Jackman) ist ein knallharter Draufgänger, der nebst praktischem Stahlskelett und außergewöhnlichen Reha-Fähigkeiten rasiermesserscharfe Klauen ausfahren kann. Eher zufällig stolpert der brummige Einzelgänger über die Ausreißerin Rogue (Anna Paquin), die aufgrund ihrer gerade erwachenden Mutantenkräfte von zu Hause weggelaufen ist und ebenso ängstlich wie verwirrt ist.
Großartig Zeit zum Kennenlernen bleibt den Beiden aber nicht, denn schon blasen die Bösewichter zum Angriff. Wolverine und Rogue werden von den X-Men gerettet und Professor X vorgestellt, der in seinem „Institut für begabte Jugendliche“ jungen Mutanten hilft, ihre Kräfte zu verstehen und zu kontrollieren. Gerade Wolverine begegnet den seiner Meinung nach lächerlichen Helden mit Skepsis (nachdem er sich die Namen der Mitglieder angehört hat, fragt er den im Rollstuhl sitzenden Professor X mit beißendem Sarkasmus: „And what do they call you? ’Wheels’?“), wenngleich er –sehr zum Leidwesen von Cyclops – ein Auge auf Jean wirft. Aber auch der X-Man wider Willen muss sich ins Team einfügen. Schließlich gilt es, Magneto aufzuhalten, der seinen großen Schlag gegen die Menschheit bei einer UN-Vollversammlung plant und dafür die Kräfte eines der X-Men braucht ...
Frei nach uns Arnie gilt bei „X-Men“ die Maxime „Da muss doch Äkschn bei sein“. Nach einem kurzen Prolog geht der Film gleich in die Vollen. Ein wildes Duell im verschneiten Norden, bald darauf geht’s in einem Bahnhof zur Sache (der dabei selbstverständlich in seine Einzelteile zerlegt wird) und danach rüstet man auch schon für den großen Endkampf. Über kurze 95 Minuten kracht und knallt es an allen Ecken und Enden, fliegen Körper durch die Gegend wie andernorts Vögel und gibt es eye candy vom Feinsten. Und das alles souverän in Szene gesetzt von Bryan Singer.
Moment mal, Bryan Singer? Der mit den „Üblichen Verdächtigen“? Ja, eben jener. Singer, der sich mit so klugen wie psychologisch interessanten Filmen einen Namen machte und auch für diesen Film „etwas charakterorientiertes“ versprach. Und damit sogar Wort gehalten hat. Denn ein Grund dafür, dass „X-Men“ nicht zur sinnfreien Ausstattungsorgie verkommt, liegt in der menschlichen Darstellung der Charaktere. Bei einem so großen Ensemble wie diesem hier muss man sich dabei natürlich auf einzelne Figuren beschränken. In „X-Men“ gehört die Leinwand ganz klar Logan/Wolverine. Dem bisher unbekannten Australier Hugh Jackman dürfte der Durchbruch nach diesem Film sicher sein. Männlich-markant gibt er hier einen Wolverine ab, der seinem Comicvorbild erstaunlich nahe kommt. Die Konzentration auf den Stahlfinger hat durchaus ihre Berechtigung, ist dieser doch der mit Abstand beliebteste aller X-Men, der auch zu großen Teilen verantwortlich ist für den Erfolg der ursprünglich schlecht laufenden Serie.
Jackmans Logan ist die bei weitem differenzierteste Figur des Films. Gerade im kurzen Zusammenspiel mit Anna Paquin oder Famke Jannsen darf er auch mal den weichen Kern herauskehren. Und ansonsten hat er natürlich die stärksten Zeilen und die coolsten Waffen. Anna Paquin bekommt als Babyspeck-behaftete Rogue passable Leinwandzeit und muss – in einer interessanten Allegorie – ihre mit der Pubertät einsetzenden Mutantenkräfte akzeptieren.
Dagegen fallen die Charakterisierungen der anderen Figuren doch deutlich ab. Gerade den britischen Charakterdarstellern Stewart und McKellen hätte man etwas präzisere und mehrdimensionalere Rollen gewünscht. So wird ein unter anderen Umständen brillantes Schauspielerduell reduziert auf das zweier Stichwortgeber in einem simplen Gut gegen Böse-Schema. Auch der Rest der Crew bleibt eher Staffage, am besten bleibt einem trotz fehlendem Text noch Ray Parks Toad in Erinnerung, der als hektischer Unruhestifter wie Shakespeares Puck auf Speed wirkt.
Also, muss man sich fragen: Hat Singer alles richtig gemacht? Die Antwort ist ja. Die Frage, ob der Film in seiner ursprünglich um ein Drittel längeren Fassung besser gewesen wäre, ist unzulässig. Anders wäre er mit Sicherheit geworden. Mehr Dialoge und Leinwandzeit hätte vielleicht auch den anderen Charakteren die Möglichkeit gegeben, nicht nur schmückendes Beiwerk zu sein. Gerade an bestimmten Passagen hat man das Gefühl, das hier mehr drin gewesen wäre: Etwa im Gespräch zwischen dem Mutantenhasser Kelly und dem verbitterten Menschenhasser Magneto. Dennoch: Singer entschied sich für den kommerziell und letztlich auch künstlerisch richtigen Weg. Sein „X-Men“ ist – dem Vorbild „Matrix“ nicht unähnlich – reines Erlebniskino. In furiosem Tempo gehalten, aber mit genug Ruhepausen versehen, um nicht ins bloße wie plumpe Zurschaustellen zu verfallen.
Zudem gibt es für den Fan an Insidergags so einiges zu entdecken: In Xaviers Schule entdeckt man den einen oder anderen „Junior“ X-Man, Ray Parks Toad schwingt in einer Szene ein Metallrohr wie dereinst als Darth Maul und Wolverine gibt auch schon mal den „Effenbergfinger“ als Stahlklaue. Und wenn dann Cyclops den an seiner (Matrix-nachempfundenen) Lederkleidung herummäkelnden Wolverine fragt: „Was wäre Dir lieber? Gelbes Spandex?“, kann man sich ob der Masse an gerade derartigen Peinlichkeiten scheiternden Comicverfilmungen ein so zufriedenes wie fettes Grinsen gönnen. Alles richtig gemacht, Herr Singer.
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