In die Sonne schauen

Jahr
2025
Laufzeit
149 min
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Matthias Kastl / 31. August 2025

Mit seiner zweiten Regiearbeit gleich den „Preis der Jury“ in Cannes abzuräumen, das hat schon was. Mascha Schilinski ist so etwas wie der neue Stern am deutschen Regiehimmel, und man muss schon den Hut ziehen vor dem, was sich die Berlinerin mit "In die Sonne schauen" da vorgenommen hat. Ihr komplexes Zeitgerüst rund um das mehrere Generationen überspannende Leben auf einem abgelegenen Hof in der Altmark ist verdammt ambitioniert, streckenweise faszinierend, durchweg visuell interessant – und dann doch auch immer mal wieder frustrierend. Mit anderen Worten: ein ziemlich intensives Filmerlebnis.

Im Zentrum der Geschichte stehen hier gleich eine Vielzahl von Frauenfiguren, die alle zwar auf dem gleichen Hof in der Altmark, aber jeweils zu einer anderen Zeit leben. Die junge Alma (Hanna Heckt) ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts etwa spürbar geprägt von der ständigen Anwesenheit des Todes, die den Hof umhüllt. Ein paar Jahrzehnte später versteckt wiederum Erika (Lea Drinda) im Schatten des Zweiten Weltkrieges ihre Gefühle für ihren bettlägerigen Onkel Fritz. In der DDR der 1980er Jahre scheint Angelika (Lena Urzendowsky) dagegen das Leben auf dem Hof in vollen Zügen zu genießen – doch keiner bemerkt, dass sich bei ihr langsam eine Art Todessehnsucht einstellt. Und in unserer heutigen Zeit zieht die junge Lenka (Laeni Geiseler) mit ihren Eltern und ihrer Schwester Nelly (Zoë Baier) auf den Hof, um scheinbar fortan ein idyllisches Leben zu führen. Doch auch hier ziehen schon bald unbemerkt dunkle Wolken am Horizont auf.
 


Ein Ort, mehrere Generationen – so eine ähnliche Idee hatte vor kurzem ja schon Robert Zemeckis mit "Here". Die deutsche Umsetzung kommt nun mit einem deutlichen Flair mehr Arthouse daher. Freunde einer halbwegs stringenten Handlung dürften an "In die Sonne schauen" auf jeden Fall verzweifeln, dem es bei seinem vielfältigen Charaktermosaik vor allem darum geht, Stimmungen und Gefühle einzufangen. Man taucht dabei als eine Art Beobachter immer mal wieder kurz in das Alltagsleben unserer Hofbewohnerinnen ein, wobei diese Beobachterposition von dem Film gerade visuell immer wieder clever aufgegriffen wird. Manche Szenen wirken, als ob man gerade mit der Urlaubskamera die Figuren begleitet, und gleich mehrmals wird das Leben hier durch Schlüssellöcher oder kleine Ritzen verfolgt. Mit der Absicht, vor allem die verschiedenen Sorgen und Gefühle einer Vielzahl von Frauenfiguren in ihren jeweiligen Zeiten einzufangen. Dabei schwebt gerade visuell immer ein nostalgisches Flair an Vergänglichkeit mit, was dann auch die Wahl des 4:3-Filmformats erklärt. 

Das Bildformat sorgt dabei auch für eine gewisse Enge, die symbolisch gut zu den Figuren passt, von denen alle in ihrer Zeit mit ihren Problemen gefangen sind. Viel dreht sich hier darum, dass man seinen Gefühlen nicht oder nur versteckt freien Lauf lässt. Der Hof mag noch so voller Menschen sein, fast alle sind mit ihren Problemen gefühlt auf sich allein gestellt. So wird dann auch selten etwas offen ausgesprochen oder Unterstützung eingeholt. Was auch an der Unsicherheit vieler der Protagonistinnen liegt, die hier meist junge Mädchen oder Frauen sind, die ihren eigenen Weg noch nicht gefunden haben.
 


Dieses zeitumspannende Gefühlskarussell hat schon etwas unglaublich Faszinierendes und wird gerade visuell wirklich toll eingefangen. Der Film findet immer wieder schöne Bilder, fängt Gefühle oft allein über intensive Blicke ein und macht "In die Sonne schauen" so auf einer emotionalen Ebene immer wieder zu einer sehr intensiven Angelegenheit. Das liegt auch daran, dass das Hauptthema ein sehr emotionales ist, nämlich die Vergänglichkeit – die eigene und die des Lebens auf dem Hof, auf dem schon Jahre später so gut wie nichts mehr an die Dramen und Menschen aus alter Zeit erinnert. Dabei ist es erfrischend, einen Film zu sehen, der viel Interpretationsraum bietet und eben nicht alles offen ausspricht, sodass man das Gefühl hat, als Zuschauer näher an den Figuren dran zu sein als diese untereinander.

So schön das mit der Interpretationsfreiheit aber auch ist, zumindest ein klein wenig mehr Halt hätte man sich dann aber doch gewünscht. Man wird nämlich hier nicht nur mit verschiedenen Zeitebenen, sondern auch noch mit einem riesigen Figurenkarussell konfrontiert, was einen dann doch etwas erschlägt. Erst einmal im positiven Sinne, da sich dieser Hof so wirklich bewohnt anfühlt, woran auch die durch die Bank guten Schauspielleistungen ihren Anteil haben. So viele Figuren sind aber auch eine Herausforderung, da es schon ordentlich Konzentration braucht, hier immer die jeweiligen Verbindungen zwischen diesen zu ziehen. Was der Film einem sogar noch schwerer macht, weil er manche Verwandtschaftsbeziehungen erst relativ spät auflöst. Das wiederum bedeutet, dass viel Zeit und Energie dafür draufgeht, sich hier Sachen zusammenzureimen. Ein Kniff, der so extrem gefühlt gar nicht nötig gewesen wäre. So viel Spaß es auch macht, gefordert zu sein, ist es hier so viel, dass es die emotionale Wirkung mancher Szenen untergräbt, da der Kopf gerade noch zu beschäftigt ist, die Situation irgendwie einzuordnen. Und so beraubt sich der Film dann teils wieder (gefühlt unnötig) seiner Stärken, was dann doch frustrierend ist.
 


Diese "Überforderung" und das "In-der-Luft-Hängen" dürfte dann wohl auch der Grund gewesen sein, dass in meiner Vorstellung ein paar Leute nach der Hälfte des Films bereits gegangen sind – was ich so auch schon länger nicht mehr gesehen habe. Etwas kritisch kann man auch die Art und Weise sehen, wie im Film das Thema Suizid (das sich durch alle Zeitebenen zieht) behandelt wird. Nämlich rein auf der Gefühlsebene, was teilweise etwas zu oberflächlich für dieses so ernste Thema umgesetzt wirkt – und gerade in einem Fall am Schluss dann auch unangenehm erzwungen wirkt.

Am Ende bleibt festzuhalten: Ob einem "In die Sonne schauen" gefällt, hängt stark davon ab, wie sehr man einen roten Faden benötigt oder ob man Film einfach auch als poetisches Gefühlsgewitter akzeptieren kann. Wer, wie ich, da ein bisschen zwischen den Stühlen sitzt, bekommt auf jeden Fall ein stellenweise großartiges, aber eben auch hier und da frustrierendes Erlebnis serviert. Am Ende zeigt der Daumen dann aber doch deutlich nach oben, da die Stärken die Schwächen deutlich überwiegen und man, bei aller Frustration, ein wirklich intensives Filmerlebnis hat, das man nicht so schnell vergisst. Und ein größeres Kompliment kann man einem Film ja eigentlich nicht machen.

Bilder: Copyright

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