„Soll das jetzt die ganze Zeit so weitergehen?“ oder „Ich geh doch nicht ins Kino um mir anderthalb Stunden lang ein Wohnzimmer anzuschauen“. Äußerungen, die zu erwarten sein dürften bei Besuchern, die ganz unvorbereitet und ahnungslos ins Kino gehen, um einfach nur den neuen Film mit Tom Hanks zu sehen. Und die dann am Ende entweder begeistert oder völlig frustriert sind von „Here“, dem aktuellen Werk von Robert Zemeckis, der darin die Wiedervereinigung mit seinem „Forrest Gump“-Traumpaar Hanks und Robin Wright feiert. Denn ja, das geht tatsächlich die ganze Zeit so weiter, die Kamera verändert ihre Position nicht und der gezeigte Bildausschnitt bleibt durchgehend derselbe. Denn „Here“, in diesem einen Wohnzimmer fließt das Leben mehrerer Generationen unterschiedlicher Bewohner an uns vorbei. Über einen Zeitraum von gut hundert Jahren und gelegentlich auch ein bisschen darüber hinaus.
Zemeckis gibt sich ja nun schon seit gut zwei Dekaden als Vorreiter bei der Nutzung neuester technischer Möglichkeiten, sei es das Motion Capturing-Verfahren oder aktuell das De-Aging der Darsteller. Da werden dann entweder in Animationsfilmen die Figuren vermenschlicht oder andersherum in Realfilme künstliche Verfremdungen eingebaut. Das Publikum geht dabei längst nicht immer mit, was beim Weihnachtsfilm „Polarexpress“ noch gut ankam, verschreckte beim Fantasy-Epos „Beowulf“ oder dem Psychodrama „Willkommen in Marwen“ eher den Großteil der Zuschauer. Sein neuestes Werk kommt nun aber tatsächlich noch ein Stück radikaler daher, denn die Adaption der gleichnamigen Graphic Novel von Richard McGuirre behält das Konzept der Vorlage bei, den immer gleichen Bildausschnitt zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu zeigen. Eine Prämisse, die schon als Comic gewagt erscheint und in Form eines Spielfilms von dem einen oder anderen als Zumutung empfunden werden könnte.
Aber schon nach wenigen Minuten wird sich bei Einigen sicher auch die Faszination entfalten die ein solcher Ansatz eben bietet, wenn man mit durch die Geschichte genommen wird, den Schauplatz betrachtet wie er zur Zeit der indigenen Bevölkerung aussah, ebenfalls noch unbebaut in der Gründerzeit der USA den Blick auf andere stattliche Anwesen freigibt und dann Anfang des 20. Jahrhunderts nacheinander mehreren Paaren und Familien ein Zuhause bietet. In dem nicht alle immer glücklich und zufrieden sind oder aus dem einige von einem der großen Kriege vertrieben werden. Da die einzelnen Episoden zwar in sich chronologisch erzählt, dabei aber bunt ineinander gewürfelt werden, ist vor allem zu Beginn einiges an Konzentration gefordert bis man sich einen Überblick über die verschiedenen Figuren und Konstellationen verschafft hat, die immer mal wieder auftauchen.
Den Großteil der Laufzeit nimmt allerdings das Leben von Richard (Tom Hanks) und Margaret (Robin Wright) ein, die als junges Paar gemeinsam mit Richards Eltern, seinem kriegsversehrten Vater Al (Paul Bettany) und seiner gutherzigen Mutter Rose (Kelly Reilly) im selben Haus leben. Was auch immer wieder zu Konflikten führt, wenn sich Richards berufliche Pläne aufgrund der Verpflichtungen als junger Familienvater nicht erfüllen und vor allem Rose darauf drängt sich von den Eltern zu emanzipieren. So vergeht die Zeit über die Kennedy- oder Flower Power-Ära bis zu Aerobic-Turnübungen und einer Episode in der heutigen Gegenwart, in der ein Vater seinem Sohn auf bedrückende Weise erklärt, wie man sich als Mensch mit schwarzer Hautfarbe gegenüber einem Polizisten zu verhalten hat.
Keine dieser Geschichten ist für sich genommen besonders spektakulär, aber der geballte Einblick in verschiedene Zeiten und Lebensweisen entfaltet schnell einen Sog, der einen so stark mitfühlen lässt, dass man die statische Kameraperspektive tatsächlich irgendwann mehr oder weniger vergisst. Tom Hanks hier wieder in seinen zwanziger- und dreißiger Jahren zu sehen, so als handele es sich um ein lang verschollenes Frühwerk des Schauspielers, birgt dabei natürlich einen zusätzlichen Reiz. Denn diese Form der künstlichen Verjüngung wirkt schon sehr überzeugend und für genau so eine Art Geschichte ist diese Methode eben auch absolut nützlich und sinnvoll (auch wenn Hanks ältere Originalstimme nicht immer genauso perfekt passt). Aber auch der restliche Cast kann beeindrucken, sowohl Paul Bettany als mit seinem Schicksal hadernder Vater Al wie auch Robin Wright, deren Margaret im Vergleich zum etwas biederen „Normalo“ Richard sogar die interessanteren Wandlungen durchmacht.
Dass das an sich statische Bild zudem dadurch aufgelockert wird, dass darin immer wieder an einzelnen Stellen Elemente aus anderen Epochen aufpoppen, die dann entweder die Szenerie übernehmen oder wieder aus ihr verschwinden, erleichtert es zusätzlich das Ganze eben nicht als langweilig sondern als enorm abwechslungsreich zu empfinden. Da hätte es dann vielleicht die Saurier und Vulkanexplosionen aus der Frühzeit der Menschheitsgeschichte gar nicht bedurft, die gleich zu Beginn noch eine Portion Extraspektakel bieten (sie tauchen allerdings auch schon in der Vorlage auf).
Nach einem außerordentlich emotionalen und tränenrührenden Finale sitzt man dann erschöpft und beeindruckt im Kinosessel - oder eben auch nicht, falls es einem halt doch nicht gelingt sich auf dieses ungewöhnliche Konzept einzulassen. Aber eines dürfte unstrittig sein: Mit „Here“ liefert Robert Zemeckis einen Film ab, wie man ihn so noch nicht gesehen hat und wie er eben bis vor ein paar Jahren auch nicht möglich gewesen wäre. Und das allein verdient im Zeitalter der Franchises und Fortsetzungen sowohl Respekt als auch Aufmerksamkeit.
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