
Den viel zitierten „Need for Speed“ hat Paramount bei der Veröffentlichung von „Top Gun: Maverick“ offensichtlich nicht verspürt, denn die 36 Jahre Abstand zum Release des Originals sind nicht nur für große Mainstream-Franchises eine enorm lange Zeitspanne. Zuletzt hielt man den bereits 2020 fertiggestellten Film noch einmal zwei volle Corona-Jahre zurück, was für das große Vertrauen des Studios in die 152-Millionen Dollar teure Fortsetzung spricht.
Doch statt mit einer klassischen Fortsetzung im Geist der 80er, haben wir es hier wieder mit dem zurzeit enorm populären Phänomen des „Legasequels“ oder „Requels“ über den Geist der 80er zu tun.
Das heißt, die Ereignisse des Vorgängers werden durchaus anerkannt und fortgeführt, gleichzeitig bewegt sich die Handlung aber in den sicheren Bahnen eines soften Remakes, das sich an den gleichen Story-Beats und Szenen abarbeitet. Die waren zwar schon 1986 nicht besonders smart oder überraschend, das hat „Top Gun“ damals jedoch nicht davon abgehalten, ein gigantischer Box-Office Hit und Kultfilm zu werden, dessen Ikonografie heute so stellvertretend für die 80er steht wie Schulterpolster oder Koks-Reste in Porno Schnurrbärten.

Doch nach so vielen Jahren ist das Pulver vertrocknet, die Rotz-Bremse abrasiert und die Stimmung nachdenklicher geworden, und so begegnen wir dem gealterten Jet-Piloten Pete „Maverick“ Mitchell dann auch diesmal in der ungewohnten Rolle des Ausbilders. Gegen seinen Willen soll er unter dem Kommando des grimmigen „Cyclones“ (Jon Hamm) eine jüngere Generation auf eine enorm riskante Mission vorbereiten. Doch alte Wunden reißen auf, als Maverick erfährt, dass sich unter den Rekruten auch „Rooster“ (Miles Teller) befindet, der Sohn seines im Original tragisch verstorbenen Wingmans „Goose“.
Fans des Vorgängers dürften schon in den ersten Sekunden in Verzückung geraten, denn die Opening Credits entsprechen vom ersten Glockenschlagen des Synthie-Scores über die verwendete Schriftart und die Wiederholung jeder einzelnen Kameraeinstellung bis hin zum Einsetzen des gleichen Tracks „Danger Zone“ so eins zu eins dem Original, dass Gus Van Sants Shot-by-Shot-Remake von „Psycho“ im Vergleich wie ein Monument der künstlerischen Neuerfindung wirkt.
Dementsprechend wird dann auch im weiteren Verlauf Szene für Szene zitiert, was die Nostalgie-Triebwerke hergeben, und wir dürfen überdrehte Bar Flirts samt Klavier-Einlagen, dutzende Motorrad-Fahrten über Landebahnen und gestählte Körper beim Ball spielen im Sonnenuntergang bewundern. Die Handlung bewegt sich dabei extrem gradlinig und überraschungsarm auf eine zentrale Mission zu, die quasi die klassische Todesstern-Zerstörung ins echte Leben überführt.

Trotz einer nicht von der Hand zu weisenden inhaltlichen Einfallslosigkeit und sehr schwach gezeichneten Nebenfiguren, die sich beinahe ausnahmslos auf eine einzige Eigenschaft reduzieren lassen, strahlt der Film eine gewisse Reife, hohe Sorgfalt und angenehme Ernsthaftigkeit aus. Mit vergleichsweise wenig Humor, einem getragenen Tempo und der Betonung erwachsener Themen, die die Charaktere häufig in Rückschau auf ihr früheres Leben als risikofreudige Draufgänger umtreibt, positioniert sich „Top Gun: Maverick“ deutlich als Gegenentwurf zum hyperschnellen, ultra-jungen und nahezu konsequenzlosen Blockbuster Kino von Marvel und Co.
Da bleibt dann sogar noch Platz für einen würdevollen Gastauftritt von „Iceman“ himself, Val Kilmer, dessen Figur aus dem ersten Teil nun genauso von schwerer Krankheit gezeichnet ist wie der Darsteller selbst, und der hier eine rührende Ehrerbietung erfährt, die zudem äußerst geschickt die Möglichkeiten seiner eingeschränkten Physis für eine sehr effiziente Szene nutzt. Trauriges Detail am Rande: Für die wenigen Worte, die er am Ende der Szene spricht, musste man wegen Kilmers mittlerweile kompletter Sprachunfähigkeit auf eine neuartige AI zurückgreifen.
Wie sich die zwei einst verfeindeten Piloten hier herzlich in den Armen liegen, ist nur einer von vielen emotionaleren Momenten, die sich mit Älterwerden und Vergänglichkeit auseinandersetzen und bei Fans der ersten Stunde durchaus das ein oder andere Tränchen hinter der Aviator-Sonnenbrille kullern lassen könnten.

An die richtet sich der Film auch deutlich stärker als an ein jugendliches Publikum, weswegen auch die Erzählperspektive nicht mehr die der heißblütigen Rekruten, sondern die des alten Hasen ist, dessen Relevanz und Flugfähigkeit mehr als einmal in Frage gestellt wird, nur um dann eindrucksvoll wieder bewiesen zu werden. Und obwohl Maverick natürlich immer noch das fähigste, attraktivste und einfach arschcoolste Flieger-Ass unter der retro-orange gefärbten Sonne ist und Cruise immer noch eine fast übermenschliche Physis besitzt, für die wohl 95 Prozent aller 59-jährigen töten würden, fällt auf, dass er hier zum allerersten Mal wirklich offensiv mit seinem Alter umgeht, anerkennt, nicht mehr der Jüngste zu sein und teilweise eher eine Mentoren-Rollen bekleidet.
Konsequenterweise bekommt er dann auch mit Jennifer Connellys Single-Mom Penny eine Love-Interest an die Seite gestellt, der man durchaus ein paar natürliche Falten zugesteht und die entgegen der üblichen Besetzungskonvention sogar älter wirkt als Cruise selbst. Mit dieser leichten Selbstreflektion und dem permanenten, rührseligen Blick in die Vergangenheit umschifft man dann auch gekonnt die etwas schlecht gealterte, extreme Macho- und Militarismus-fetischisierende Attitüde des Originals.

Stattdessen ist das Herzstück des Films nun das Fliegen an sich. Wo der leider viel zu früh verstorbene Tony Scott 1986 den ersten MTV-Blockbuster inszenierte, dessen überstilisierte Oberflächen-Ästhetik und donnerndes Schnittgewitter quasi den die 90er dominierenden Don Simpson/Jerry Bruckheimer-Actionfilm-Stil definierte, sitzt nun mit Joseph Kosinski („Oblivion“, „Tron: Legacy“) ein Ästhet auf dem Regiestuhl, dem man seinen Background als Architektur-Student durchaus anmerkt.
Seine extrem aufgeräumte, sehr symmetrische und einfach enorm hochwertige Bildsprache ist es, die dafür sorgt, dass die nicht sehr zahlreichen, aber rundum befriedigenden Action-Szenen so sehr den Atem rauben, wie es die Band Berlin im Titel-Song zum ersten Teil gefordert hatte.
Gerade das ausgedehnte Finale ist von so herausragender Klarheit und beeindruckender Wucht, dass man keine Sekunde zweifelt, dass Kosinski und Cruise alles getan haben, um Mensch und Maschine mehr zu fordern, als es bisher je versucht wurde. Das Resultat ist eine enorm spannende Hetzjagd, die man unbedingt auf der größtmöglichen Leinwand mit dem lautmöglichsten Soundsystem genießen sollte. Weswegen trotz aller erzählerischer Mutlosigkeit und einer leichten Fanservice-Übersättigung unterm Strich immer noch ein sehr überdurchschnittlicher Blockbuster herausgekommen ist, der das Herz am rechten Fleck hat und in seinen Actionmomenten erwartungsgemäß brilliert.

Und sowieso kann man nicht anders als Tom Cruise wieder einmal zu bewundern für seinen Arbeitsethos und seine todesmutige Bereitschaft, wirklich alles für seine Filme zu geben. Denn aller berechtigten Kritik an der im Moment sich nur noch selbst zitierenden und in Nostalgie eingefrorenen Überwältigungsmaschine Hollywood zum Trotz, haben wir es hier mit einem Künstler zu tun, der erkennbar versucht, das absolute Maximum aus jedem Stoff herauszuholen und auch hier wieder unter Beweis stellt, dass es auf dieser Welt keine jüngeren Schauspieler gibt, die es mit seiner Strahlkraft und seinem unbedingten Willen zur perfekten Unterhaltung aufnehmen können. Hoffentlich fühlt er ihn noch ein paar Jahre, den „Need for Speed“, um uns mit weiteren Höchstleistungen zu beglücken und dem Effekte-versessenen Rest der Blockbuster-Welt zu zeigen, was wahre Hingabe und Star-Power bedeuten.
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