Man durfte sich schon Sorgen machen um das Wunderkind. Denn fast eine Dekade ist bereits vergangen, seit Paul Thomas Anderson mit "Magnolia" zuletzt für größeres Aufsehen sorgte und damit bereits den Beweis geliefert hatte, dass sein Durchbruch zwei Jahre zuvor mit "Boogie Nights" weder Zufall noch Eintagsfliege war. Danach folgte im Jahr 2002 dann nur noch "Punch-Drunk Love", eine nette kleine Stilübung, die zwar aus Adam Sandler zum ersten Mal einen echten Schauspieler machte, aber ansonsten eher wie ein kleiner Zwischensnack auf dem Weg zum nächsten Meisterstück wirkte. Nun, es hat sehr lange gedauert bis "There will be Blood" schließlich auf das hungrige Publikum losgelassen wurde, aber in diesem Fall scheint sich die Geduld auch wirklich gelohnt zu haben: Mit Preisen überhäuft, für die wichtigsten Oscars nominiert und bereits jetzt mit dem Stempel eines der "besten Filme aller Zeiten" versehen - das nennt man dann wohl ein Festmahl.
Und das obwohl oder vielleicht gerade weil Anderson hier von vornherein die Erwartungen all jener unterläuft, die für ihn schon so schön die passende Schublade beschriftet hatten. Die des Ensemblefilmers nämlich, der bevorzugt eine Schar hochinteressanter Charaktere präsentiert, die jeder für sich fast schon ihren eigenen Film rechtfertigen würden. Nicht diesmal, denn in "There will be Blood" konzentriert der Regisseur und Drehbuchautor sich im Grunde auf eine einzige Figur, welche den gesamten Film nicht nur trägt sondern in der Tat derart dominiert, wie man es nur ganz selten zu sehen bekommt. Es handelt sich hier nicht um die Geschichte einer Dynastie oder Familie, sondern um die eines einzigen Mannes, der sich selbst mit Vorliebe einfach nur als "Ölmann" bezeichnet.
Ursprünglich auf der Suche nach Gold, bringt es Daniel Plainview (Daniel Day-Lewis) dank eines Ölfundes und professioneller Strategie zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einigem Wohlstand. So richtig groß wird die Sache allerdings erst, als er seinem Instinkt vertrauend dem Tipp des jungen Paul Sunday (Paul Dano aus "Little Miss Sunshine") folgt und sich auf dem Land von dessen Familie nach Öl umsieht. Die Suche ist erfolgreich und ohne größere Schwierigkeiten gelingt es dem Geschäftsmann der Familie den wertvollen Grund abzukaufen. Sehr nützlich ist ihm dabei sein Sohn, dessen Gegenwart Plainview recht skrupellos dazu nutzt, sich den gläubigen Farmern als Familienmensch zu präsentieren und damit Sympathien zu sammeln. Selbst kann er eher wenig mit der Kirche anfangen und so herrscht von Beginn an eine unterschwellige Spannung zwischen dem Unternehmer auf der einen und dem jugendlichen religiösen Eiferer Eli Sunday (ebenfalls Paul Dano) auf der anderen Seite. Ein Konflikt, bei dem von vornherein klar ist, dass er irgendwann offen ausbrechen wird.
Dementsprechend bildet die Figur des Eli Sunday auch den einzig nennenswerten Kontrapunkt zur Dominanz des Hauptcharakters, ohne dass dieser Teil der Handlung nun aber den Film durchgehend bestimmt. Die anderen Charaktere jedoch, mit denen Plainview engere Beziehungen eingeht, sind selbst viel zu schwach, um von ihm mehr als nur ein wenig Zuneigung zu verlangen. Namentlich sind dies Henry (Kevin J. O'Connor), sein Halbbruder fragwürdiger Herkunft, und Sohn H.W. (Dillon Freasier), der nach einem Unfall am Bohrturm sein Gehör verliert und so für den Vater über Nacht zum eher störenden und Aufmerksamkeit fordernden Ballast wird.
Bemerkenswert ist allerdings das offensichtliche Fehlen einer Figur, die es im Leben dieses Magnaten einfach nicht zu geben scheint: Die Frau an seiner Seite. In einem mehr als 25 Jahre umspannenden Zeitraum gibt es nicht einen einzigen Hinweis auf eine Liebesbeziehung, eine Affäre oder überhaupt nur erkennbares Interesse von Plainview an solchen Dingen. Das hat man doch sehr selten, selbst in den ambitionierten und originelleren Hollywood-Produktionen, und dies verdeutlicht daher umso mehr den überlebensgroßen Solitär, als den der Autor hier seine zentrale Figur inszeniert.
Es ist tatsächlich so, dass es in diesen zweieinhalb Stunden fast keine Szene gibt, welche nicht mit und aus der Sicht des Daniel Plainview präsentiert wird. So ein Konzept gibt einem Schauspieler natürlich allerbeste Gelegenheit zu glänzen, und dass der hinsichtlich seiner Filmrollen äußerst wählerische Daniel Day-Lewis diese dann auch ergreift, dürfte niemanden ernsthaft überraschen. Der spielt sich hier wirklich die Seele aus dem Leib und geht komplett auf in einer Figur, deren ganzes Spektrum an Raffinesse und Aggressivität, Opportunismus und Irrsinn er perfekt einzufangen versteht. Es scheint fast, als hätte Anderson dieses Mal die bestimmenden Eigenschaften der zahlreichen Ensemble-Charaktere seiner vorherigen Filme ganz bewusst nur auf eine einzige Figur geworfen, sie darin konzentriert und verdichtet.
Umso erstaunlicher aber, dass uns diese so gewaltige Figur dann trotzdem bis zum Ende ein großes Rätsel bleibt. Woher dieser Hang zur Selbstzerstörung und der Hass auf den Rest der Menschheit? Warum diese Unnachgiebigkeit? Denn es ist keineswegs so, wie es derzeit in anderen Medien gern kolportiert wird, dass wir hier dem "unvermeidlichen Niedergang eines Menschen auf seinem Weg ins Dunkel" beiwohnen. Unvermeidlich wäre kaum etwas gewesen von all dem Schmerz und Verlust, den sich Plainview selbst zufügt. Bis zum letzten Moment (und dafür ist hier nur ein milder Spoileralarm notwendig) wird ihm immer wieder die Hand zur Versöhnung gereicht, von Sohn, Bruder, Gegenspieler. Bis zum finalen Zeitsprung der Handlung scheint eine Wendung zum Guten - zumindest theoretisch - immer noch möglich, doch ganz am Ende wird es stattdessen geradezu bizarr. Es scheint legitim, diese groteske Schlussszene sowie die Distanz und Verständnislosigkeit, mit der man einem fremd gebliebenen Charakter zugesehen hat, dann auch einfach als Schwachpunkt der gesamten Konstruktion zu bewerten. Alles hinein geworfen in diese eine Figur und dabei wurde es dann zwangsläufig irgendwann zu viel und es bleibt nur der Weg ins Absurde.
Auch filmtechnisch gibt Anderson alles, spielt mit den Möglichkeiten der Kamera, zitiert Verse und Filme die aufzuzählen allein schon den Rahmen jeder Besprechung sprengen würde. Schon die rund 15-minütige, komplett dialogfreie Eröffnungssequenz kann man je nach dem als gelungenes Stilmittel, aber eben auch als sehr gewolltes Mätzchen bezeichnen. Dann wird es sogleich doppelbödig, lässt der Autor doch zwei Brüder vom selben Schauspieler darstellen. Da zudem der Erste (Paul) nicht wieder auftaucht, stellt sich die Frage, ob es sich bei dem Anderen (Eli) vielleicht um ein und dieselbe Person handelt? Nur eine von mehreren inhaltlichen Spielereien, aber in der Folge gibt es auch visuell immer wieder beeindruckende Bilder wie den brennenden Ölturm, oder vor Kraft berstende Szenen, wie diejenige in der Plainview genötigt wird öffentlich seine Sünden zu bekennen. Es möge aber auch niemand ein Panorama mit ständigen Schauwerten nach "Giganten"-Art erwarten, denn um eine Vorzeigeproduktion mit entsprechendem Riesenbudget handelt es sich hier natürlich nicht.
Das Comeback des Paul Thomas Anderson ist also ohne Zweifel hochinteressant, denn er hat einen ungewöhnlichen, manchmal auch sperrigen Film geschaffen, der aber ganz sicher auch nicht undiskutierbar ist - und sogar um so diskutierbarer wird, je mehr er sich seinem Ende nähert. Für die Verkörperung einer Über-Figur möge man Hauptdarsteller Daniel Day-Lewis gern mit allen noch verfügbaren Preisen zuschmeißen, er hat sie verdient. Aber es erzähle mir bitte keiner, er sei wirklich hinein gekommen, in den Kopf des Daniel Plainview.
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