England, 1966. Von den Swinging Sixties ist im staatlichen Radio nicht viel zu bemerken, dafür sorgt Minister Dormandy (Kenneth Branagh) höchstpersönlich. Doch der Piratensender "Radio Rock" macht ihm einen Strich durch die Rechnung, in dem er von einem Boot mitten auf der Nordsee Rockmusik über den Äther sendet. Und das rund um die Uhr. Ausgerechnet dorthin wird der frisch von der Schule geflogene Carl (Tom Sturridge) geschickt, um sein Leben neu zu ordnen. Senderchef Quentin (Bill Nighy) ist nämlich zufällig Carls Patenonkel. Carl, der eigentlich auf der Suche nach seinem leiblichen Vater ist, bekommt nun gleich achtfachen Vaterersatz vorgesetzt, nämlich in Form der durchweg exzentrischen DJs an Bord. Obwohl diese unterschiedlicher nicht sein könnten, verbindet sie ihre tiefe Leidenschaft für die Musik. Allen voran sind da "The Count" (Philip Seymour Hoffman), der für den Sender alles opfern würde, sein großer Rivale Gavin (Rhys Ifans), der nach der wahren Liebe suchende Simon (Chris O'Dowd) und Dave (Nick Frost), der Carl in Liebesangelegenheiten auf die Sprünge helfen will. Sex, Drugs and Rock 'n' Roll - an Bord von "Radio Rock" sind die 60er in vollem Schwung, mit allem, was dazu gehört. Aber Minister Dormandy und sein Gehilfe Twatt setzen alles daran, den Sender zu zerstören.
Mit seinem neuesten Werk hat sich Drehbuchautor und Regisseur Richard Curtis ("Notting Hill", "Tatsächlich Liebe") einen Kindheitstraum erfüllt. In der Anfangssequenz sieht man einen kleinen Jungen, der abends im Bett den Klängen der Piratensender lauscht - quasi die einzige Möglichkeit im spießigen England der 60er Jahre, Rockmusik zu hören. Genau so, erzählt Curtis, habe er sein Ohr ans Radio gepresst und sich vorgestellt, was für ein aufregendes Leben die DJs auf der Nordsee wohl führen. Dort, ein paar Kilometer außerhalb der britischen Hoheitsgewässer, lagen die Piratensender vor Anker, allen voran Radio Caroline, das als Vorbild für Radio Rock diente. Das Drehbuch basiert jedoch weniger auf historischen Fakten als auf Curtis' Erinnerungen und Vorstellungen über das Leben an Bord des "Boat that rocked", so der Originaltitel. Dass der Regisseur kein Problem hat, mehr als ein Dutzend großartiger Schauspieler für ein einziges Projekt zu gewinnen, hatte er bereits bei "Tatsächlich Liebe" bewiesen. "Radio Rock Revolution" ist aber nicht wie sein Vorgänger episodisch, sondern eher collagenhaft aufgebaut, was dazu führt dass einige Schauspieler des Ensembles einfach im Getümmel untergehen. Bestes Beispiel ist die Figur der lesbischen Köchin Felicity, einer Art Quotenfrau an Bord, deren Part nur für ein paar platte Gags gut ist. Gespielt wird die Rolle von der hierzulande eher unbekannten aber grandiosen Katherine Parkinson, die in England zusammen mit Chris O'Dowd (DJ Simon) Star der Comedy-Serie "The IT Crowd" ist, und deren Talent hier eigentlich komplett ungenutzt bleibt. Etwas mehr Raum zum Profilieren gibt es immerhin für Kenneth Branagh oder den neuseeländischen Comedian Rhys Darby ("Flight of the Conchords") als Angus, aber auch hier wäre noch mehr möglich gewesen. Ein genialer und mutiger Castingstreich ist allerdings Rhys Ifans als Sexsymbol Gavin, schließlich hatte Curtis ihn zuvor in "Notting Hill" Englands unattraktivsten Mitbewohner Spike spielen lassen. Nach seinem Auftritt als Lester Bangs in "Almost Famous" ist Philip Seymour Hoffman geradezu prädestiniert für die Rolle des philosophierenden Count, und sein Konkurrenzkampf mit Gavin um den Titel des besten DJs ist einer der komischen Höhepunkte des Films. Genial ist auch Bill Nighy als exzentrischer Quentin, der eigentlich für den Chef eines Piratensenders viel zu aristokratisch daherkommt. Derweil sorgen Nick Frost und Chris O'Dowd für die nötige Portion Humor. Kurz gesagt ein unglaublich vielfältiges Ensemble aus Schauspielern, denen man ansieht, wie viel Spaß sie bei den Dreharbeiten hatten. In gewisser Weise ist natürlich das Boot selbst der heimliche Star des Films - "Radio Rock Revolution" hätte niemals die gleiche Wirkung, wenn nur im Studio gedreht worden wäre. Schwachpunkt des Films ist die Handlung. Der rote Faden geht Richard Curtis bei seiner atmosphärischen Collage öfter mal verloren: er springt von Gag zu Gag, wirft eine Tanzeinlage ein, gibt sich einem Musikstück hin. Nach einer Weile wird das eher eintönig, zumal sich die Bilder von am Radio klebenden Schulkindern und tanzenden Sekretärinnen häufen und Curtis seinen Running Gag "Twatt" (übrigens eine Hommage an seine Figur "Darling" aus "Blackadder") etwas überstrapaziert.
"Radio Rock Revolution" ist bei weitem kein zweiter "Almost Famous" (auch wenn Cameron Crowe und Richard Curtis sicher viel Gesprächsstoff hätten), aber den Anspruch erhebt Curtis auch gar nicht. Daher hat man als Zuschauer am meisten von "Radio Rock Revolution", wenn man den roten Faden gar nicht erst sucht, sondern den Film als ein zweistündiges Musikvideo betrachtet, sich treiben lässt, den Soundtrack und die schrillen Outfits genießt und zusammen mit dem Regisseur von ein klein wenig Anarchie und Hedonismus im Alltag träumt.
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