One Battle After Another

Land
Jahr
2025
Laufzeit
161 min
Release Date
Bewertung
10
10/10
von Marc Schießer / 25. September 2025

BOOM. Da ist er. Der Film des Jahres. Und noch wichtiger: der Film der Stunde. Die Sorte Kunstwerk, von der wir nicht allzu oft welche zu sehen bekommen, bei denen man das Gefühl hat, alle Themen, Probleme und Stimmungen, die die Welt gerade so beschäftigen, konzentrierten sich wie auf magische Weise in einem Werk der Fiktion, das in sich geschlossen ebenso perfekt funktioniert, wie es gleichzeitig in jeder Sekunde über sich selbst hinaus verweist. Und einen nach zweieinhalb atemlosen und extrem unterhaltsamen Stunden wieder entlässt in das Chaos der echten Welt, mit dem Gefühl, es vielleicht ein bisschen besser zu verstehen als vorher. Das Chaos.

Das einst so chaotische Leben des ehemaligen Revolutionärs und linken Bombenlegers Bob Ferguson (Leonardo DiCaprio) hat sich mittlerweile zu einem drogeninduzierten Dämmerschlaf beruhigt, als seine Tochter Willa (Newcomerin Chase Infinity) plötzlich entführt wird. Im Bademantel und mit dem Joint noch in der Hand muss Bob sich sofort auf die Suche nach ihr machen und gerät in eine atemberaubende Flucht und Hetzjagd, die eine große Menge schräger Charaktere und brisanter Situationen auf den Plan ruft und seine alten Ideale auf den Prüfstand stellt.

Doch ich greife vorweg, denn zu Beginn steht erstmal ein anderer großer Knall, ein Feuerwerk, nämlich eine sechzehn Jahre in der Vergangenheit angesiedelte erste halbe Stunde, die auf spektakuläre Weise die Ausgangssituation für die oben beschriebene Kernhandlung herstellt. Schon allein dieser Startschuss ist erzählerisch gleichzeitig so komplex wie verspielt und jagt uns im erzählerischen Eiltempo durch mehrere Überfälle, Geiselnahmen und Explosionen.

Neben der extrem leidenschaftlichen und sexuell unersättlichen Aktivistin Perfidia Beverly Hills (gespielt von Reality-Star Tayana Taylor) lernen wir hier auch sofort den hervorstechenden (oder in seiner Einführungsszene „hervorstehenden“) Antagonisten, den rechtsextremistischen Colonel Lockjaw, kennen. Verkörpert von einem völlig entfesselten Sean Penn, der seine Rolle mehr als larger-than-life anlegt und sie sowohl mit einem völlig lächerlichen Actionman-Figur-artigen Gang, einer sehr merkwürdigen Frisur und diversen Gesichtsticks ausstattet. Und damit einen unfassbaren Volltreffer landet, denn sein Lockjaw schafft es gleichzeitig absolut lächerlich und total bedrohlich zu sein, ekelhaft manipulativ und dabei trotzdem irgendwie nachvollziehbar und seltsam tragisch. Eine herausragende Leistung, die sich einreiht in das dichte Geflecht dieses Films, der eigentlich ausschließlich aus herausragenden Leistungen besteht.

Das kommt vielleicht nicht allzu überraschend, denn Regisseur und Drehbuchautor Paul Thomas Anderson hat schließlich schon einige Meisterwerke auf dem Buckel, in denen er sich als Chronist der amerikanischen Geschichte verdingt hat. So fand er die Ursprünge des kapitalistischen Amerikas in brennenden Öltürmen, und die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs in verletzten Seelen, die in den Armen seltsamer Sektenführer Trost suchen. Charakterstudien verletzter Seelen sind dabei alle seine Filme, und im Kern auch allermeistens (Ersatz-)Familiengeschichten.

Was sich in „One Battle After Another“ nahtlos fortsetzt, denn die sehr überraschende und immer wieder Haken schlagende Story steht fest auf dem Fundament einer schwierigen Vater-Tochter-Beziehung, die nie aus den Augen verloren wird und auf wirklich absolut geniale Weise benutzt wird, um den immer stärker schwelenden Generationskonflikt unserer Zeit zu ergründen. Anders als in vielen anderen Filmen, die versuchen, den Zeitgeist zu porträtieren, z. B. Ari Asters eher misslungener „Eddington“, und dabei vor allem versuchen, möglichst viele Alltagssituationen, die das moderne Leben so ausmachen, genau abzubilden, wählt PTA einen anderen Weg: Social Media oder Handys spielen kaum eine Rolle in der sehr zeitlos anmutenden Welt, die der Film entwirft. Und trotzdem ist der Kommentar zur beispiellosen Uneinigkeit der (amerikanischen) Gesellschaft und den unüberwindbar erscheinenden Gräben zwischen den Generationen viel profunder, einfach weil die Figuren und die Geschichte in sich der perfekte Ausdruck eben aller Diskurse und Fallstricke unserer abgefuckten Gegenwart sind.

Auf brillante Weise verdichtet sich die chaotische Achterbahnfahrt nämlich immer mehr zu einem Kampf um Tochter Willas Seele und der Frage, wie eine zukünftige Generation mit der Zerrissenheit und Widersprüchlichkeit des Jetzt umgehen kann und wird. Und sie somit unser aller Zukunft gestalten wird. In einem großartigen Moment bringt PTA die verstörende Realität Amerikas (ebenso wie der restlichen Welt) meisterhaft auf den Punkt, wenn eine Tochter selbst im Angesicht ihres eigenen Vaters nicht mehr weiß, wen sie vor sich hat und ob man ihm vertrauen kann.

Und die unglaubliche Ambition dieses Werks zeigt sich unter anderem auch darin, dass sich Anderson nicht damit begnügt, die Finger in die Wunden zu legen und eine zynische Abrechnung abzuliefern – in den letzten Minuten formuliert er einen utopischen Kompromiss, ein mögliches Handreichen der Generationen und vielleicht einen Weg, der zwar nicht alle Lager in glücklicher Einigkeit vereint, aber doch eine friedliche Koexistenz ermöglicht.

Das klingt jetzt alles nach kopflastigem Problemfilm, und auch den etwas unbeholfenen Trailern merkt man eine gewisse Ratlosigkeit an, dieses ausufernde Werk irgendwie kommerziell vermarktbar zu machen. Was sich leider auch in den enorm schwachen Einspielprognosen bemerkbar macht, die bei Warner Bros. in diesem Moment wahrscheinlich für Angstschweiß sorgen, denn dieser Film hat je nach Quelle 120 bis 150 Millionen Dollar gekostet. Weswegen es mir hier ein großes Anliegen ist, den Verdacht des lahmen Weltverbesserungs-Kinos mit der Gewalt einer Bombenexplosion zu zersprengen. Denn dieser Film IST EINFACH SO UNFASSBAR UNTERHALTSAM.

Das exorbitante Budget macht sich nicht nur in der monumentalen Größe des Films und den wunderschönen analogen VistaVision-Aufnahmen bemerkbar, sondern sorgt auch für einige adrenalintreibende Actionsequenzen, unter anderem eine Verfolgungsjagd, die anders ist als jede, die man zuvor gesehen hat und allein schon das Eintrittsgeld wert ist. Sie ist der knallende Abschluss eines ungeheuer dynamischen Films, der im Minutentakt aufs Neue überrascht, provoziert und fesselt. Die meisterhafte Inszenierung wechselt dabei mühelos zwischen schnell geschnittenen Montagen, die uns Jahre von Handlung in Sekunden zusammenfassen, intensiven Verfolgungsmomenten in quasi Echtzeit, eingefangen in langen Steadicam-Fahrten, bis hin zu ruhigeren, introspektiven Momenten, die das Tempo kurzzeitig drosseln, uns die zahlreichen Figuren näherbringen und tatsächlich in die erzählerische Tiefe gehen. Der Rhythmus, den der Film in diesen verschiedensten Geschwindigkeiten und Stimmungen findet, ist dabei so treibend und soghaft, dass man sich dem verrückten Treiben einfach nicht entziehen kann.

Weil man auch viel zu sehr mit Lachen beschäftigt ist. Denn auch wenn keine Zeile dieser Kritik bisher danach geklungen hat, setzt PTA auf große Dosen Humor und hat so viele Gags und Situationskomik (und einen Benicio Del Toro in Bestform) parat, dass es absolut nicht verwundern würde, wenn er bei den Golden Globes als Komödie nominiert werden würde. Exemplarisch sei hier der Running Gag der Passwortabfrage der linksaktivistischen Telefonhotline genannt, deren Beantwortung der crackverseuchte Verstand von DiCaprios Bob partout nicht mehr auf die Reihe kriegt. Das verzweifelt-wütende Hin und Her sorgt auch dank DiCaprios grandiosem Timing und seiner verspulten und sehr uneitlen Performance für einige der besten Lacher. Gleichzeitig funktioniert das Gespräch aber auch wieder als perfekte Metapher für die manchmal kleinlichen, elitären Grabenkämpfe der politischen Linken, die leider mit zur Erstarkung der Rechten beigetragen haben. Und so kommt man immer wieder dazu hervorheben zu müssen, wie gekonnt hier die Bedeutungsebenen und Denkanstöße in Form reiner, großartiger Unterhaltung in unsere Köpfe geschmuggelt werden.

Es bleibt also nur zu hoffen, dass das geradezu überwältigende weltweite Kritiker-Echo, das den Film auch bei den kommenden Oscars in zahlreichen Kategorien als absoluten Favoriten sieht, einen kleinen Teil dazu beiträgt, dass dieser Film doch noch ein großes Publikum findet. Denn besser wird es in nächster Zeit nicht mehr. Im Kino. Hoffentlich dafür wieder mehr in der echten Welt. Wie das funktionieren könnte, dazu hat sich Paul Thomas Anderson ein paar kluge Gedanken gemacht.

Bilder: Copyright

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