Nyad

Land
Jahr
2023
Laufzeit
121 min
Genre
Release Date
Streaming
Bewertung
6
6/10
von Matthias Kastl / 5. November 2023

Am 2. September 2013 erfüllte sich die amerikanische Langstreckenschwimmerin Diane Nyad einen lebenslangen Traum. Im Jahr 1978 war die damals 28jährige noch daran gescheitert von Kuba nach Florida zu schwimmen, doch im stolzen Alter von 64 Jahren schaffte sie es dann tatsächlich die knapp 180 Kilometer zwischen Havanna und Key West zu überwinden. Und das ganz ohne Haikäfig, was zuvor noch keinem anderen Menschen gelungen war.

Das klingt nach einer ziemlich spektakulären und inspirierenden Geschichte, und wo die sind, ist Hollywood ja bekanntlich nicht weit. Mit dem Regie-Ehepaar Elizabeth Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin scheint sich dann auch gleich ein passendes Team für deren Umsetzung gefunden zu haben, schließlich haben die beiden mit ihrem Oscar-prämierten Dokumentarfilm “Free Solo“ ja bereits gute Erfahrungen mit dem Thema Extremsport gemacht. Doch die Anforderungen an einen Dokumentarfilm sind andere als an einen Spielfilm und am Ende entpuppt sich ihre namhaft besetzte fiktive Ausarbeitung der Ereignisse trotz kompetenter Inszenierung als etwas zu seelenlos, um einen auch emotional wirklich tiefschürfender berühren zu können.


Nicht ganz überraschend dringt der Dokumentarfilmhintergrund der beiden Macher im Film hier und da noch durch, da man unter anderem Originalfernsehaufnahmen von Dianas erstem Rekordversuch von 1978 einbaut. Die meiste Zeit verbringen wir hier allerdings mit der älteren und von Annette Bening (“Being Julia“,“American Beauty“) gespielten Version von Diana und deren Vorbereitungen auf die Umsetzung ihres wiederentdeckten Lebenstraums. An ihrer Seite fungiert ihre beste Freundin Bonnie (Jodie Foster, “Panic Room“, “Der Gott des Gemetzels“) als Trainerin, die sich angesichts des gefährlichen Unterfangens vor allem um die Gesundheit ihrer dickköpfigen Freundin Sorgen macht. Ergänzt wird das Team unter anderem noch von dem Navigator John Bartlett (Rhys Ifans, “The Amazing Spider-Man“, “Notting Hill“), der mit der ziemlich egomanischen Extremsportlerin allerdings so seine Probleme hat. Doch zwischenmenschliche Spannungen sind angesichts von drohenden Haiattacken und unberechenbaren Strömungen hier erst mal noch die geringsten Probleme.

Bei solch einer übermenschlichen Leistung sollte es ja eigentlich eine ausgemachte Sache sein, dass sich das Publikum am Ende des Filmes gemeinsam mit der Hauptfigur über das erreichte Ziel freut. Nicht wenige dürften sich am Ende von "Nyad" aber wohl dabei ertappt fühlen, seltsam unterkühlt mit Diane über die Ziellinie zu schreiten bzw. zu schwimmen. Dazu, was da schief gelaufen ist, kommen wir gleich, wollen aber erst mal vorneweg ein wichtiges Lob loswerden. Es ist einfach schön zu sehen, dass es immer noch Filme gibt, die entgegen der Gepflogenheit Hollywoods auch spannende Rollen für ältere Frauen in das Zentrum ihrer Geschichte stellen. Umso frustrierender ist es dann aber natürlich, dass es am Ende zu nicht viel mehr als einem halbwegs ordentlichen Endergebnis reicht.

Dabei macht "Nyad" durchaus einiges richtig. Die Idee Dianes Motivation für den scheinbar wahnsinnigen Rekordversuch durch geschicktes Untermischen echter Originalaufnahmen von ihrem gescheiterten Versuch 35 Jahre zuvor zu untermauern ist ein cleverer Einfall. Ihr Kampf im Wasser gegen die Naturgewalten ist überzeugend inszeniert und es ist faszinierend dabei zuzuschauen, mit welchen Einfällen das Team den Naturgewalten und der gefährlichen Fauna trotzen möchte. Welche unmenschlichen Kräfte Diane dafür aufbringen muss, wird ebenfalls ziemlich eindrücklich transportiert, da Annette Bening hier gerade körperlich wirklich an die Grenzen geht und dabei keinerlei Scheu hat, die Verletzlichkeit ihres nicht mehr jugendlichen Körpers vor der Kamera zu offenbaren.


An Benings Seite gibt die zweifache Oscar-Gewinnerin Jodie Foster dabei ebenfalls eine interessante Figur ab. Als muskelbepackte Bonnie mit wehender Haarpracht versprüht sie hier das Flair einer würdevoll gealterten Surflehrerin, was angesichts Fosters früherer Rollen kurz etwas irritierend (ja fast belustigend) wirkt, dann aber schnell in Neugier umschlägt. Schließlich ist Foster einfach zu gut, um irgendeine Figur in Klischees versinken zu lassen, findet auch hier geschickt Wege um Bonnie vielschichtig anzulegen und weckt so schnell Vorfreude auf ihre Interaktion und das anstehende Abenteuer mit Diane.

Es wird dabei schnell klar, dass es eine der zentralen Aufgaben von Bonnie sein wird, die kleinen Egotrips ihrer Freundin im Zaum zu halten. So zieht Bonnie Diane immer wieder schnell zur Seite, wenn diese sich zum Beispiel wieder einmal vor Leuten zu ausführlich selbst feiert oder eigene Teammitglieder mit ihrem deutlich aufgeblasenen Ego herablassend behandelt. Doch Bonnie hat leider auch noch andere Aufgaben, und so gibt es noch immer genügend Gelegenheiten für Diane, um ein möglichst unsympathisches Bild von sich zu zeichnen. Womit wir dann auch zum großen Elefanten im Raum kommen.

"Nyad" schafft es in kürzester Zeit seine Hauptfigur als ziemliches Arschloch dastehen zu lassen, deren überbordendes Ego ihre Mitmenschen entweder mit herablassenden Kommentaren oder markig-nervigen Motivationssprüchen beglückt. Gerade die Arroganz gegenüber den eigenen Teammitgliedern, die für Diane teils ihre Existenzen aufs Spiel stellen, lässt nach einer Zeit deutlich den Puls nach oben schnellen. Und man ertappt sich schon fast dabei zu denken, dass es für Diane vielleicht besser wäre hier krachend zu scheitern, als durch einen Erfolg noch einen weiteren Egoschub zu erhalten.


Nun kann es sein, dass dieses Charakterporträt sehr nahe an der Wahrheit liegt. Es ist ja auch nicht untypisch, dass solch "besessene" Menschen im sozialen Umgang mit dem ein oder anderen kleinen "Defekt" daherkommen. Auch in "Free Solo", in dem unsere Regie-Ehepaar ja einen Extremkletterer portraitiert hatte, war die Hauptfigur in diesem Bereich mit ein paar Schwächen ausgestattet (was sich zum Beispiel durch deren Beziehungsunfähigkeit zeigte). Dort aber war das leicht verzeihbar, weil die Figur trotzdem  genug andere sympathische Eigenschaften hatte.

Genau die sind hier aber Mangelware. Damit so ein Film dann aber auch gerade als Spielfilm emotional funktioniert, hätte man diesen Punkt in "Nyad" aber irgendwie clever aufgreifen oder uns zumindest soviel Abwechslung bieten müssen, dass man darüber hinwegschauen kann. Stattdessen hat man aber das Gefühl, dass das Drehbuch weiter darauf beharrt hier eine nette Feel-Good-Story durchzuziehen und gemütlich einem Finale entgegen zu tuckern, bei dem man der Figur alle Schwächen angesichts des Erreichten schon irgendwie verzeihen kann.

Kann man nicht. Es rächt sich auch, dass der Film auf dem Weg auch noch ein paar andere Chancen liegen lässt, die für emotionalen Tiefgang hätten sorgen können. Dass Diane in der Kindheit sexuell belästigt wurde, wird zwar mal kurz in nicht sonderlich gut umgesetzten Rückblenden eingestreut, nie aber so richtig aufgegriffen. Genauso wie die tödliche Krankheit einer Figur, die ziemlich lieblos nur im Vorübergehen erwähnt wird, da man sie für den nächsten Storypunkt braucht. Hier erinnert der Film fast ein bisschen an seine Hauptfigur – es zählt alleine nur der Rekordversuch.

Und so packt sich "Nyad" eine ziemlich schwere Hypothek auf den Rücken, die der Film eben nur bedingt ausgleichen kann. Es ist vor allem den toll spielenden Hauptdarstellerinnen und den starken Sequenzen auf dem Ozean zu verdanken, dass man trotzdem noch am Ball bleibt – auch wenn das große Finish dann emotional deutlich verpufft. Hoffen wir einfach, dass Bening und Foster bald die Gelegenheit bekommen werden ihre Klasse in den Dienst eines deutlich besseren Drehbuchs stellen zu können.

Bilder: Copyright

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Aufgabe prüft, ob du menschlich bist um Bots zu verhindern.