Es waren viele Jahre, die die Freunde von „Spider-Man“ auf eine angemessene Verfilmung der populären Comic-Figur warten mussten. Ein angedachtes Projekt von James Cameron verfing sich im Netz der damals ungeklärten rechtlichen Situation, doch als dieses schließlich entworren werden konnte, überzeugte stattdessen Sam Raimi mit einer insgesamt äußerst zufriedenstellenden Trilogie, die sowohl beim Publikum als auch bei den Kritikern großen Anklang fand und lediglich beim überfrachteten dritten Teil inhaltlich etwas schwächelte. Doch kommerziell war man auch damit weiterhin erfolgreich und es ist ausschließlich den unterschiedlichen Vorstellungen des produzierenden Studios Sony auf der einen sowie Regisseur Raimi und Hauptdarsteller Tobey Maguire auf der anderen Seite geschuldet, dass man nicht einfach mit einem vierten Teil weitermachte.
Womit auch die berechtigte Frage, warum denn eine derart beliebte Filmreihe nun nach so kurzer Zeit bereits einen „Reboot“, also einen kompletten Neustart erfährt, im Grunde sehr leicht und eindeutig zu beantworten ist: Weil man sich eben mit den bisherigen Hauptverantwortlichen nicht auf eine weitere Fortsetzung einigen konnte, die lukrative Marke „Spider-Man“ aber natürlich trotzdem weiterhin am Köcheln halten möchte. Das ist aus wirtschaftlicher Sicht nachvollziehbar, ließ aber für die kreative Seite doch gewisse Bedenken aufkommen. Zwar kann man nicht behaupten, dass sich die neu in der Verantwortung stehenden für „The Amazing Spider-Man“ nicht alle Mühe gegeben hätten, trotzdem bleibt nach Betrachten des Films doch das schale Gefühl zurück, dass dieser nicht unbedingt nötig gewesen wäre.
Seit Peter Parker (Andrew Garfield) als Kind in einer Nacht- und Nebel-Aktion von seinen Eltern verlassen wurde, lebt der introvertierte Teenager bei seinem Onkel Ben (Martin Sheen) und seiner Tante May (Sally Field). Er schwärmt zwar für seine Klassenkameradin Gwen Stacy (Emma Stone), ist aber viel zu schüchtern sie anzusprechen und vergräbt sich lieber in wissenschaftliche Forschungen. Dabei stößt er auch auf alte Akten seines Vaters und dessen Verbindung zu dem bekannten Forscher Dr. Curt Connors (Rhys Ifans), der seit langem daran arbeitet eine Methode zu finden, bei der körperlich benachteiligten Menschen durch die Verschmelzung mit den Genen anderer Spezies geholfen werden kann.
Bei einem Besuch in Connors' Laborräumen stößt Peter auf eine merkwürdige Versuchsanordnung und wird schließlich schmerzhaft von einer Spinne gebissen. Schon kurz darauf stellt er fest, dass er deutlich stärker geworden ist und noch weitere, spinnenähnliche Kräfte besitzt. Wie er diese einsetzen soll, wird ihm allerdings erst nach einem tragischen Zwischenfall klar, bei dem sein Onkel Ben nicht zuletzt durch Peters Fahrlässigkeit ums Leben kommt. Als kostümierter „Spider-Man“ kämpft er von da an gegen Verbrecher und weiht auch Gwen in seine neue Identität ein. Dass deren Vater (Denis Leary) seinem maskierten Alter Ego äußerst skeptisch gegenüber steht erschwert die Sache aber mindestens genauso wie die langsame Veränderung von Dr. Connors, der seine Formel an sich selbst ausprobiert und daher nun zur unberechenbaren „Echse“ mutiert.
„The Dark Spider Rises“ wäre wohl auch ein passender Titel gewesen für diese außerordentlich ernst und düster daherkommende Neuinterpretation des sonst trotz aller Probleme immer auch leicht und beschwingt agierenden, stets ein paar lockere Sprüche klopfenden Netzschwingers – denn eine auf Lacher angelegte Figur wie etwa der cholerische Zeitungsherausgeber J. Jonah Jameson ist hier weit und breit nicht zu finden. Womit auch klar sein dürfte, in welche Richtung man sich hier orientiert hat. Ob das nun tatsächlich aus dem Kalkül heraus geschah, sich damit an die außerordentlich gut laufende „Batman“-Reihe anzuhängen oder ob man das einfach macht um sich irgendwie von den vorherigen „Spider-Man“-Filmen abzusetzen bleibt dahingestellt, vermutlich ist es aber eine Mischung aus beiden Aspekten.
Genauso unentschieden eiert man bei Sony allerdings auch in der Eigenwerbung herum und spricht lieber mal nicht direkt von einem kompletten Neustart (obwohl es sich um nichts anderes handelt), sondern fabuliert lieber von einem „neuen Kapitel aus dem Vermächtnis von Spider-Man“ und einer „bislang noch nicht erzählten Geschichte“. Was natürlich zu einem guten Teil Unfug ist, denn schließlich sehen wir den armen Peter sich hier nicht das erste Mal von einer Spinne beißen lassen und kurz darauf den Tod seines geliebten Onkels Ben beweinen. Womit wir aber auch schon bei den Nuancen angekommen wären, denn „geliebt“ wird der Ersatzvater hier von unserem Helden nicht immer. Dieser Peter Parker hier ist vielmehr ein sehr zorniger junger Mann, welcher mit der Welt und vor allem seinem Schicksal als von den leiblichen Eltern einst zurückgelassenes Kind hadert. So stellt er sich später auch gar nicht wirklich in den grundsätzlichen Dienst eines „Kampfes gegen das Verbrechen“, sondern sucht im Grunde stets nur nach dem Mörder seines Onkels. Was dessen Vermächtnis betrifft, so ist es förmlich spürbar wie die Autoren recht verzweifelt nach einer Formulierung gesucht haben, die sich in irgendeiner Form vom genauso berühmten wie strapazierten Satz „Mit großer Macht kommt auch große Verantwortung“ absetzt. Das, was sie schließlich gefunden haben, dürfte sich jedoch kaum irgendwo im Sprachsatz festsetzen.
Andrew Garfield („The Social Network“) verkörpert seine Rolle voller Wut und Unzufriedenheit äußerst überzeugend und erweist sich als gute Wahl, allerdings geht er als „Nerd“ und Außenseiter höchstens mit seinem Verhalten durch, äußerlich erinnert er dagegen kaum an den schmächtigen und eher unscheinbaren Bücherwurm. Für die mindestens genauso talentierte Emma Stone („Einfach zu haben“) bietet ihre Gwen Stacy (auch in den Comics war diese die erste echte Freundin von Peter, noch vor Mary Jane) dagegen nur wenig Möglichkeiten, ihre Stärken auszuspielen und bleibt trotz allen zur Schau getragenen Selbstbewusstseins erstaunlich blass. Und wenn die in Wahrheit 23-jährige und auch keinen Tag jünger wirkende Darstellerin sich hier ihrem Vater gegenüber mit „Daddy, ich bin schon 17“ positioniert, wird die Glaubwürdigkeit schon etwas strapaziert und vom 28-jährigen „Teenager“ Garfield wollen wir in der Hinsicht mal besser gar nicht erst reden. Bei den gestandenen Mimen, derer man sich für die Nebenrollen bedient, gibt es ansonsten aber durchweg solide Leistungen zu vermerken, aus denen am ehesten noch Rhys Ifans als gespaltene Persönlichkeit etwas heraussticht und in dieser Kategorie somit die Nachfolge eines Norman Osborn/Willem Dafoe antritt.
Allerdings bleibt die Motivation für die Aktionen des Dr. Connors bzw. der „Lizard“ im späteren Verlauf reichlich unklar, was uns zu den Problemen in Punkto „Handlungsaufbau“ führt, und die sind leider zahlreich. Das betrifft neben der unscharf gezeichneten Figur des Gegenspielers nämlich auch die des Titelhelden, von dem es hier erstaunlich wenig zu sehen gibt, jedenfalls nicht im Kostüm. Der Schwerpunkt liegt stattdessen eindeutig auf dem „privaten“ Peter Parker und dessen Befindlichkeiten inklusive der ebenfalls viel Raum einnehmenden Romanze. Das wundert vielleicht etwas weniger, wenn man bedenkt, das Regisseur Marc Webb bisher nur einen einzigen echten Kinofilm inszeniert hat, und das war eben mit „(500) Days of Summer“ ebenfalls ein sehr romantischer. Von dessen Schwung und Leichtigkeit er allerdings kaum etwas in diese gewollt schwermütige Mainstream-Produktion herübertragen konnte oder durfte.
Was dann dazu führt, dass der Film vor allem im Mittelteil doch einige Längen aufweist und die echten Actionsequenzen sehr überschaubar sind. Und auch hier eine kaum erklärliche Unausgewogenheit: Während sich der Spinnenmann zunächst noch deutlich überzeugender und realistischer durch die Straßenschluchten schwingt als zumindest im ersten Teil der „alten“ Reihe, verfällt man dann beim Endkampf doch wieder in die gleiche Videospielästhetik und reißt auch mit einem mal wider sehr laschen 3D-Effekt nicht viel raus. Interessant ist dagegen die Idee, dass hier eine deutlich stärkere Verschmelzung von Mensch und Tier präsentiert wird, bei der sich der gebissene Peter tatsächlich mehr wie eine Spinne verhält (womit man sich an eine einst von J.-M. Straczynski geschriebene Comic-Story anhängt). Jedenfalls zunächst, denn auch dieser Aspekt gerät im Verlauf ins Hintertreffen, und wenn der veränderte Peter seine neuen Kräfte erst überhaupt nicht kontrollieren kann und bei jeder Bewegung etwas aus der Wand reißt oder zerstört, so scheint er damit nur wenige Minuten später bereits keinerlei Probleme mehr zu haben.
Doch, da passt Einiges nicht zusammen und mit „Düsternis“ alleine schafft man noch keinen automatisch guten oder anspruchsvollen Film. Zumal hier nie eine derart komplexe Welt oder eine Verschmelzung mit der urbanen Umgebung geboten wird wie in den „Batman“-Filmen des Christopher Nolan. Da greift man dann doch lieber zum „Original“ und es besteht durchaus die Gefahr, dass dieser genauso schwermütige wie schwerfällige neue „Spider-Man“ dann etwas unterzugehen droht, im diesjährigen Sandwich zwischen der humorvollen Action-Schlachtplatte „Avengers“ und dem vorerst letzten Auftritt des dunklen Ritters. Ganz unverdient wäre dieses Schicksal aufgrund der genannten Schwächen allerdings nicht.
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