Es wird einem als Cineasten ja aktuell richtig warm ums Herz, wenn man auf die Liste der Neuerscheinungen blickt. Erst der neue Nolan, jetzt der neue Kaufman – angesichts der düsteren Aussichten für das Kino ist das genau der Balsam, den wir Filmliebhaber für unsere Wunden so dringend benötigen. Auf den ersten Blick könnten die Gesamtwerke dieser beiden Künstler ja unterschiedlicher kaum sein. Es eint Nolan und Kaufman aber, dass sie zu dem illustren Kreis jener Filmemacher gehören, die über eine wirklich einzigartige künstlerische Stimme verfügen. Und die auch nicht davor zurückschrecken, die Gehirnzellen ihres Publikums mit komplexen Inhalten zum Duell herauszufordern.
Dieses Jahr ist den beiden aber noch etwas Anderes gemein. Nämlich, dass sie im Rausch ihrer Liebe für komplexe Szenarien noch weniger Wert darauf zu legen scheinen, die Handlungen ihrer Geschichten für das Publikum im Detail nachvollziehbar zu machen. In "I'm thinking of ending things" treibt es Kaufman dabei auf die Spitze und spielt nicht nur mit unterschiedlichen Zeitebenen, sondern auch wechselnden Identitäten und Realitäten. Ein Jongleursakt, der beim Zuschauer (zumindest beim ersten Anschauen) aber für mehr Verwirrung als Faszination sorgt.
Die Geschichte von "I'm thinking of ending things" orientiert sich dabei am gleichnamigen und vielumjubelten Psycho-Thriller des kanadischen Autors Iain Reid. Die junge Lucy (Jessie Buckley) wird darin von ihrem neuen Freund Jake (Jesse Plemons) dazu eingeladen, doch dessen auf dem Land lebende Eltern kennen zu lernen. Jake ahnt dabei nicht, dass seine weibliche Begleitung eigentlich plant die Beziehung schnellstmöglich wieder zu beenden. Dazu wird es aber so schnell nicht kommen, denn der Aufenthalt auf der Farm von Jakes Eltern (gespielt von Toni Collette und David Thewlis) hält so einige seltsame Überraschungen parat.
Was diese Überraschungen sind, wird hier natürlich nicht verraten. Wer Charlie Kaufman kennt ahnt aber schon, dass uns hier alles andere als ein handelsüblicher Thriller erwartet. Eher ein Metaebenen-Fest, in dem uns einer der begnadetsten Drehbuchautoren der Welt mal wieder mit auf eine Reise durch seine wilde Phantasie nimmt. Was im besten Fall absolut grandioses Kino bedeutet, wie "Being John Malkovich", "Vergiss mein nicht" oder die ultimative Hommage ans Drehbuchschreiben "Adaptation" gezeigt haben.
Bei diesen Filmen gab es aber immer noch einen Regisseur, der den Wildwuchs von Kaufmans Phantasie in die richtigen Bahnen leiten konnte. Was passieren kann, wenn Kaufman keinen Michael Gondry oder Spike Jonze als Kontrollinstanz vorgeschaltet bekommt, durfte das Publikum dann im nur schwer verdaulichen "Synecdoche, New York" durchleiden – Kaufmans eher frustrierendem Regiedebüt. Daraus schien Kaufman aber gelernt zu haben und servierte uns mit seiner zweiten Regiearbeit "Anomalisa" ein wundervolles kleines Filmjuwel, das (zumindest für Kaufman) angenehm simpel und geradlinig daherkam.
Simpel ist aber nun wirklich das letzte Wort, mit dem man die Handlung von "I'm thinking of ending things" beschreiben könnte. Leider (für manche vielleicht glücklicherweise) wird Kaufman wieder einmal Opfer seiner eigenen Brillanz und dreht einen Film, der spätestens nach der Hälfte vergisst, die wirre Gedankenwelt seines Schöpfers für das Publikum auch nur halbwegs verständlich aufzubereiten. Dabei beginnt der Film noch relativ simpel. Reduziert auf nur zwei Charaktere und eine Autofahrt nutzt Kaufman dieses einfache Grundszenario, um in der Unterhaltung zwischen seinen beiden Protagonisten auf clevere Art und Weise große philosophische Fragen mit wundervollen kleinen und emotionalen Charaktermomenten zu vermischen. Er zeichnet damit ein faszinierendes Bild dieser zum Scheitern verurteilten Romanze.
Das ist nicht nur meisterhaft geschrieben, sondern vor allem von der Newcomerin Jessie Buckley auch noch absolut grandios gespielt. Buckley ist überhaupt die wohl größte Stärke des Films und eine der schönsten schauspielerischen Neuentdeckungen dieses so ungewöhnlichen Filmjahres. Alleine ihrem wundervollen Porträt der innerlich zerrissenen Lucy ist es zu verdanken, dass man im späteren Kreativ-Overkill des Drehbuchs noch emotional am Film angedockt bleibt. Eher blass bleibt dagegen Jesse Plemons, auch wenn es durchaus dramaturgische Gründe hat, warum er sich zunächst weniger in den Vordergrund spielt. Trotzdem könnte man gefühlt noch Stunden mit diesen beiden Charakteren im Auto verbringen.
Was sicher auch daran liegt, dass es mit Abstand die verständlichste Passage von "I'm thinking of ending things" ist. Mit der Ankunft bei der Farm ändert sich aber das Bild und die Komplikationen erreichen nicht nur für die Hauptfiguren, sondern auch für das Publikum ein ganz neues Level. Los geht es schon mit der überspitzten Darstellung von Jakes Eltern, die als ziemliche Freaks daherkommen. Was natürlich beabsichtigt ist, leider aber weniger interessant, sondern eher nervig daherkommt. Das gewollte Overacting von der eigentlich sonst so verlässlichen Toni Collette und von David Thewlis reißt einen eher emotional aus der Geschichte, als das es einen tiefer hineinzieht.
Viel schwerer für den weiteren Fortgang der Geschichte wiegt aber, dass mit der Ankunft auf der Farm der Autor Charlie Kaufman gefühlt ohne Aufpasser auf eine prall gefüllte Ideenwiese losgelassen wird. Was nun folgt ist ein konstantes Bombardement des Zuschauers mit kreativen Einfällen und surrealen Andeutungen, die den Film alle fünf Sekunden in eine neue Richtung lenken und neue philosophische Fragen aufwerfen. Das Problem sind dabei nicht die Ideen an sich, sondern die Tatsache, dass Kaufman dem Publikum keinerlei Verschnaufpause gönnt, das gerade Gesehene irgendwie einordnen oder gar darüber reflektieren zu können. Das Ideenkarussell dreht sich einfach zu schnell, um darauf intellektuell aufspringen zu können.
Und da kommen wir dann auch schon zu einem wichtigen Punkt, der darüber entscheidet ob man den Film nun als Meisterwerk oder als eine anstrengende und viel zu überfrachtete intellektuelle Achterbahnfahrt wahrnimmt. Wer nicht darauf angewiesen ist, irgendeine Art von roten Faden hingeworfen zu bekommen, der dürfte von Charlie Kaufmans filmischem "stream of consciousness" fabelhaft unterhalten werden. Wer aber, wie der Autor dieser Zeilen, zumindest einen kleinen Story-Anker benötigt um hier emotional mitzufiebern, der dürfte spätestens im letzten Drittel frustriert die Flinte Richtung Korn werfen.
Spätestens wenn unsere beiden Protagonisten für eine nächtliche Stärkung eine sehr surreale Eisdiele aufsuchen, bekommt das Ganze nämlich auch noch eine gehörige Dosis David Lynch injiziert. Nur das dessen Filme gegenüber dem, was Kaufman hier veranstaltet, fast gradlinig wirken. Erschwert wird dies alles noch dadurch, dass Kaufman bewusst viele Hinweise aus der Buchvorlage, über das was hier eigentlich passiert, entfernt hat. Man will es dem Publikum ja auch nicht zu einfach machen. In Interviews gab er dann auch deutlich zu verstehen, dass ihn die Twists des Buches überhaupt nicht interessiert haben. Eine Entscheidung, die dafür sorgt, dass man sich als Zuschauer nach einer gewissen Zeit vor allem eine Frage stellt: Um was zum Teufel geht es hier jetzt eigentlich?
So allein gelassen hat Kaufman seine Zuschauer bisher nur selten. Und genau das ist hier der Vorwurf. Jetzt kann man natürlich argumentieren, dass dies ja gerade die große Stärke des Films ist und vieles sich eben erst beim mehrfachen Anschauen erschließt und einfach Interpretationssache ist (der Film selbst wirft ja auch geschickt ein, dass man ja eigentlich nur den eigenen Gedanken vertrauen sollte und alles andere sowieso nicht echt ist). Und gibt es ja nicht auch noch so viele faszinierende kleine Details zu entdecken? Gerade Filmliebhaber und das Feuilleton kommen hier, wie immer bei Kaufman, voll auf ihre Kosten und dürfen sich selbst auf die Schulter klopfen, wenn sie zum Beispiel so etwas wie die Pauline Kael-Hommage entdecken.
Aber was bringt ein Haufen spannender intellektueller Häppchen und doppeldeutiger Rätsel, wenn ich keine Zeit oder Hilfsmittel bekomme diese auch wirklich verarbeiten und einordnen zu können? So faszinierend viele Aspekte des Films auch sein mögen, "I'm thinking of ending things" ist am Ende einfach viel zu überladen, um ihn wirklich ins Herz schließen zu können. Es mag sein, dass der Autor dieser Zeilen seine Meinung nach einem zweiten Anschauen etwas revidieren würde. Aber es ist einfach schwierig sich dafür zu motivieren, wenn man das Gefühl hat, dass Kaufman überhaupt nicht daran interessiert ist seinem Publikum einen echten Zugang zu seinem Film zu ermöglichen.
So bleibt am Ende ein Gefühl aus Verwirrung und Faszination, Neugier und Frust. Kaufman hat definitiv einen Film gemacht, der für jede Menge Interpretationsmöglichkeiten und Diskussionsstoff sorgt. Ob das Ganze aber auch Spaß macht, liegt nachher an der Bereitschaft des Zuschauers sich mit Kaufmans Welt intensiver befassen zu wollen. Angesichts der frustrierenden Einlassbedingungen in diese Welt ist das aber am Ende schon eine verdammt hohe Hürde.
Neuen Kommentar hinzufügen