Guillermo Del Toros Pinocchio

Land
Jahr
2022
Laufzeit
117 min
Release Date
Streaming
Bewertung
8
8/10
von Matthias Kastl / 12. Dezember 2022

So richtig von den Socken hauen konnte uns drüben auf Disney+ Robert Zemeckis Interpretation von “Pinocchio“ diesen September ja leider nicht. Zugegeben, so überraschend kam das nicht wirklich. Zum einen passt der episodenhafte Charakter der literarischen Vorlage ja schon rein dramaturgisch eigentlich eher besser in ein serielles Format, zum anderen hat Zemeckis seine besten Regiejahre (“Zurück in die Zukunft“, “Forrest Gump“, “Contact“) nun ja auch schon hinter sich. Ganz anders als Guillermo del Toro (“Nightmare Alley“, “Pan's Labyrinth“) und so ist es nicht gerade ein Schock, dass dessen Pinocchio-Interpretation nun deutlich visionärer und interessanter daherkommt. Nicht nur optisch wirkt sein Stop-Motion-Werk unglaublich liebevoll und kreativ, auch der ein oder andere neu hinzugekommene düstere Story-Aspekt verhilft dem Film zu deutlich mehr emotionalem Gewicht. Aber auch unser mexikanischer Oscar-Gewinner kann am Ende nicht alle dramaturgischen Nachteile der Original-Vorlage komplett vergessen machen.  

Eines haben die beiden Verfilmungen auf jeden Fall gemeinsam, sie entscheiden sich beide die Originalgeschichte um eine wichtige emotionale Hintergrundkomponente zu erweitern. So fertigt auch in “Guillermo Del Toros Pinocchio“ der alte italienische Schreiner Geppetto (David Bradley, “Games of Thrones“) die Holzfigur Pinocchio (Gregory Mann) in Gedenken an seinen viel zu jung verstorbenen Sohn an. Für den weiteren Verlauf der Geschichte orientiert sich auch Guillermo del Toros Version dann über weite Strecken vor allem an der Disney-Verfilmung aus dem Jahr 1940. So trifft man auf solch vertraute Nebenfiguren wie die Grille (Ewan McGregor) oder den geldgierigen Direktor eines Wanderzirkus (Christoph Waltz, “Spectre“, “Inglourious Basterds“), der sich von Pinocchio vor allem eine klingelnde Kasse für sein Marionettentheater verspricht. Aber del Toro wäre natürlich nicht del Toro, wenn er nicht auch noch ein paar düstere Farben außerhalb der Disney-Farbpalette auftragen würde. Und so bietet der Film auch noch Platz für einen faschistischen Ortsvorsteher (Ron Perlman, “Hellboy“, “Pacific Rim“) und gar Benito Mussolini himself.

Bereits die erste Viertelstunde von “Guillermo Del Toros Pinocchio“ macht deutlich, dass sich del Toro und sein Regiepartner Mark Gustafson jede Menge clevere Gedanken darüber gemacht haben, wie man die allseits bekannte Geschichte von Pinocchio um ein paar interessante neue Facetten erweitern kann. So entscheidet man sich die Geschichte ausgerechnet in die Blütezeit des italienischen Faschismus zu legen, was dem ganzen Setting schon von Anfang an etwas Bedrückendes verleiht und in einem spannenden Kontrast zur unbeschwerten Leichtigkeit unserer frisch zum Leben erweckten Holzfigur steht. Um emotional dann auch gleich richtig in die Vollen zu gehen präsentiert man uns zu Beginn erst einmal die tragische Vorgeschichte rund um Geppettos Sohn. Ein kluger Schachzug, denn dank der genauso liebevoll wie bewegend inszenierten Backstory wird eine wichtige Grundlage für die Identifikation mit dem italienischen Schreiner gelegt und das Gefühlskorsett des Publikums schon mal ordentlich festgezogen.

Der eigentliche Star ist aber die wirklich großartig umgesetzte Stop-Motion-Technik. Den Machern gelingt dank dieser ein unglaublich detailreicher und liebevoller Look, der genauso herzerwärmend wie unverbraucht wirkt. Traditionelle Stop-Motion wird dabei um einige moderne Techniken ergänzt (Stichwort Bewegung) und auch das Design der Puppen ist ziemlich einfallsreich – so wie hier hat man die Figur des Pinocchio auf jeden Fall noch nie gesehen. Der Film kreiert so eine wundervolle Atmosphäre, die (zumindest im Original) durch die tolle Arbeit der Sprecher und Sprecherinnen noch weiter verstärkt wird. Zugegeben, es ist natürlich auch eine Luxussituation selbst für kleine Nebenrollen auf Schauspielerinnen wie Cate Blanchett (“Aviator“, “Babel“) und Tilda Swinton (“We need to talk about Kevin“, “Snowpiercer“) zurückgreifen zu können. Und auch ein Christoph Waltz hat einen Heidenspaß mit seiner Rolle, auch wenn dessen Stimme so markant ist, dass sie manchmal fast zu vertraut wirkt.

So braust der Film mit einer ziemlichen Leichtigkeit durch die weiteren Stationen von Pinocchios Abenteuern und platziert nebenbei immer wieder ein paar nette Gags und Lebensweisheiten. Für einen del Toro-Film wirkt das lange Zeit ehrlich gesagt überraschend nett und fröhlich, was hier passiert. Doch ganz langsam treten dann dunklere Aspekte in den Vordergrund und auf einmal wird Pinocchio mit existentiellen Fragen rund um den Tod, sowie mit den krankhaften Auswüchsen des Faschismus konfrontiert. Es ist schon fast ein bisschen bezeichnend für Guillermo del Toro, dass er ausgerechnet den fröhlichsten Teil der Disney-Version komplett eliminiert und durch ein denkbar düsteres Szenario ersetzt. Dass der Film dabei den ungehorsamen Pinocchio auf die Gehorsam einfordernden Faschisten treffen lässt, ist eine cleverer Idee. Und auch wenn die Botschaft des Films hierzu dann eher banal ist, verleiht diese Passage dem Werk dann doch noch mal ein zusätzliches emotionales Gewicht. Für kleine Kinder dürften diese Momente dann aber doch auch etwas irritierend und teilweise auch abschreckend wirken – vom späteren Auftritt Mussolinis mal ganz zu schweigen.  

Auch wenn man die jüngste Zielgruppe mit diesen Entscheidungen etwas verschrecken mag, dem Film tun diese nachdenklichen Passagen spürbar gut. Im Vergleich zu anderen Pinocchio-Verfilmungen wirkt diese eher erwachsene Version so einfach deutlich reifer und interessanter. Doch auch wenn viele Szenen für sich sehr gut funktionieren, schafft es auch dieser Film am Ende nur bedingt das Publikum komplett mitzureißen. So ein richtiger roter Faden gelingt auch hier nämlich nicht und das immer noch stark episodenhafte Format deutet oft auch Tiefe an, ohne diese aber nachher wirklich weiter ergründen zu wollen. Bestes Beispiel ist hierfür die eigentlich sehr spannende Rolle des jungen Candlwick, der unter der Fuchtel seines faschistischen Vaters leidet, am Ende aber doch nur eines von vielen Sprungbrettern für Pinocchios nächstes Abenteuer ist.

Wäre Pinocchio ein faszinierender Charakter, wäre dies weniger ein Problem. Doch da Pinocchio all die Komplexitäten um ihn herum gar nicht so richtig begreift, prallt vieles an ihm einfach ab, was es wiederum schwierig macht so richtig mit dem kleinen Mann mitzufiebern. So wirken die Nebenfiguren oft emotional komplexer und interessanter. doch deren begrenzte Bildschirmzeit erlaubt eben keine genauere Beleuchtung. Unter diesen Voraussetzung holt del Toro mit seiner Version wohl das Maximum heraus was geht, und man lehnt sich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man diesen Film als die bisher gelungenste Verfilmung des rebellischen Holzbuben bezeichnet. Aber wer weiß schon, welche Regisseure die Figur des Pinocchio in den nächsten Jahren noch für sich entdecken werden.

Bilder: Copyright

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Aufgabe prüft, ob du menschlich bist um Bots zu verhindern.