Der junge Programmierer Caleb (Dohmnall Gleeson) arbeitet für den weltgrößten Suchmaschinen-Betreiber (die Firma im Film heißt Bluebook, aber alles, was man über sie erfährt, entspricht im Prinzip Google) und gewinnt in einer firmeninternen Lotterie einen höchst begehrten Preis: Eine gemeinsame Woche mit dem legendären, genialen und zurückgezogenen Firmengründer Nathan (Oscar Isaac). Als Caleb in Nathans hermetisch abgeriegeltem Heim mitten im menschenleeren Nirgendwo der unendlichen Weiten Alaskas ankommt, eröffnet Nathan ihm indes, dass sein Aufenthalt hier einen tieferen Sinn als bloß ein hochexklusives „Meet & Greet“ hat. Das modernistische Ferienhaus ist zugleich ein Forschungslabor, in dem Nathan an der Entwicklung einer fortschrittlichen künstlichen Intelligenz in Form eines menschenähnlichen Roboters arbeitet, und Caleb soll als außen stehender Tester Nathans Schöpfung der alles entscheidenden Prüfung unterziehen: ob er noch einen Unterschied zwischen Mensch und Maschine feststellen kann, oder ob es Nathan tatsächlich geglückt ist eine KI zu schaffen, die den kognitiven Fähigkeiten eines Menschen gleichkommt – die also wirklich ein eigenes Bewusstsein entwickelt hat. So lernt Caleb „Ava“ (Alicia Vikander) kennen, und es liegt nicht nur an dem sehr ästhetischen Körper, den Nathan seiner Schöpfung gegeben hat, dass es Caleb schwer fällt, Ava ihre eigene Menschlichkeit abzusprechen – während er gleichzeitig das unwohle Gefühl entwickelt, dass Nathan nicht ganz aufrichtig mit ihm ist.
Alex Garland begründete seine Karriere einst als Romanautor mit dem Weltbestseller „The Beach“, bevor er auch als Drehbuchschreiber in Erscheinung trat und für Danny Boyle zwei höchst bemerkenswerte Skripte verfasste. Sowohl die Geburt der rasenden Zombies in „28 Days later“ als auch der ungewöhnliche Science-Fiction-Film „Sunshine“ stammten aus Garlands Feder, in beiden Fällen schuf er eine allegoriereiche Erzählung, die sowohl durch ihre packende Oberfläche als auch ihren komplexen Subtext zu begeistern wusste. Nun versuchte Garland sich erstmals selbst als Regisseur seines eigenen Drehbuchs, und besticht erneut mit gewohnter Qualität. Mehr als das: „Ex Machina“ ist wohl Garlands bislang intelligenteste und beste Arbeit. Ein Werk, dem man in jeder Minute sowohl anmerkt, wie begabt sein Regisseur darin ist, eine fesselnde Atmosphäre zu erzeugen, als auch wie gewissenhaft sein Autor sich mit den komplexen Aspekten seines Themas auseinandergesetzt hat.
An der Oberfläche ist „Ex Machina“ ein sehr überzeugend umgesetztes Kammerspiel. Es gibt nur einen Handlungsort und im Prinzip nur drei Charaktere, doch Garland versteht es brillant, aus seiner Konstellation das Maximum herauszuholen. Obwohl der Film mit einem schmalen Budget von kaum 13 Millionen Euro produziert wurde, ist er gerade in Sachen Set-Design ein absoluter Triumph. Nathans Ferienhaus/Forschungslabor wirkt zugleich luxuriös und einengend, ein Traumdomizil und gleichzeitig ein Gefängnis. Die Architektur wirkt kalt, futuristisch und entmenschlicht, und spiegelt damit das Kernthema des Films wieder, ebenso wie der Handlungsort. Das Nirgendwo aus unendlicher, menschenleerer Natur, in dem sich Nathans Haus befindet, lässt zugleich prähistorische wie postapokalyptische Assoziationen zu – eine Welt, in der es noch keine Menschen gibt, oder in der es keine Menschen mehr gibt. Allein durch sein Setting reflektiert Garland damit über die zwei Kernaspekte der KI-Thematik: Auf der einen Seite versucht der Mensch hier Gott zu spielen, indem er selbst eine ihm ebenbürtige Schöpfung erschafft und so eine neue Welt kreiert; auf der anderen Seite könnte der Mensch damit seinen eigene Auslöschung heraufbeschwören.
Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass die Entstehung der ersten KI, die dem Intelligenzgrad des Menschen ebenbürtig ist, der Anfang vom Ende der Menschheit sein wird, und man merkt es „Ex Machina“ genau an, dass Alex Garland sehr gut über dieses Thema Bescheid weiß. Schon allein weil er nicht denselben Fehler macht, den bisher so ziemlich jeder Film zum Thema KI begangen hat – nämlich die KI mit menschlichen Attributen wie „gut“ oder „böse“ zu versehen. Der Film setzt sich sehr klug mit der philosophischen Frage auseinander, ob ein Computer, der das komplexe emotionale Spektrum des menschlichen Geistes erlernt hat und dieses nun selbst zeigt, tatsächlich ein eigenes Bewusstsein hat und diese Emotionen wirklich durchlebt, oder ob er nicht „nur“ eine (sehr überzeugende) Simulation des Erlernten durchführt. Diese Frage muss auch Caleb in seiner Auseinandersetzung mit Ava beantworten: Sind ihre Gefühle echt, oder sind sie nur simuliert? Gegen Ende bringt der Film noch eine dritte Möglichkeit ins Spiel, und hier betritt „Ex Machina“ die letzte, faszinierendste und auch am meisten beängstigende Stufe seines Gedankenspiels.
Traurigerweise nimmt er sich ausgerechnet für diese letzte Stufe zu wenig Zeit, und dies ist dann auch das zentrale Manko des Films, welches ihm auch eine (noch) höhere Bewertung raubt. Obschon Garland sein Skript mit klarer Konsequenz zu Ende führt, wirken die entscheidenden Wendungen und ihre Umsetzung in den letzten Filmminuten zu gehetzt und auch ein wenig zu diffus, und lassen einen als Zuschauer mit dem etwas unbefriedigenden Gefühl zurück, dass hier noch mehr drin gewesen wäre. Garland zeigt hier erneut einen schon in seinen früheren Werken bemerkbaren Hang, Dinge offen zu lassen, wo es befriedigender wäre, sie zu erklären.
Das betrifft hier auch die Charakterzeichnung: „Ex Machina“ zeichnet sein technisches Mastermind Nathan als ein psychologisch sehr komplexes – um nicht zu sagen: gestörtes – Individuum, mit seinem ständigen Pendeln zwischen Selbstoptimierung durch Fitnesstraining und Selbstzerstörung durch Alkoholexzesse. Ein Mann, der einen enormen Gott-Komplex mit sich rum trägt, andererseits aber offensichtlich auch von üblen Dämonen geplagt wird. Welche das genau sind, darauf gibt „Ex Machina“ jedoch leider nie eine Antwort, und verrät seinem Publikum damit letztlich zu wenig über seine komplexeste und schillerndste Figur.
Ein Rätsel – aber dies im positiven Sinne – bleibt bis kurz vor Schluss auch Ava, und deren Darstellerin Alicia Vikander empfiehlt sich hier nachdrücklich für weitere, große Aufgaben. Vor allem ihre körpersprachliche Präzision ist beeindruckend, wie sie ihren Bewegungen einen sehr subtilen, aber stets bemerkbaren Hauch von Mechanik gibt und das Publikum so niemals vergessen lässt, dass sie unter aller scheinbaren Menschlichkeit immer noch ein Roboter ist. Sie vermittelt damit ein konsequentes Gefühl von Unheimlichkeit, wie sie dem Konzept eines künstlichen Menschen, der eben doch nicht ganz Mensch ist, schon immer inhärent war. Und trägt damit ihren Teil zur höchst wirksamen Gesamtatmosphäre des Films bei.
Die Beklemmung sowohl in der Stimmung der Handlung als auch in den Implikationen der Geschichte ist hier von der ersten Minute an spürbar, und wird von da an so langsam wie konsequent hochgezogen, bis hin zum Finale. Mit seinen einfachen Mitteln erzeugt Alex Garland einen Film, der von Anfang bis Ende zu fesseln und zu packen weiß, und dabei auch noch eine Menge sehr kluge Dinge über ein sehr, sehr wichtiges Thema zu sagen hat. Die Entwicklung künstlicher Intelligenz wird die Zukunft der Menschheit mehr bestimmen als irgend etwas anderes. Und „Ex Machina“ ist ein mehr als guter Anstoß, um sich Gedanken über dieses Thema zu machen.
Wer mehr über den Stand der Dinge zum Thema KI wissen will sowie über die Prognosen, warum deren Entwicklung schon innerhalb der nächsten Jahrzehnte die Geschichte der Menschheit komplett verändern (und vielleicht auch komplett auslöschen) wird, dem sei dieser sehr lange, aber auch sehr sehr gute Artikel empfohlen: http://waitbutwhy.com/2015/01/artificial-intelligence-revolution-1.html
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