Manchmal ist klassische Bildung ja doch zu was nütze. Latein, diese momentan zum zweiten Mal aussterbende ausgestorbene Sprache, wird selbst im Kino der Jahrtausendwende bisweilen noch gerne bemüht, um einem Film besonderes, meist bedrohliches oder verschwörerisches Flair zu verleihen. Das gleiche Spiel treibt auch Drehbuchautor Philip Eisner mit den Zuschauern von "Event Horizon", mit den üblichen Zielen (oh, Latein - Achtung, wichtige/gruselige/fundamentale Informationen!) und nicht wirklich originellen Mitteln (eine alte, schrebbelige Tonaufzeichnung, die natürlich nur einer aus der Crew verstehen kann, und auch das nur im zweiten Anlauf - klar: "Das muss noch durch die Filter") - allerdings versiebt er seine Lektion in gelebter Antike mit ein paar unangenehmen Schnitzern, so dass eher ein lateinähnliches Kauderwelsch rauskommt als ein eindeutig-zweideutiger Hinweis in der Sprache Julius Cäsars. Da hätten wir ihn also erwischt. Sei's drum, ist ja schließlich bloß Hollywood und nicht der Latein-LK. Aber wenn wir schon beim Kritisieren sind: Auch sonst erfüllt "Event Horizon" nicht wenige Klischees des SciFi-Horrorfilms. Die heldenhafte Crew ist streng paritätisch mit Männern und Frauen, Schwarzen und Weißen, Gutmenschen und Kotzbrocken, Helden und Schurken besetzt, und wird auch erwartungsgemäß nach dem Muster "... da waren's nur noch drei" ein ums andere Mal dezimiert. Irgendwie hat man diese Raumschiffe auch alle schon mal irgendwo irgendwann gesehen. Im Weltall nichts Neues also, könnte das Fazit bis hierhin lauten.
Dafür ist aber die Idee der ganzen Geschichte bestechend, auch wenn sie zunächst ebenfalls ganz harmlos-bekannt daherkommt: Die Event Horizon, ein angebliches Langstreckenraumschiff der Vereinigten Staaten, taucht sieben Jahre nach seinem ungeklärten Verschwinden in der Tiefe des Raumes - wir schreiben das Jahr 2047 - am Rande des Sonnensystems wieder auf. Das Rettungsschiff Lewis and Clarke wird losgeschickt, um zu erkunden, was es mit dem Havaristen auf sich haben könnte. Die Event Horizon ist äußerlich unversehrt, aber was dieses Schiff auf seiner Fahrt durch sieben Jahre Finsternis gesehen haben muss, übersteigt zunächst das Fassungsvermögen der Rettungsmannschaft - und, zumindest am Anfang, auch das des Zuschauers.
Wer sich auf schleimige Monster oder Hybridwesen à la "Alien" und "Species" freut, der ist hier leider an der falschen Adresse. Regisseur Paul W.S. Anderson (nicht zu verwechseln mit Paul T. Anderson, der "Magnolia" fabriziert hat - dieser Paul Anderson zeichnet unter anderem verantwortlich für "Mortal Kombat" und "Resident Evil", ist also einschlägig ausgewiesen im Schock-und-Schläger-Genre) setzt den Schrecken auf ganz anderer Ebene an, denn die Event Horizon mag zwar kein Leben mehr an Bord haben, sie scheint aber selbst zu einem denkenden, unheilvoll handelnden Wesen geworden zu sein. Die Crew der Lewis and Clarke um Captain Miller (Laurence Fishburne) und den wissenschaftlichen Leiter Dr. William Weir, der Konstrukteur des Unglücksschiffs (Sam Neill - das Wortspiel mit "Weir" und "weird", "komisch, verdreht", war sicher beabsichtigt), hat also alle Hände voll zu tun, um das Schicksal der Event Horizon aufzuklären und dabei das eigene Leben zu retten. Dass währenddessen die Geschichte vom Langstreckenreiseschiff sich als große Lüge erweist, ist noch die kleinste Überraschung, der echte Schrecken liegt ganz woanders.
An dieser Stelle kommt schließlich das Latein zu seinem Recht, so deformiert es auch sein mag. Denn "Event Horizon" ist einer der wenigen konsequenten und deshalb soliden Horrorfilme, die die bösen Ahnungen, die den Zuschauer nach einem guten Drittel der Spielzeit beschleichen, auch wirklich in die Tat und in einige extrem apokalyptische Visionen umsetzen. Der Film ist in Deutschland nicht über FSK-16 hinausgekommen, kein Wunder: Wer an den richtigen Stellen mal die Pausetaste seines Videorecorders oder DVD-Players betätigt, bekommt Dinge zu sehen, die einem wahrlich das Blut stocken lassen können.
Genau diese höllischen Alpträume aber sind es, die der Plot im Folgenden noch eine Runde weiter dreht, indem er ihnen den konsequentesten möglichen, nämlich realen Hintergrund gibt. Wer also beim lateinischen Hilferuf schon mal kurz an kirchliche Riten gedacht hat, der lag damit näher an der Wahrheit, als ihm vielleicht am Ende lieb sein könnte. Es gibt nur wenige Filme, die ganz traditionelle Denkweisen so drastisch ausmalen - "Rosemary's Baby" von Roman Polanski (1968) ist einer davon. Hier wie auch in "Event Horizon" wird letztlich ganz simpel die Frage gestellt: Was wäre - oder viel eher: was ist, wenn es nicht nur das absolut Gute, sondern auch (logischerweise?) das absolut Böse gibt? Hinter der nächsten Ecke, im Schlafzimmer (bei Polanski) oder eben irgendwo jenseits des Neptun, wie in diesem Film? Der Effekt ist beide Male derselbe - ehrliches Erschrecken beim Zuschauer, und die urwüchsigste, aber mit am schwersten zu erzeugende Emotion: Angst. Das kann "Event Horizon" wirklich gut - und was will man von einem gelungenen Horrorfilm eigentlich mehr, als dass er seinem Gattungsnamen alle Ehre macht?
Die Event Horizon zeigt jedem Crewmitglied der Lewis and Clarke seine allergeheimsten Ängste, reißt die dick vernarbten Wunden der Seele auf und zerrt längst vergrabene Traumata ans schwache Tageslicht. Das geht oft ganz ohne Schockeffekte, ohne splatter und gore (die der Film dafür an anderer Stelle durchaus reichlich einsetzt), und lässt einem trotzdem permanent kalte Schauer den Rücken herunterlaufen. Die Auflösung des Ganzen ist dann gar nicht mal besonders überraschend, aber so folgerichtig, dass es dennoch einem Schock gleichkommt. Liebe hilft hier niemandem mehr, sondern führt perverserweise geradewegs ins Verderben.
Eins ist sicher: Man muss sich auf diese sehr existenzielle Argumentation des "Und wenn es nun wirklich stimmt?" schon einlassen, genau wie eben bei "Rosemary's Baby". Wenn man das aber tut, präsentiert "Event Horizon" ein Panoptikum von denkerischen Gemeinheiten, das ein wirklich starkes Stück ist. Über das theatralische Ende und die eingangs bekrittelten Kinokonventionen tröstet diese Konsequenz, die an Zumutung grenzt, dann auch leicht hinweg.
Der "Ereignishorizont" bezeichnet in der Physik diejenige Fläche, jenseits derer eine Aussage über das, was hinter diesem Horizont liegt, schlechthin unmöglich ist. Der Name Event Horizon für Raumfahrzeug und Film ist in diesem Sinn mit viel Bedacht gewählt: Dafür, wo dieses Schiff gewesen ist, versagt unsere Vorstellung tatsächlich, und weder die traditionellen Schreckensbilder, die jeder von uns davon im Kopf trägt, noch die blutigen Kurzsequenzen des Films können sich dem hinreichend annähern.
Paul W.S. Anderson macht in "Event Horizon" exzessiven Gebrauch von religiöser Symbolik - das beginnt bei der "heiligen" Zahl sieben (die Jahre des Schiffs auf seiner Odyssee), geht weiter mit der fluchbeladenen Dreizehn (die laufende Nummer der Einstiegsluke) und endet in der Architektur der Event Horizon selbst. Die Krankenstation sieht aus wie eine riesige Krypta, der Querschnitt der Gänge ähnelt dem eines Sarges, der Gravitationsantrieb als fataler technischer Kern des Ganzen gemahnt an die eisernen Folterinstrumente der Inquisition, und wo man hinsieht: Kreuze, nichts als Kreuze.
Das kommt natürlich nicht von ungefähr, sondern passt nahtlos ins böse Bild. Als das Rettungsschiff Lewis and Clarke schon unrettbar verloren scheint, weigert sich der Cheftechniker Smittie (Sean Pertwee), die Event Horizon zu betreten - "nicht ums Verrecken", das sind seine Worte. Doctor Weir erwidert ihm leichthin: "Immer noch besser als zu sterben!". Das dürfte zu bezweifeln sein, angesichts dessen, was dort wartet.
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