Ein russischer Sommer

Originaltitel
The Last Station
Jahr
2009
Laufzeit
113 min
Genre
Release Date
Bewertung
5
5/10
von Volker Robrahn / 30. Mai 2010

 

Wir werfen einen Blick ins Russland des Jahres 1910: Das Reich des Zaren wird bereits untergraben durch alternative Ideen einer Regierung durch das Volk, und eine der größten Leitfiguren der politischen Agitatoren rund um Tschertkow (Paul Giamatti) ist der bedeutende Schriftsteller Leo Tolstoi (Christopher Plummer). Selbst unter Hausarrest stehend schickt Tschertkov den jungen Walentin Bulgakow (James McAvoy) als sein verlängertes Ohr zum ländlichen Anwesen, auf das sich der alt gewordene Literat mit einigen Getreuen zurückgezogen hat. Sorge macht dem Politiker dabei vor allem die Rolle von Tolstois Gemahlin Sofia (Helen Mirren), die sich auf das Heftigste gegen die Vereinnahmung ihres Mannes durch die Kommunisten sträubt und mit noch mehr Vehemenz gegen deren Plan, Tolstois Erbe und die Rechte an all seinen Werken dem russischen Volk zu vermachen - dafür hat sie nicht das Manuskript von "Krieg und Frieden" sechsmal eigenhändig abgeschrieben. Jungspund und Tolstoi-Bewunderer Walentin mag sich da nicht so recht entscheiden, auf wessen Seite er steht, und sieht sich zudem ersten amourösen Verwirrungen ausgesetzt, bei denen ihm der weise Autor auch nur bedingt helfen kann.

Diese europäische Gemeinschaftsproduktion hat sich in Bezug auf die Vermarktung "Epos" auf die Fahne geschrieben, warb schon lange vor dem Kinostart mit potentiellen Oscar-Nominierungen und in Spots mit "großem Schauspielerkino". Selbst der deutsche Titel macht aus der "Last Station" des übrigen Auswertungsbereichs noch gleich einen kompletten "Russischen Sommer", welcher in seiner Bedeutung und historischen Tragweite anscheinend kaum noch einzufangen ist. Nun befinden wir uns hier zweifellos in interessanten Zeiten, doch ganz so bedeutend wie einige andere war das Jahr 1910 dann doch nicht, und in mancherlei Hinsicht macht dieser Film aus mehreren mittelgroßen Mücken einen stattlichen Elefanten.
So werden die großen politischen Fragen eher am Rande diskutiert und der Unterschied zwischen Tolstois Theorie vom Verzicht auf materielle Güter und einem rigorosen Moralkodex und den etwas anders gearteten Plänen der Kommunisten kaum verdeutlicht. Es spielt sich stattdessen alles auf einer zutiefst privaten Ebene ab, auch der Konflikt zwischen den grundverschiedenen Zielen Tscheretkows und Sofias ist mehr geprägt von persönlichen Eigenheiten als von hehren Idealen. Dazu die wirklich nur mäßig interessanten und eigentlich nicht besonders großen Liebesprobleme des Frischlings Walentin, der zwar eine nachvollziehbare Funktion als Erzähler und Orientierungspunkt für den Zuschauer besitzt, den man aber vielleicht besser auch darauf begrenzt hätte als seine Rolle so bemüht auszuweiten.

Wenn man sich die berühmten Namen einfach mal wegdenkt, bietet selbst die gelegentlich in eine Art Hassliebe ausartende Auseinandersetzung zwischen den beiden Tolstois nicht mehr als eben das: Die immer heftiger werdende Krise eines alten Ehepaares, bei der es schließlich zum großen Knall kommt. Allerdings wird dieses Paar halt großartig gespielt von zwei echten Hochkarätern in Form von Christopher Plummer und Helen "The Queen" Mirren. Wobei Plummer, der seinen größten Erfolg in den 60er Jahren als Kopf der Trapp-Familie in "The Sound of Music" feierte, bei seinem aktuellen Comeback aber zum zweiten Mal nach "Dr. Parnassus" nur die zweite Geige spielen darf: Bei "Parnassus" konzentrierte sich die mediale Aufmerksamkeit auf Heath Ledger und dessen drei "Stellvertreter", nun wird sie bei all dem Award-Getrommel vor allem Helen Mirren zuteil. Was insofern logisch und nachvollziehbar ist, da Mirren hier alle Aggregatsstufen zwischen weinender Verzweiflung und rasender Furie durchlaufen darf und dabei trotzdem immer würdevolle Dame bleibt. Die ebenfalls nicht ganz unbegabten Herren Giamatti und McAvoy sind dagegen in ihren Parts fast schon verschenkt und müssen sich genau wie Mr. Plummer eindeutig hinten anstellen.

Wenn sich die Geschichte dann im letzten Drittel auf ihren historisch bekanntesten und potentiell auch interessantesten Teil konzentriert, sind daher sämtliche vorhergegangen Problemchen und Nebenfiguren auf dem Familiensitz oder der frühen Version einer "alternatives Landleben-Farm" auch sehr schnell vergessen. Wenn Tolstoi seine geplante große Reise abbrechen und seine letzten Tage umlagert von einer Meute Journalisten auf einem kleinen Provinzbahnhof verbringen muss, dann findet der Film endlich einen Fokus, wo er bis dahin ziellos und fragmentarisch umher mäanderte, verschiedene Themen anriss, aber keines überzeugend oder gar fesselnd abhandeln konnte. Was bleibt ist dann am historisch verbürgten Ende ein schön fotografierter Einblick in die nicht besonders spektakulären privaten Probleme berühmter Menschen mit einem Hauch von Geschichtsstunde. Und der eine Aspekt, bei dem die Werbung dann doch nicht völlig übertrieben hat: Gutes Schauspielerkino.

Bilder: Copyright

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