Als erstes gilt es, kurze Abbitte zu leisten: Ich habe an dieser Stelle vor einem Jahr bereits den zweiten Teil der "Tribute von Panem" besprochen, und nachdem ich mir den Film in Vorbereitung auf diesen dritten Teil noch einmal angesehen habe, muss ich zugeben, mit ihm damals zu hart und unfair ins Gericht gegangen zu sein. Ich fühlte mich beim zweiten Betrachten wesentlich besser unterhalten und empfand auch die inhaltliche Gewichtung weg von den Ereignissen in der Arena im Nachhinein als richtig, da es schließlich gar nicht wirklich darum geht, was in der Arena passiert, sondern wie die Gesamtsituation in Panem dorthin eskaliert. Retrospektiv betrachtet hätte "Catching Fire" hier darum in seiner Bewertung mindestens ein, wenn nicht zwei Augen mehr verdient. Was den Platz für den schwächsten Teil dieser Franchise wieder frei macht. Und für den qualifiziert sich nun der direkte Nachfolger. Reden wir nicht um den heißen Brei herum: Die "Hunger Games" folgen dem unseligen, von den "Harry Potter"-Produzenten in die Welt gesetzten Trend, aus dem letzten Buch einer Bestseller-Reihe einfach zwei Filme zu machen. Das geschäftliche Kalkül hinter dieser Entscheidung ist so offensichtlich wie einleuchtend, wenn man rein in Bilanzen und Erlösen denkt. Der Beweis, dass bei dieser Methodik auch ein runder und zufriedenstellender vorletzter Film-Teil entstehen kann, bleibt aber auch nach der "Panem"-Variante dieser Strategie weiterhin aus.
Der Film beginnt quasi exakt dort, wo der Vorgänger geendet hat: Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) ist nach ihrer spektakulären Sabotage von und anschließenden Befreiung aus der Hungerspiele-Arena in relativer Sicherheit bei Panems Untergrund-Bewegung, die sich im verwüsteten Distrikt 13 unter der Leitung ihrer Präsidentin Alma Coin (Julianne Moore) verschanzt hat. Coin und ihre Gehilfen, die Katniss' geheime Rettung orchestriert haben - wie "Spielleiter" Plutarch Heavensbee (Philip Seymour Hoffman in seiner tragischerweise letzten Rolle), Technik-Genie Beetee (Jeffrey Wright) und Katniss' Jagd-Freund Gale (Liam Hemsworth) - hoffen nun, mit Katniss als Gallionsfigur die aufgewiegelten Massen von ganz Panem endlich zu einem geeinten, revolutionären Schlag gegen das Regime mobilisieren zu können. Doch Katniss tut sich schwer damit, als symbolischer "Spotttölpel" zur Propaganda-Heldin zu werden, liegen ihre Gedanken und Sorgen doch die meiste Zeit bei ihrem geliebten Hungerspiele-Gefährten Peeta (Josh Hutcherson), der wie die anderen Überlebenden der letzten Spiele ins Kapitol verschleppt wurde und dort von Präsident Snow (Donald Sutherland) für dessen eigene Propaganda-Zwecke missbraucht wird.
Dass Katniss Everdeen eine etwas spröde und widerstrebende Heldin ist, die ihre zentrale Rolle in der Rebellion nie gewollt hat und sich darum auch schwer damit tut, sie auszufüllen, ist sicher ein zentraler Aspekt dieser Figur. Allerdings auch einer, der schon im Vorgängerfilm sattsam beleuchtet wurde, und hier im dritten Teil nun entschieden zu viel Raum eingeräumt bekommt. Tatsächlich verbringt man das erste Drittel des Films im Prinzip damit darauf zu warten, dass das Feuer der kampfbereiten Entschlossenheit, welches in der allerletzten Einstellung des Vorgängerfilms in Katniss' Augen entflammt war, wieder dorthin zurückkehrt. Davor wird erstmal ausgiebig darüber geredet, ob sie denn nun will oder nicht, und wenn sie denn will, ob sie es denn überhaupt kann. So richtig Bewegung kommt erst in die Handlung, als Katniss sich beim Versuch, einen Propaganda-Werbespot mit ihr zu inszenieren, als so grässlich hölzerne Schauspielerin erweist, dass man beschließt sie in ein richtiges Kampfgebiet zu schicken, um ihr authentisches Gesicht mit der Kamera einfangen zu können.
Es ist ein zweischneidiges Schwert und soll natürlich auch als solches gesehen werden, dass der Krieg, der hier zwischen der Diktatur im Kapitol und den Aufständischen geführt wird, in diesem Stadium vor allem ein Medien-Krieg ist. Man kann da durchaus Parallelen zum aktuellen Weltgeschehen z.B. in der Ukraine sehen, wenn beide Seiten mit ihrer jeweiligen, manipulativen Inszenierung die Deutungshoheit über die jüngsten Geschehnisse zu erlangen versuchen. Und "Mockingjay: Teil 1" macht deutlich klar, dass sich beide Parteien da nicht wirklich voneinander unterscheiden. Zeigten die Vorgängerfilme noch auf, wie mediale Propaganda als stabilisierendes Mittel für eine faschistische Diktatur aufgezogen werden kann, offenbar der dritte Teil nun, dass die Gegenseite mit genau denselben Instrumenten arbeitet. Da soll es ganz bewusst ein gewisses Unwohlsein hervorrufen wenn man sieht, dass Panems Befreiungsbewegung eigentlich genauso diktatorisch operiert wie ihr Feindbild, und die "Guten" Katniss auf ganz ähnliche Weise für ihre propagandistische Manipulation benutzen, wie es zuvor die "Bösen" getan haben.
Diese durchaus facettenreiche, bissig-satirische Beleuchtung der Mechanismen von Medien als Machtinstrument gehört zu den großen Stärken der "Panem"-(Roman)-Trilogie. Das rechtfertigt aber noch lange nicht, diesen Aspekt derart auszuwalzen, wie es hier geschieht. Denn um viel mehr als das geht es eigentlich kaum. Da kann man auch nichts kaschieren: "Mockingay: Teil 1" ist ein Film, der es nicht eilig hat, irgendwo hin zu kommen, weil er nicht so wahnsinng viel zu erzählen, aber dafür eine Menge Zeit hat. Und das tut ihm überhaupt nicht gut. Hier wird zwei Stunden lang an einer Rampe gewerkelt, die zu einem Showdown führt, der in einem anderen Film stattfinden wird. Entsprechend wirkt hier alles zu behäbig, zu breit getreten. Inhaltliche Aspekte, die mit ein bis zwei starken Szenen prägnant genug gesetzt gewesen wären, werden da noch zwei- bis dreimal angespielt, und ein Gefühl, dass es hier wirklich signifikant voran geht, bleibt weitestgehend aus. Das zeigt sich vor allem im eklatanten Mangel an Action-Sequenzen, deren Anzahl man hier an einer Hand abzählen kann. Und es ist ein deutliches Indiz für die dramaturgische Selbst-Amputation dieser Ein-Roman-in-zwei-Teile-Aufbrecherei, dass Katniss als die nominelle Heldin dieser Geschichte in der abschließenden (und besten und spannendsten) Action-Sequenz dieses Films nur eine äußerst passive Rolle spielt.
Für ein wenig irritiertes Kopfkratzen kann auch das zentrale Liebesdreieck der Reihe sorgen, das hier merkwürdig blutleer bleibt. Wir erinnern uns: Zu Beginn des zweiten Teils musste Katniss für die Öffentlichkeit weiter ihre vermeintlich große Liebe zu ihrem Kampfgefährten Peeta inszenieren, eine mediale Lüge, die ihr im ersten Teil (mit) das Leben gerettet hat, obschon sie eigentlich in Gale verliebt ist. Im Laufe des Vorgängerfilms entdeckte Katniss dann aber ihre wahren Gefühle für Peeta, und seine Rettung ist jetzt ihr allerstärkster Antrieb. Man sollte meinen, dass der gute Gale sich davon jetzt ein wenig gehörnt vorkommt, und ein gewisses Bedürfnis hat, die Frage nach seinem und Katniss' Beziehungsstatus anzusprechen. Aber denkste. Für die erste Hälfte des Films scheint diese "It's complicated..."-Situation gar keine Rolle zu spielen, um dann nur in einer einzigen Szene direkt thematisiert zu werden, die dann auch noch wenig überzeugend mit grober Psychologie-Keule von Katniss' emotionaler Verbundenheit auf ihren Charakter rückschließen will. Der größte Verlierer - nicht nur im Kampf um Katniss' Herz - ist in diesem Film jedenfalls Liam Hemsworth als Gale. In den beiden Vorgängern noch in die unglückliche Position einer Randerscheinung gedrängt, weil er eben nicht da war, wo Katniss war, kann er nun endlich größeren Raum einnehmen - und weiß ihn nicht zu füllen. Reichlich blass kommt Hemsworth daher, und wird von Josh Hutcherson als Peeta mit Leichtigkeit an die Wand gespielt, obwohl dieser hier eigentlich nur als Marionette im Propaganda-TV auftaucht.
Es ist durchaus möglich, über den Katalog an Schwächen von "Mockingjay: Teil 1" hinweg zu schauen und sich von dem Film anständig unterhalten zu lassen, denn rein handwerklich wird hier auf genau dem hohen Niveau gearbeitet, das man bei einer der aufwändigsten Filmproduktionen des Kinojahres erwarten darf. Man sieht sehr wohl, das hier echte Profis am Werk sind. Die szenische Umsetzung ist oft stimmig und technische Aspekte wie Ausstattung und Kameraarbeit wissen sehr wohl zu überzeugen. Zudem ist es natürlich unbestritten, dass Jennifer Lawrence mit ihrer phänomenalen Ausstrahlung und Präsenz hier einmal mehr über vieles hinwegtröstet. Und dass er Spannung kann, wenn er denn mal darf, beweist Regisseur Francis Lawrence mit der bereits erwähnten, finalen Action-Sequenz, die wirklich sehr effizient an der Spannungsschraube dreht und zumindest die letzte halbe Stunde dieses Films zu einem packenden Erlebnis macht. Aber das ist doch zu wenig, zu spät, zumal danach dann halt das Ende des Films kommt, welches als Cliffhanger schwach und unüberzeugend ist. Kein Wunder, schließlich war das auch nie als ein Cliffhanger gedacht, sondern "nur" als dramaturgischer Wendepunkt in der Mitte eines Romans.
Womit wir wieder beim Thema wären. Fans der Materie mögen das alles gar nicht schlimm finden, schließlich bekommen sie mit der Zwei-Filme-Lösung doppelt so viel filmischen "Panem"-Stoff. Es bleibt aber nicht zu leugnen, dass das mutwillige Auseinanderbrechen der erzählerischen Einheit des Romans ein narratives Handicap für eine überzeugende Filmhandlung ist, das auch beim besten Willen nicht kaschiert werden kann. Wie schon die Vorgänger-Beispiele bei "Harry Potter" und den "Twilight"-Filmen krankt der vorletzte Teil zu offensichtlich daran, dass er nur einen langen Anlauf zu erzählen hat und dann stehen bleibt, als er an der Schwelle ankommt, an der es nun interessant werden würde. Das kann für sich allein betrachtet einfach nicht als gelungener Film gelten. Den einzigen "Vorteil", den diese Vorgehensweise auch fürs Publikum haben kann, ist dass man so ausreichend Zeit gewinnt, um den großen Showdown in genussvoller Länger auszubreiten. Das hat zumindest bei "Harry Potter" gut funktioniert, dessen Ende aber auch ausreichend episch angelegt war, um wenigstens einen befriedigenden letzten Film zu garantieren. Die inhaltliche Erbärmlichkeit des "Twilight"-Finales dient hingegen als abschreckendes Gegenbeispiel für einen Stoff, der ganz sicher nicht gewann durch seine zusätzliche Auswalzung. Ob "Mockingjay: Teil 2" in ähnlicher Weise Schaden nehmen wird, muss sich dann in zwölf Monaten zeigen. Für "Mockingjay: Teil 1" gilt jedenfalls, dass man sich das Eintrittsgeld eigentlich sehr gut sparen kann. Der relevante Teil kommt erst nächstes Jahr.
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