Die Klasse von 99

Jahr
2003
Laufzeit
93 min
Regie
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Frank-Michael Helmke / 11. Juni 2010

Vor drei Jahren brachte Marco Petry, frisch von der Filmhochschule kommend, sein Kinodebüt "Schule" auf die Leinwand - ein Teenie-Film, den Kritikerkollegen die niemals jung waren oder schon lange vergessen hatten, dass sie es mal waren, als oberflächlich und banal bezeichneten. Womit sie ironischerweise sogar recht hatten, nur nicht so, wie sie dachten: Natürlich war "Schule" irgendwie banal, aber das war ja das Schöne daran. Ein Film, der die trivialen Kleinigkeiten des Schul- und Teenie-Alltags einfing, wie es noch kein deutscher Film wirklich getan hatte (oder für nötig befunden hatte?), und sich ergo eine zwar junge, aber sehr dankbare Fangemeinde aneignete. Petry indes bescheinigte sich selbst ein unaufdringliches, aber sehr gutes Auge für die kleinen Details, die aus einem simplen Filmszenario ein Stück Realität machen.

Drei Jahre später kommt nun "Die Klasse von '99", Petrys zweiter Film, und konsequenterweise sind seine Figuren auch drei Jahre älter geworden, das Grundszenario ist aber immer noch dasselbe: Junge deutsche Menschen zwischen sorgloser Jugend und dem Ernst des Lebens. Doch während "Schule" noch recht ungezwungen in der (letzten) Freiheit des Teenagerseins baden konnte, wird der Tonfall nun schon deutlich ernster. Denn für die Protagonisten in Petrys Zweitwerk ist das Erwachsen-werden-Müssen kein Problem in der Ferne, sondern im Jetzt und Hier.
Die zentrale Figur ist Felix (Matthias Schweighöfer aus "Soloalbum"), der nach kurzer Abwesenheit für den Rest seiner Polizeiausbildung in sein Heimatkaff nahe der holländischen Grenze zurückkehrt, und dort alles mehr oder weniger wie vorher vorfindet. Sein bester Freund Sören (GZSZ-Veteran Tim Sander) dealt nach wie vor mit Dope, inzwischen allerdings in größerem Rahmen, und zu seinen besten Kunden zählen die alten Cliquen-Kumpel Schmidt (Axel Stein) und Hausschild (Thomas Schmieder). Alles wie früher, zurück in die unbeschwerten Zeiten mit den Jungs. Oder auch nicht. Langsam wird klar, dass die Sorglosigkeit vorbei ist, dass die Jungs nicht die alten Zeiten fortleben, sondern in ihnen fest hängen, und dass früher oder später die Erkenntnis einsetzen muss, dass es so nicht weiter geht. Als Sören seinen besten Freund Felix bittet, seinen Job bei der Polizei zu nutzen, um ihm wertvolle Tipps für einen sicheren Drogenschmuggel über die Grenze zu geben, ist das zunächst eine Selbstverständlichkeit. Doch bald verschwimmen die Grenzen zwischen Pflichtbewusstsein und Freundschaftsdienst, und Felix muss mehr als eine wichtige Entscheidung treffen.

Das mag soweit ein bisschen schwammig klingen, was einerseits daran liegt, dass natürlich nicht zuviel vom Inhalt verraten werden soll, andererseits aber auch daran, dass es einfach schwammig ist. Auch wenn Petry seine Stärken der genauen Beobachtung hier wieder bestens zur Schau stellt - wo er mit seiner Geschichte hin will (bzw. was seine Geschichte eigentlich ist) bleibt viel zu lange viel zu unklar. Ähnlich eintönig und ereignislos wie das Kleinstadtleben seiner Protagonisten dümpelt der Film wenig zielgerichtet vor sich hin, um dann ausgerechnet durch einen Plot-Katalysator in Gang gesetzt zu werden, der gänzlich an den Haaren herbei gezogen wirkt. Ein tragischer Unfall soll die verstopften Köpfe der Freunde frei räumen, löst indes zunächst nur Verwirrung beim Zuschauer aus, der von diesem beliebig erscheinenden Ereignis überrumpelt, aber nicht ergriffen wird.
Weiterhin tut sich Petry keinen Gefallen damit, ausgerechnet das sattsam bekannte Story-Gerüst des Polizisten mit dem kriminellen besten Freund zu benutzen. Das riecht zu sehr nach Klischee und ist eine etwas dürftige Lösung für einen Regisseur/Autor, der sich ansonsten als solch ein guter Analytiker der jungen Archetypen von Kleinstadt-Deutschland erweist.
Denn hier ist es, wo Petry wieder einmal kräftig punktet: Die Kleinigkeiten stimmen einfach. Das poserhafte Gehabe eines harmlosen Möchtegern-Prolls wie Schmid (Axel Stein erweist sich einmal mehr als stilles Schauspiel-Wunder mit den besten Sprüchen), die Abhänge-Wohnung von Sören, das Kaff mit dem einen einzigen Laden, in den man weg gehen kann - ganz genau wie bei "Schule" wird hier jeder Zuschauer, der auch nur ansatzweise etwas ähnliches durchlaufen hat, in der einen oder anderen Form viel Bekanntes wieder finden können.
Im Gegensatz zu "Schule" kann sich "Die Klasse von '99" allerdings nicht mit Verallgemeinerungen davon stehlen, da der Film einfach nach komplexeren Figuren verlangt und die Probleme von jungen Leuten Anfang Zwanzig eben nicht mehr so pauschal gefasst werden können wie von den 16-19jährigen aus Petrys Debüt.
Ebenfalls stößt es schon etwas sauer auf, wenn zum Beispiel die Rolle von Sörens Freundin Simona (Anna Bertheau aus "Wie Feuer und Flamme") so kurz ausfällt, dass man sie auch gleich hätte weglassen können - wenn nicht gerade die Tatsache, dass sie Felix' ewiger Jugendschwarm war noch das alte Süppchen aufkocht, dass hier für ein Mädel Vertrauensbruch unter Freunden begangen wurde. Die eingestreuten Gastauftritte der halben Belegschaft von "Schule" sind nett gemeinte Side-Gags, aber schlussendlich auch irgendwie überflüssig, da der Film an diesen Stellen eher wie ein lustiges Klassentreffen wirkt und sich somit ins eigene ernsthafte Fleisch schneidet.

Trotz vieler Mankos, unausgegorener Subplots und unglücklicher Storyführung hinterlässt "Die Klasse von '99" dennoch seine Wirkung. Die konsequent verhangene Stimmung (man kann sich nachher nicht entsinnen, dass im Film einmal die Sonne geschienen hat) dokumentiert subtil, aber deutlich den Kater nach der durchfeierten Jugend, wenn man sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, dass die Dinge anders werden müssen - und sich diese Notwendigkeit trotzdem nicht ändern lässt. Petry inszeniert die Qual des Erwachsen-werden-Müssens quasi in Zeitlupe, und macht sie so umso spürbarer. So gesehen ist "Die Klasse von '99" eine konsequente Fortführung von "Schule", allerdings anders als es der Verleih mit dem stupiden Untertitel ("Schule" war gestern - Leben ist jetzt!) zu suggerieren versucht: Hier wartet nicht mehr Spaß, mehr Leben, mehr alles, sondern nur die ernüchternde Erkenntnis, dass die besten Jahre vielleicht wirklich schon vorbei sind. Das mögen manche Kritikerkollegen wieder als banal abstempeln. Aber immerhin macht Marco Petry wenigstens Filme, in denen man sich wieder finden kann. Und dafür kann man auch nochmal Danke sagen.


Hallo kann mir einer sagen wie das lied am schluss heißt also im abspann als die namen da alle stehen...?
wenn ja wer nett wenn mir der jenige das per e-mail schickt
danke im vorraus

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10
10/10

Ich hab den Film vor sechs Jahren gesehen. Er hat mich sehr berührt, weil mein Abi zu dieser Zeit ebenfalls drei Jahre zurücklag. Des Weiteren bin auch ich in einer Kleinstadt in der Provinz aufgewachsen. Die Situation kenne ich also sehr gut, wenn man merkt, dass sich die Wege nach dem Abi verlaufen und wenn man das Gefühl hat, dass man sich nicht mehr mit allen so gut versteht wie früher.

Die Kritik an der Banalität der Langeweile des Alltags oder an dem unausgegorenen Subplots und unglücklicher Storyführung kann ich nicht nachvollziehen. Das ist es doch, was den Film so realistisch wie das Leben macht, mit Brüchen und Sätzen, die nicht ausgesprochen werden.

Übrigens hab ich vor Jahren auch den "Vorgänger" Schule gesehen. Aber ich kann mich echt nicht mehr an ihn erinnert, im Gegensatz zu "Klasse von 99".

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