Die Kinder der Seidenstraße

Originaltitel
The Children of Huang Shi
Jahr
2008
Laufzeit
114 min
Genre
Release Date
Bewertung
5
5/10
von Frank-Michael Helmke / 11. Juni 2010

Die Ära des Zweiten Weltkriegs ist voll von großen und kleinen Geschichten über Mitmenschlichkeit, Mut und unerwartete Heldenhaftigkeit im Angesicht größten Gräuels und Unheils. Nicht erst seit "Schindlers Liste" weiß man, dass sich aus diesen Geschichten potentiell großartige Filme machen lassen, die in überlebensgroßen Gesten schwelgen können, ohne dabei in überzogenes Pathos abzudriften. Eine von diesen "Ein Jedermann wandelt sich ungewollt zum Helden und Retter"-Geschichten erzählt auch "Die Kinder der Seidenstraße", präziser: die Geschichte des Engländers George Hogg, der 1944 rund 60 chinesische Waisenkinder vor dem Zugriff der japanischen Armee rettete. Und im ersten Anschein lässt sich hier durchaus auf einen guten Film hoffen. Nicht nur dank der namhaften Besetzung, sondern auch dank der Konzentration auf den Japanisch-Chinesischen Krieg, ein in der westlichen Welt kaum beachteter Teil des Zweiten Weltkriegs. Leider erweist sich diese Hoffnung allerdings als trügerisch.

Die ersten Minuten von "Die Kinder der Seidenstraße" erwecken den Eindruck, als hätte dieser Film wahnsinnig viel zu erzählen und hätte es darum ganz furchtbar eilig. Da trifft George Hogg (Jonathan Rhys Meyers) als Kriegsjournalist in Nanking ein, gerade als die Japaner die Stadt einnehmen. Innerhalb weniger Minuten gerät er diverse Male in akute Lebensgefahr, wird gerettet, muss bei der Exekutierung eines Freundes zusehen, trägt ein Kriegstrauma davon und erleidet eine Armverletzung, die schwerwiegend genug ist, als dass seine neuen Bekanntschaften Jack Chen (Chow Yun Fat als chinesischer Partisane) und Lee Pearson (Radha Mitchell als überaus engagierte Medizinerin) ihn erstmal raus aus der Stadt und in ein kleines Nest im Landesinneren verfrachten, damit er sich dort erholen kann. Hier findet George ein von jeglichem erwachsenen Führungspersonal verlassenes Waisenhaus vor, mit 60 Jungs zwischen 5 und 15 Jahren.

Und wie es dann halt immer so kommt: Der unbeteiligte, privilegierte Ausländer möchte damit eigentlich nichts zu tun haben, doch dann werden ihm das Leid und die drängenden Probleme dieser Menschen vor Augen geführt, die innere moralische Stimme rührt sich und der Mann wandelt sich zögerlich zum Helden. Diese absehbare Wandlung vollzieht sich auch ziemlich schnell, jedenfalls hört man George Hogg nach seiner Ankunft in dem Waisenhaus nicht ein einziges Mal mehr darüber reden, dass er ja eigentlich einen Job hat, um den er sich kümmern und zu dem er zurückkehren muss.
Dass er das nicht tut, könnte daran liegen, dass seine Tätigkeit als Kriegsberichterstatter ohnehin nur ein fiktiver Einwurf der Filmemacher ist, um sich nicht lang mit der Klärung der Frage aufhalten zu müssen, wie George Hogg überhaupt ins besetzte China kam. Tatsächlich war Hogg kein Journalist, sondern ein Abenteurer aus reichem Elternhaus, reiste zunächst mit seiner Tante (eine Freundin Gandhis) nach China und kümmerte sich auch nicht eigenständig um die Waisenkinder, sondern schloss sich einem Neuseeländer namens Rewi Alley an. Die Macher von "Die Kinder der Seidenstraße" haben sich also eine ziemlich ordentliche Portion an künstlerischer Freiheit genommen, die wahre Geschichte von George Hogg ein bisschen aufzubessern, damit daraus eine filmtaugliche Handlung wird.
Leider haben sie der Geschichte dabei aber auch jedwede Form von Authentizität genommen. Schlichtweg alles wirkt hier ein bisschen zu glatt, zu abgehackt, zu konventionell. Die Wandlung des unfassbar gut aussehenden Protagonisten zum moralischen Helden und Beschützer der wehrlosen Waisenkinder erfolgt im Nu und ohne größere Hindernisse; mit der wieder auftauchenden Ärztin entwickelt sich natürlich eine passionierte (und vollkommen fiktive) Liebesgeschichte, die für die eigentliche Handlung letztlich genauso wenig relevant ist wie die anderen auftauchenden erwachsenen Figuren. Das Bemühen, eine Geschichte, die eigentlich nur um einen Engländer und einen Haufen chinesischer Kinder geht, mit weiteren bekannten Gesichtern und ergo nicht zwingend nötigen Erwachsenen-Rollen aufzupäppeln, ist hier überdeutlich. Nicht nur bei Radha Mitchells Ärztin und Chow Yun Fats Partisanenkämpfer, der sich ab und zu ein Stelldichein gibt, sondern vor allem bei Michelle Yeoh als einflussreiche Schwarzmarkt-Händlerin. Ihre Rolle hätte man genauso gut einfach weglassen können. Noch ein bisschen überflüssiger: Die knapp 30-sekündige Anwesenheit von David Wenham ("Herr der Ringe"), der in seiner ersten Szene George Hogg in der Stadt absetzt und in seiner zweiten Szene erschossen wird.
Zu ähnlichem Stückwerk verkommen beinahe alle Subplots, die um Hogg und seine chinesischen Schützlinge angerissen werden. Hier wird vieles an-, aber nichts wirklich ausgespielt; keine der vielen kleinen Kriegstragödien, die hier angedeutet werden, kann wirklich dramatische Tiefe und bleibenden Eindruck erzeugen, da man sich für nichts wirklich Zeit nimmt. In kurzen Szenen von nicht mal einer halben Minute lässt sich nun mal keine emotionale Resonanz erzeugen. Darum verlieren sich hier die vielen, potentiell rührenden und emotional starken Momente (inkl. dem Ende) in einer durchweg übereilten Erzählung, die nicht so recht zu wissen scheint, worauf sie sich eigentlich konzentrieren soll, und deswegen einen klaren Fokus konsequent vermissen lässt.

So bleibt denn auch Jonathan Rhys Meyers als George Hogg eine ziemlich blasse, nicht richtig ausdefinierte Figur, und die so heldenhafte Aktion, mit der er seinen Waisen-Schützlingen das Leben rettete, verpufft, ohne sonderlichen Eindruck beim Publikum zu hinterlassen. Gerade wenn man sich entsinnt, was für eine großartige Geschichte aus der exakt selben historischen Phase man erst vor einigen Monaten in "John Rabe" erzählt bekam, und wie dieser meisterhaft inszenierte Film zu packen und mitzureißen verstand, ohne seine reelle Vorlage für eine filmtaugliche Erzählung platt zurechtzubiegen, kann man "Die Kinder der Seidenstraße" eigentlich nur als Enttäuschung empfinden. Ein ziemlich lieblos abgespulter Film, der Menschenleben retten während des Zweiten Weltkriegs schon fast zu einem verkitschten Story-Klischee verkommen lässt.


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