
Erstmal: Der Name des Films. Dass man aus dem Originaltitel "The Last King Of Scotland" nicht unbedingt ersehen kann, dass es sich um einen fiktionalisierten Einblick in die (Schreckens-)Herrschaft des ugandischen Diktators Idi Amin Dada handelt, ist die eine Sache. Ob der ellenlange, sperrige und reichlich unbeholfene deutsche Titel da Abhilfe schafft, darf dennoch bezweifelt werden. Typischer Fall von Verschlimmbesserung. Aber warum hat der Film denn überhaupt einen so merkwürdigen und scheinbar unpassenden Namen? Weil sich der als Idi Awo-Ongo Angoo in ärmsten Verhältnissen geborene Machtmensch Idi Amin zu Hochzeiten nicht nur als Präsident Ugandas anreden ließ, sondern der Einfachheit halber schlicht als "Seine Majestät Präsident auf Lebzeiten, Feldmarschall Al Hadji Doktor Idi Amin, Herrscher über alle Tiere der Erde und Fische im Ozean, und Bezwinger des Britischen Imperiums in Afrika im Allgemeinen, und in Uganda im Besonderen."
Bescheidenheit war also nicht die Sache Amins, und als selbsterklärter Bezwinger des britischen Imperiums ernannte er sich auch kurzerhand zum König Schottlands. Allerdings ist der Titel auch wunderbar doppeldeutig für die Geschichte, die Kevin McDonalds Film erzählt. Denn bevor der zurecht mit dem Oscar als bester Hauptdarsteller ausgezeichnete Forrest Whitaker als Idi Amin den Film an sich reißt und ihn aus seinen Mordspranken auch nicht mehr hergibt, steht ein Schotte im Mittelpunkt. Der junge schottische Arzt Nicholas Garrigan, gespielt von Newcomer James McAvoy, nämlich, der sich nach ein paar Wochen im Uganda der frühen 1970er auch so ein klein wenig wie ein König fühlen kann. Ursprünglich als Arzt eines Hilfsprojekts ins Land gekommen, wird er von Amin als neuer Leibarzt rekrutiert. Mehr noch, Garrigan wird mehr und mehr zum engsten Vertrauten des Diktators. Macht und Luxus lassen ihn anfangs die Augen verschließen, als der Präsident beginnt, mit brutaler Gewalt einen politischen Gegner nach dem anderen aus dem Weg zu räumen. Spätestens als Garrigan sich aber für Kay (Kerry Washington), eine von Amins zehn Frauen, zu interessieren beginnt, ist er soweit "in den Fängen der Macht" (um dem doofen deutschen Untertitel doch noch zu berücksichtigen), dass es für ihn brenzlig wird in Uganda….
Mann, was für eine Geschichte. Will man da so sagen, angesichts der leicht unglaubwürdigen Ausgangssituation, die uns die Freundschaft des klobigen, exzentrischen, aber brandgefährlichen Amin mit dem unbeschwerten, impulsiven jungen Arzt beschert. Und siehe da, recht hat man. Denn die Figur des Nicholas Garrigan ist fiktiv, eine Erfindung des Romanautors Giles Forden, auf dessen Debütwerk dieser Film basiert. Wer also den "letzten König Schottlands" als Geschichtsstunde beäugt, wird sicherlich nicht glücklich werden, denn historische Ungenauigkeiten reihen sich hier doch ziemlich eindeutig aneinander. Aber dem Filmgenuss tut das erstmal (fast) keinen Abbruch.
Denn über weite Strecken - genauer gesagt die erste Filmstunde - funktioniert "Der letzte König von Schottland" hervorragend. Die Kameraarbeit von Anthony Dod Mantel fängt das Uganda in der Hoffnung auf Besserung durch den neuen Präsidenten, der sich an die Staatsspitze geputscht hat, wunderbar ein. Die Zeit bis zur Ankunft Amins wird von Newcomer McAvoy passabel überbrückt - auch mittels einer kurzen Affäre mit einer erst auf den zweiten Blick zu erkennenden und sehr attraktiven Gillian Anderson - und wenn dann Forest Whitaker die Szene betritt, wird's sowieso ganz fein.
Natürlich hat sich der schwarze Riese den Oscar für diese Rolle redlich verdient - trotz der Minikontroverse, die seine Nominierung als "Bester Hauptdarsteller" auslöste. Denn tatsächlich ist Whitaker dies hier nicht, sondern McAvoy. Aber Whitaker ist die Hauptperson, die zentrale Figur, Alpha und Omega des Films. Und egal, wie viel Leinwandzeit nun tatsächlich auf ihn verfällt, tolle Leistung bleibt tolle Leistung. Und wie Whitaker sich Mimik und Gestik der historischen Figur aneignet ist natürlich Sonderklasse, inklusive mühsam angelerntem afrikanischen Dialekt, weswegen man diesen Film auch unbedingt in der Originalfassung schauen sollte. Dagegen fällt McAvoy leider etwas ab, weil der ein wenig wie eine kernigere Version von Hollywoods Lieblingsdepressiven Zach Braff aussehende junge Mann sich im Verlauf des Films als Meister von insgesamt zwei Gesichtsausdrücken erweist - draufgängerisch-überheblich und erschrocken-ängstlich.
Das größte Problem des Films ist aber die Erzählung selbst. Als Moralgeschichte versteht sich der Film, der von einer Verführung durch das Böse und den daraus folgenden Konsequenzen berichtet. Aber eben jene Konsequenzen werden dann eher aus typischen Hollywood-Klischees gespeist anstatt wirklich aus der Geschichte oder ihrer Charakterdynamik selbst. Da haben die Herren Brock und Morgan in ihrem Drehbuch Giles Fodens Romanvorlage derart massakriert wie Amin seine Opfer. Der durch die Verführung bestimmte und dadurch in lockerem Ton gehaltene erste Teil funktioniert wie gesagt sehr gut - wie Garrigan ist man von allem fasziniert, besonders vom hier äußerst charmanten und humorigen Amin. Und kann schon ein wenig nachvollziehen, was den unbesonnenen Garrigan dazu bringt, sich als Amins Leibarzt in dessen Welt ziehen zu lassen.
Interessant auch, was der Film macht, sobald die ersten Todesschwadronen durch die Straßen fahren und politische Gegner Amins einfach verschwinden. Denn obwohl Garrigan es besser wissen sollte, überspielt er die sehr nahe liegenden Vermutungen einfach, so gut gefällt ihm das Leben als (fast) zweitwichtigster Mann im Staat. In einer Schlüsselszene bedauert er die Liquidierung eines vermeintlichen Verräters, für die er maßgeblich verantwortlich ist, und spricht Amin darauf an, in der Hoffnung, sein Gewissen mildern zu können. Doch der Diktator blickt ihn fest an und meint nur: "Aber Nicholas, du wusstest was passieren würde, als du es mir sagtest. Du wusstest es". Und er wusste es.
Eine moralisch ambivalente Hauptfigur also, leider dann verstrickt in unnötige und auch unpassende Handlungsstränge. Denn dass man der ohnehin fiktiven Figur sowohl eine ins Klischee laufende gefährliche Liebschaft verpasst, als auch völlig unnötig und unzureichend die 1976er-Flugzeugentführung durch palästinische (und deutsche, allerdings in dieser Version nicht berücksichtigte) Terroristen, die auf dem Flughafen der ugandischen Stadt Entebbe mit der Geiselbefreiung durch eine israelische Spezialeinheit endete, mit Garrigans Schicksal verstrickt, fällt negativ auf. Beides ist unnötig und wirkt so, als wollte man den Film bemüht mit dramatischen Elementen versehen, die es gar nicht gebraucht hätte. Besonders das Entebbe-Finale - selbst schon mehrfach verfilmt - wirkt wie ein Fremdkörper, dessen interessanter Geschichte man schlicht nicht gerecht wird.
So macht der Film einiges unnötig kaputt, was die fabulöse erste Hälfte aufgebaut hat. Denn irgendwann geht unabhängig der Faktengenauigkeit die Glaubwürdigkeit denn doch ein Stück zu weit flöten. Durch das (Über-)Angebot an Dramatik in der zweiten Filmhälfte wird es freilich nicht langweilig, aber ein wenig mehr Subtilität hätte in einem besseren Film gemündet. Auch schade, weil dies eigentlich genau die Stärke von Regisseur Kevin McDonald ist. Der stammt eigentlich aus dem Dokumentarfilmbereich und hat für seine beeindruckende Rekonstruktion des Geiseldramas bei den Olympischen Spielen in München, "Ein Tag im September", den Oscar gewonnen. Aber gegen die unnötig überdramatisierte Geschichte kann er auch nicht an.
So bleibt also ein fast guter Film mit einem hervorragenden Hauptdarsteller. "Der letzte König von Schottland" ist eigentlich feines Kino, das sich aber durch zu viele Hollywood-Ingredienzen selbst in die Quere kommt und letztlich nicht wirklich überzeugen kann. Das kann nur Herr Whitaker, und ähnlich wie den vor ein paar Wochen gestarteten "La Vie En Rose" genießt man diesen Film am Besten als schönen Hintergrund für die grandiose One-Man-Show in seinem Zentrum.
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