Das Geheimnis von Malampur

MOH (108): 13. Oscars 1941 - "Das Geheimnis von Malampur"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 20. Mai 2025

In unserer letzten Folge hatte Bette Davis die bereits angeknackste Ehe eines französischen Herzogs und dessen launischer Frau durcheinandergewirbelt, in "Das Geheimnis von Malampur" darf ihre Figur nun den eigenen Bund fürs Leben gehörig auf die Probe stellen.

Das Geheimnis von Malampur

Originaltitel
The Letter
Land
Jahr
1940
Laufzeit
95 min
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
9
9/10

In den frühen 1940er Jahren entstanden in den USA düster-zynische Kriminalfilme, die später von französischen Kritikern unter dem Begriff "Film Noir“ zusammengefasst wurden – vor allem wegen ihres markanten visuellen Stils und ähnlicher inhaltlicher Motive. Als inoffizieller Startschuss dieses Genres gilt häufig "Die Spur des Falken“ von 1941 mit Humphrey Bogart, der meisterhaft alle klassischen Noir-Zutaten versammelt – den abgebrühten Privatdetektiv, die undurchschaubare Femme Fatale und natürlich das atmosphärisch dichte Spiel aus Licht und Schatten.

Ganz aus dem Nichts kam diese neue Stilrichtung allerdings nicht. Das zeigt unter anderem unser heutiger Oscar-Beitrag aus dem Jahr 1940, der bereits etliche dieser Merkmale in sich trägt – und sich als kleiner cineastischer Leckerbissen entpuppt. Was nicht ganz überraschend kommt, denn "Das Geheimnis von Malampur“ wartet mit gleich zwei Schwergewichten des goldenen Hollywoodzeitalters auf: nämlich Bette Davis vor und William Wyler hinter der Kamera. Das Ergebnis: ein atmosphärisch dichtes Drama mit einer faszinierend ambivalenten Hauptfigur, das unserer heutigen Vorstellung eines Film Noir schon erstaunlich nahekommt.
 


Grundlage für "Das Geheimnis von Malampur" ist eine wahre Begebenheit, die den Autor William Somerset Maugham erst zu einer Kurzgeschichte und dann einem erfolgreichen Theaterstück inspirierte. In der ehemaligen britischen Kolonie Malaya erschießt Leslie Crosbie (Bette Davis, "Opfer einer großen Liebe", "Jezebel – Die boshafte Lady") den Lebemann Geoff Hammond. Ihr Ehemann Robert (Herbert Marshall), ein angesehener Plantagenbesitzer, kann deren Begründung (Geoff wurde übergriffig) nachvollziehen und bittet den befreundeten Anwalt Howard Joyce (James Stephenson) die Verteidigung zu übernehmen. Howard möchte auf Notwehr plädieren, hört dann aber von der Existenz eines Briefes, der ein ganz anderes Licht auf den Fall zu werfen droht. Ein Brief, der sich leider im Besitz von Geoffs Ehefrau (Gale Sondergaard, "Das Leben des Emile Zola", "Ein rastloses Leben") befindet und Howard schon bald vor ein großes moralisches Dilemma stellt.

Genau dieser Brief ist das zentrale Element des Films – und nicht umsonst auch sein englischer Titel: "The Letter". Ein Schreiben, das den Tod von Geoff in völlig neuem Licht erscheinen lässt – wobei die wahren Hintergründe, die schon relativ früh ans Tageslicht kommen, gar nicht mal so kompliziert oder faszinierend ausfallen. Interessant ist aber das, was sie auslösen. Sie wirbeln nämlich die Gefühlslage des gesamten Figurenkarussells durcheinander und versetzen unsere Protagonisten entweder in die moralische Bredouille oder in den Überlebensmodus. Genau dieses Spannungsfeld zwischen den Figuren macht nun den Reiz aus. Denn hier reiben sich die Charaktere jetzt ordentlich aneinander, was für eine äußerst unterhaltsame und interessante inhaltliche Spannungskurve sorgt.
 


Die große Stärke liegt hier aber nicht darin, was passiert, sondern wie es passiert. "Das Geheimnis von Malampur" lebt vor allem von seiner Atmosphäre – und von einer großartig gespielten Hauptfigur. Warner Brothers ging hier quasi all-in und liefert uns eine Hochglanzproduktion vom Feinsten, bei der man auf zwei der damals größten Aushängeschilder des Studios zurückgriff: Regisseur William Wyler ("Sackgasse", "Zeit der Liebe, Zeit des Abschieds") und die bereits damals schon oscarprämierte Bette Davis. Und dass man hier aus dem obersten Hollywood-Regal bedient wird, merkt man schon nach wenigen Sekunden. Der Film startet mit einer Eröffnungssequenz, die schlichtweg großartig ist – und bisher eines der Highlights dieser Oscar-Reihe markiert. Ich könnte jetzt lange über Lichtsetzung, Spannungsaufbau und die hypnotische Wirkung der Szene dozieren, aber warum nicht einfach selbst ein Bild davon machen? Sagt ja bekanntlich mehr als tausend Worte.
 


Die wirklich großartige Eröffnungssequenz - wenn das nicht Lust auf den Film macht.
 

Und, Lust bekommen? Ging mir genauso – und glücklicherweise hält sich dieses Gefühl für den Rest des Films. Wie bei den späteren Klassikern des Film Noir wird hier meisterlich mit Licht und Schatten gespielt, wodurch teils fast gespenstisch intensive Bilder entstehen. Ein Beispiel: Als Geoff stirbt, verschwindet der Mond kurz hinter einer Wolke und taucht dann wieder auf – nur um Leslie dann in ein geisterhaftes Licht zu tauchen. Es lässt sich festhalten: "Das Geheimnis von Malampur" sieht einfach von vorne bis hinten fantastisch aus. Die Kameraführung ist elegant, die Bilder klug komponiert, und es gibt unzählige kleine Regieeinfälle, die das Spannungslevel subtil hochtreiben. Wenn Leslie später Geoffs Ehefrau treffen will, lässt man sich mit deren Auftritt zum Beispiel viel Zeit – was genutzt wird, um mit wiederkehrenden Windspiel-Geräuschen und dem plötzlichen Erscheinen einer Silhouette im Hintergrund die Intensität hochzuschrauben.

Dazu noch ein wunderbar atmosphärischer Score von Max Steiner, der damals gefühlt zu jedem zweiten Film den Soundtrack beisteuerte, und schon hat man jede Menge toller Zutaten für einen cineastischen Leckerbissen. Aber als wäre das nicht schon genug, gibt’s obendrauf noch Bette Davis. Wie diese hier spielt, ist einfach perfekt. Und wenn ich jetzt sage, dass dies für mich ihre bisher beste Leistung in unserer Oscar-Reihe ist, dann ist das ein ganz schön dicker Komplimente-Brocken. Denn schon in ihren vorherigen Werken war sie fast immer das Beste am ganzen Film. Hier spielt sie nun das, was sie am besten kann: eine kontrollierte, kühle und etwas durchtriebene Figur – aber mit genug Nuancen, um sie im faszinierenden Graubereich zu verorten. Bezeichnend dafür ist die Tatsache, dass sie hier zu Beginn mehrere Minuten lang die Tatgeschehnisse beschreibt – die Kamera dabei aber kein einziges Mal von ihr ablässt. Normalerweise hätte man hier sicher versucht, durch das Einbinden von Rückblenden mehr Spannung zu erzeugen. Bei Bette Davis ist das nicht nötig, die füllt die Szenerie mit so viel Leben und schafft es gleichzeitig meisterhaft durch ihr Schauspiel genug Hinweise darauf einzustreuen, dass irgendwas hier doch nicht ganz stimmen kann.
 


Zwar liegt die Wahrheit dann relativ früh auf dem Tisch, doch das raubt dem Film keineswegs seine Spannung. Denn ab jetzt beginnt ein moralisches und sehr unterhaltsames Ränkespiel, bei dem plötzlich unser Anwalt unter Druck gerät und Leslie mehr und mehr zur Femme Fatale avanciert.  Stephenson spielt den zwischen Pflichtbewusstsein und Gewissen zerrissenen Anwalt dabei sehr überzeugend – tragisch, dass er nur ein Jahr später an einem Herzinfarkt starb und nie den Durchbruch in Hollywood erlebte. Ergänzt wird das Ganze durch weitere Nebenfiguren, die fast allesamt in moralisch schattigen Zonen agieren – was das ganze "Film Noir"-Gefühl nur noch mal weiter verstärkt.

Im letzten Drittel schwächelt der Film allerdings ein wenig. Besonders schade ist, dass der Schlagabtausch zwischen Leslie und Howard nicht noch ein Ticken mehr Tiefe erhält und dessen Figur am Ende plötzlich ganz abtaucht. Auch eine von Leslies finalen Aussagen wirkt nicht so richtig charakterkonform. Über diese Szene stritten sich interessanterweise auch Davis und Wyler hinter den Kulissen, denn auch Davis fand diese Entscheidung unglaubwürdig – konnte sich am Ende aber nicht durchsetzen. Fast schon mit Humor muss man auch die letzte Szene des Films nehmen, bei der man den damaligen Vorschriften des Hays Code (Verbrechen dürfen nicht ungesühnt bleiben) genügen wollte und das auf sehr abrupte Weise löst. Eine Szene, die an sich auch nur deswegen nötig war, weil man wiederum davor schon mal ein Zugeständnis an den Hays Code machen musste und das Ende der Kurzgeschichte dafür anpasste.
 


Aber selbst dieser etwas unrunde Schluss ist inszenatorisch dann doch so stark umgesetzt, dass die inhaltlichen Schwächen nicht allzu schwer wiegen. Unterm Strich bleibt: "Das Geheimnis von Malampur" ist einfach ein toll inszenierter atmosphärischer Film mit schön zwielichtigen Nebenfiguren und einer Hauptdarstellerin in Höchstform. Bette Davis erhielt dafür völlig zurecht ihre vierte von insgesamt zehn Oscarnominierungen, Wyler seine dritte von später zwölf – und die Filmgeschichte einen stilprägenden Vorboten des Film Noir. Gerade wer dieses Genre liebt, sollte also hier definitiv zugreifen – es gibt mal wieder eine kleine Perle zu entdecken.

"Das Geheimnis von Malampur" ist aktuell digital auf Amazon Prime und als Bluray-Import auf Amazon in Deutschland verfügbar.

 


Trailer zum Film
 


Ausblick
In unserer nächsten Folge unternehmen wir eine kleine Nostalgie-Reise in ein amerikanisches Örtchen, in dem Morde nur aus der Zeitung bekannt und die Welt noch völlig in Ordnung ist.

Bilder: Copyright

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