ihren Pralinés auch dem Zuschauer das Dasein |
Zuerst ein persönliches Geständnis: Ich mag gar keine Schokolade! Äußerst unangenehme Voraussetzung für einen Film voll ‚Chocolat'. Doch während der 121 süßen Minuten überflutete mich das wundersame Gefühl, eine braune Köstlichkeit nach der anderen probieren zu wollen. Als hätte ich meinen Lebtag nichts anderes gegessen. Auch Schokoladen-Experte und Filmberater Walter Bienz ist "fest davon überzeugt, dass Schokolade das Leben verändern kann. Du glaubst, wenn du eines dieser magischen Pralinés in deinen Mund steckst, bist du frei."
gehört zum Ensemble der Extraklasse |
So frei wie die geheimnisvolle Vianne (Juliette Binoche), die 1959 mit ihrer kleinen Tochter Anouk vom stürmischen Nordwind in das französische Städtchen Lansquenet-sous-Tannet geweht wird. In ihren roten Capes leuchten sie wie die Verheißung von Sünde und Verführung in dem verstaubten Ort. Doch Bürgermeister Comte De Reynaud (Alfred Molina) hat mit seinen strengen Moralvorstellungen das kleine Provinznest samt Einwohner fest im Griff. Vianne mietet von Armande Voizin (Judi Dench), einer ebenso eigenwilligen wie scharfzüngigen Witwe, eine leerstehende Bäckerei direkt gegenüber der Kirche. Ausgerechnet zur Fastenzeit eröffnet sie dort eine bezaubernde Chocolaterie, gefüllt mit unwiderstehlichen Köstlichkeiten, und beschwört damit den Zorn des selbsternannten Sittenwächters Reynaud herauf. Doch mit ihrem magischen Gespür für die verborgenen Sehnsüchte der Menschen hat sie für jeden verschüchterten Einwohner und dessen persönliche Vorlieben das passende Praliné. Armande ist eine der ersten Stammkunden - bei heißer Schokolade mit einer Prise Chili versucht sie, nicht an ihre argwöhnische Tochter Caroline (Carrie-Anne Moss) und ihren Enkel Luc zu denken, den sie schon seit Monaten nicht mehr sehen durfte und der sichtlich unter der strengen Fürsorge seiner überängstlichen Mutter leidet: "Ich schwöre, der Junge pinkelt nicht mal ohne ihre Erlaubnis."
Alfred Molina und "Matrix"-Nymphe Carrie-Anne Moss |
All die neuen sinnlichen Genüsse, die Leichtigkeit und Farbenpracht lassen Viannes Geschäft schnell zum geheimen Mittelpunkt des Ortes werden. Und noch ehe der Comte seine täglichen Ave Maria gegen sündhafte Verlockungen gesprochen hat, sind auch die Widerstandsfähigsten der himmlischen Verführung feinster Schokolade erlegen (selbst der junge Pfarrer mit dem heimlichen Faible für Rock 'n Roll). Als auch noch Roux (Johnny Depp), ein mysteriöser Fremder, auftaucht und Vianne dabei hilft, die Stadt aus ihren überholten Traditionen zu befreien, sieht Comte De Reynaud endgültig seine Macht schwinden. In einem absurden Feldzug gegen die Schokolade versucht er Vianne für immer aus seinem einst so beschaulichen Ort zu vertreiben.
Diese cineastische Köstlichkeit ist das bezauberndste Geschenk, dass man der "Speise der Götter" zu ihrem 600. Geburtstag im nächsten Jahr widmen kann. Für die Prise Chili, die dafür sorgte, dass "Chocolat" nicht nur in süßlichem Genuss versinkt, war Drehbuchautor Robert Nelson Jacobs verantwortlich. Er zog sich aus Joanne Harris' Romanvorlage nur die besten Zutaten für seine spezielle Mischung aus Witz und Weisheit, Liebe und Leidenschaft, Magie und Bigotterie heraus. Eine außergewöhnliche Mixtur, die eines außergewöhnlichen Regisseurs bedarf: Lasse Hallström ist wie geschaffen für diese Art von Geschichte, die märchenhaft und real zugleich erscheint, die reich an wunderbaren Charakteren (und Charakterköpfen) und einnehmendem Charme ist. Außenseiterwelten und die menschlichen Konflikte um Anpassung, Intoleranz und Freundschaften sind raum- und zeitlose Themen, die in vielen Hallström-Filmen wiederkehren ("Gilbert Grape - Irgendwo in Iowa"; "Gottes Werk und Teufels Beitrag"). "Chocolat" wirft dazu noch den ewigen Kampf zwischen Tradition und Fortschritt auf.
Supermarkt: Juliette Binoche und Lena Olin bringen Pralinen unters Volk. |
Doch jede Tradition und aller Fortschritt sind vergessen, wenn Juliette Binoche uns ein Praliné entgegenstreckt und lacht. Wenn sie so lacht, wie nun einmal nur Juliette lacht, dann zaubert sie eine seltene, originär französische Magie auf die Leinwand, die alles um sie verwandelt. Da sehen ur-britische Schauspieler auf einmal wie waschechte Franzosen aus, und die englischen Drehorte sind plötzlich très charmant und voller Esprit. Der echte französische Liebesfilm kann sich hier noch so manches abgucken.
Im Falle von "Chocolat" sollte man der Versuchung unbedingt nachgeben. Zu schön ist einfach der Genuß, der sich hier bietet, um ihn sich nicht zu gönnen. Um noch mal mit Berater Walter Bienz zu sprechen: " Ich habe immer an die Kraft der Schokolade geglaubt. Sie ist sicher ein Aphrodisiakum und kann Emotionen hervorbringen und verstärken - immerhin ist fast jeder verrückt nach Schokolade." Nach diesem Film ganz bestimmt.
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