Es
heißt, jeder Mensch, der es damals mitbekommen
hat, wisse noch heute wo er sich aufhielt, als John F.
Kennedy ermordet
wurde. Das Attentat von Dallas ist sicher eines der
prägnantesten
Ereignisse der Nachkriegsgeschichte. Dass auch Kennedys
jüngeren
Bruder Robert fünf Jahre später das gleiche Schicksal
ereilte, dürfte ebenfalls allgemein bekannt sein, jedoch
haben
sich die näheren Umstände dieses Ereignisses auch in den
USA längst nicht so stark ins kollektive Bewusstsein der
Gesellschaft
eingebrannt. Anders bei Emilio Estevez. Der mittlerweile
45jährige
Schauspieler wurde
bereits als Kind von seinem Vater Martin Sheen, einem
begeisterten
Kennedy-Anhänger, an den Ort des Geschehens, das Hotel
Ambassador,
geführt und hat sich seitdem über viele Jahre mit der
Person Robert Kennedy beschäftigt. Dabei gelangte Estevez
zu
der Erkenntnis, dass jener 5. Juni 1968 einen Einschnitt
bedeutete,
der vielen Menschen ihren Idealismus und Optimismus nahm
und zu
einem apathischen und desillusionierten Amerika führte.
"Vieles,
was wir heute in unserem Land sehen, resultiert
unmittelbar aus
den Ereignissen von damals", ist Estevez überzeugt. Und
fügt hinzu: "Es bricht einem das Herz".
Diese Hintergrundgeschichte erklärt vielleicht die
Überraschung
oder sogar die Sensation "Bobby". Denn wohl niemand hätte
dem 80er-Jahre-"Bratpack"-Darsteller, dessen frühe
Karrierehöhepunkte "Breakfast Club" und "Young
Guns" hießen und dessen letzter kommerzieller Erfolg
Anfang der 90er ein SF-Spektakel namens "Freejack" war,
eine derartige Leistung zugetraut. Denn dieser Estevez
tritt mal
eben in die Fußstapfen eines Robert Altman, versammelt ein
riesiges Ensemble von Darstellern um sich und erhält dabei
Zusagen von mehr als einem Dutzend wirklich großer Namen.
Regie und Drehbuch übernimmt er dabei selbst, genau wie
eine
der 22 Hauptrollen.
Schauplatz der Handlung ist - wie könnte es anders sein -
eben
dieses legendäre "Hotel Ambassador", an dem Abend,
an dem Robert Kennedy nach dem Sieg bei den demokratischen
Vorwahlen
seine offizielle Präsidentschaftskandidatur erklären wird.
Während der pensionierte Hotelportier (Anthony Hopkins)
mit
einem alten Freund (Harry Belafonte) eine Partie Schach
spielt,
bereitet das Wahlkampfteam die Veranstaltung
vor, und die zurzeit im Hotel gastierende Showdiva (Demi
Moore)
streitet mit ihrem frustrierten Ehemann (Estevez) über
ihren
Alkoholkonsum. Der Hoteldirektor (William H. Macy)
organisiert die
Abläufe und betrügt nebenbei seine Frau (Sharon Stone)
mit einer jungen Hotelangestellten (Heather Graham). Nicht
alle
sind freiwillig vor Ort, so muss das Personal Überstunden
schieben
und sich von einem rassistischen Vorgesetzten (Christian
Slater)
kommandieren lassen. Unter den Gästen befindet sich ein
langjähriges
Ehepaar in der Krise (Helen Hunt und Martin Sheen) sowie
ein junges
Brautpaar (Lindsay Lohan und Elijah Wood), bei dessen
Hochzeit es
sich eigentlich nur um einen Freundschaftsdienst handelt,
mit dem
sie ihm den Kriegsdienst in Vietnam ersparen will. All
diese Personen
werden im Laufe dieses Tages ihre Krisen durchleben,
Verletzungen
erleiden oder selbst austeilen. Aber die meisten von Ihnen
werden
sich dann am Abend gestärkt und mit neuer Hoffnung im
großen
Ballsaal des Hotels versammeln um die Rede von Bob Kennedy
zu hören
- seine letzte ….
Ganz klar, bei dieser Menge an Figuren braucht es seine
Zeit, bevor
man als Zuschauer den Durchblick hat, alles zuordnen kann
und die
Verbindungen erkennt. Die ersten rund 45 Minuten von
"Bobby"
sind daher nicht einfach zu konsumieren, sondern erfordern
schon
eine gewisse Konzentration. Für diese wird man dann aber
auch
mehr als ausreichend belohnt, wenn sich aus den
Konstellationen
interessante und spannende,
bewegende und bittere Momente ergeben, denn dies ist
tatsächlich
ein Film, der sich von Minute zu Minute steigert.
Herausragend sind dabei das schonungslos offene Gespräch
der
beiden alternden Schönheiten Demi Moore und Sharon Stone
und
die Szenen, die sich unter dem Küchenpersonal abspielen.
Dort
verschenkt der junge Jose (Freddy Rodriguez) notgedrungen
seine
Baseballkarten um weiter Dienst zu schieben, macht der nur
scheinbar
devote und angepasste Edward (Laurence Fishburne) seinen
Kollegen
etwas Hoffnung und erweisen sich die Schikanen des
Personalchefs
als eher hilflose Aktionen eines völlig ratlosen Mannes.
Auch
Lohan und Wood bieten als aus der Not geborenes Brautpaar
eine starke
Leistung, lediglich Ashton Kutcher als im Stab offiziell
nicht aufgeführte
23. Hauptfigur wirkt in der Rolle eines zugedröhnten
Drogendealers
etwas unpassend.
Ansonsten zeigt uns der Film die vielen Frustrationen der
einzelnen
Menschen, sei es die ausgebeutete soziale Unterschicht
oder auch
die in Dekadenz und Überfluss verkümmerte Welt der oberen
Zehntausend. Sie alle wollen irgendwie etwas ändern,
wollen
ausbrechen aus ihrem Trott, und diese Einzelschicksale
verbindet
Estevez schließlich mit dem großen Ganzen, indem er
uns Bobby Kennedy zeigt, der kurz nach der Ermordung von
Martin
Luther King eine neue Art von Politik repräsentiert, eine
Politik,
welche auf die Menschen zugeht, die Augen nicht vor den
Unterprivilegierten
verschließt und einen Wandel verspricht, der nicht zuletzt
das Ende des amerikanischen Kampfes in Vietnam bedeuten
würde.
Und wer spielt "Bobby", mag sich der eine oder andere
nun fragen? Niemand, lautet hier die Antwort, denn Estevez
bedient
sich lediglich an zwischendurch immer wieder eingestreutem
Nachrichtenmaterial
und Originaltönen und zeigt seine Titelfigur in den
Schlussszenen
ansonsten nur von hinten oder aus der Ferne. Das
funktioniert auch
ganz ausgezeichnet, denn vor allem die letzte
Viertelstunde, in
der Bob Kennedy das Hotel
betritt und die tödlichen Schüsse fallen, ist meisterhaft
inszeniert. Während die Kamera das sich ausbreitende Chaos
einfängt, gelingt es dabei, nahezu alle bekannten
Charaktere
im Blick zu behalten, deren gelöste Stimmung und Freude in
blankes Entsetzen umschlägt und die schließlich zum Teil
selbst von Kugeln getroffen werden.
Wenn der Film schließlich endet, hören wir zu den
fassungslosen
Gesichtern aus dem Off die beruhigende, warme Stimme
Kennedys und
seinen Appell an die Bürger Amerikas. Und danach ist man
wirklich
ergriffen und auch selbst davon überzeugt, dass mit diesem
Mann die US-Geschichte einen ganz anderen Verlauf genommen
hätte.
Sicher, Estevez überhöht seinen "Bobby" hier
zu einem Mythos und Heilsbringer, aber er tut dies mit
einer derartigen
Leidenschaft und Überzeugung sowie handwerklichen
Perfektion,
dass man darüber nur ernsthaft staunen kann. Vielleicht
wird
ihm so etwas nie wieder gelingen, vielleicht konnte es ihm
sogar
nur bei diesem einen Herzensthema gelingen, aber mit
diesem Film
hat er etwas Großes geschaffen, das zudem genau in die
Wunde
eines auch in den Zeiten von George W. Bush wieder
zutiefst gespaltenen
Amerikas trifft. Umso trauriger und unverständlicher, dass
"Bobby" bei den großen Preisverleihungen und Nominierungen
des Jahres komplett übergangen wurde. Denn die Empfehlung
lautet
ganz eindeutig: Ansehen!
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