Blond

Originaltitel
Blonde
Land
Jahr
2022
Laufzeit
166 min
Release Date
Streaming
Bewertung
5
5/10
von Frank-Michael Helmke / 30. September 2022

Im Jahr 2000 veröffentlichte die Schriftstellerin Joyce Carol Oates eine verschachtelte, hochambitionierte fiktionalisierte Biografie von Marilyn Monroe, für die Oates im folgenden Jahr den Pulitzer-Preis gewann. Ungefähr seitdem arbeitete der Filmemacher Andrew Dominik an einer Drehbuch-Adaption des Romans und versuchte lange Zeit vergeblich, sein Projekt realisieren zu können. Dass es nun schließlich als Netflix-Eigenproduktion entstanden ist, sagt viel darüber aus, dass sich all die Jahre nie ein Hollywood-Studio fand, dass Dominiks Skript wirklich für die große Leinwand umsetzen wollte - was einen schon mal skeptisch machen sollte. Tatsächlich ist "Blond" allerdings als ein Netflix-Release denkbar ungeeignet. Im Kino ist die Hemmschwelle, einen Film abzubrechen (also den Saal zu verlassen), ziemlich hoch - immerhin hat man sich extra ins Kino aufgemacht und auch dafür bezahlt. Daheim auf dem Sofa mit einem Streamingdienst-Abo ist diese Hemmschwelle im Gegensatz extrem niedrig. Und Junge, gibt "Blond" sich Mühe, zu Anfang möglichst viele seiner "Lass mal reinschauen, ob das was für mich ist"-Zuschauer möglichst schnell zu vergraulen. 

Es geht schon damit los, dass man erstmal seine Jugendschutz-PIN eingeben muss, denn Netflix hat dem Film selbst eine Altersfreigabe ab 18 verpasst. In den folgenden, ersten 30 Minuten des Films, die Norma Jeane Bakers traumatische Kindheit und ihre ersten Kontakte mit der Filmindustrie zeigen (bevor sie zur Kunstfigur Marilyn Monroe wurde), eimert "Blond" dann kompromisslos und künstlerisch hochstilisiert gleich so viel körperliche und seelische Gewalt über sein Subjekt aus, dass es nur schwer zu verkraften ist - das Ding geht ja noch über zwei Stunden weiter... Es fühlt sich ein bisschen an, als wolle Andrew Dominik mit voller Absicht die Spreu vom Weizen seiner Zuschauer trennen und sichergehen, dass auch wirklich nur die übrig bleiben, die es mit seinem Film richtig ernst meinen und bereit sind, sich auf Gedeih und Verderb darauf einzulassen. Wer die erste halbe Stunde ohne Wegklicken überstanden hat, der schafft jedenfalls auch den Rest des Films. Schlimmer wird's nicht mehr. Viel angenehmer allerdings auch nicht.

Man hätte "Blond" auch "Die Passion der Marilyn Monroe" nennen können, denn der Film interpretiert ihr Leben als einen nicht enden wollenden Leidensweg. Baker/Monroe leidet unter Missbrauch. Sie leidet unter Sexismus. Sie leidet unter der unüberwindlichen Dominanz des geifernden Patriarchats. Sie leidet unter einem unerfüllten Kinderwunsch (sie wird im Laufe des Films dreimal schwanger und niemals Mutter). Sie leidet unter ihrer höchst fragilen Psyche. Sie leidet an ihrer Drogensucht. Und vor allem leidet sie unter "daddy issues". Dass Monroe ihren leiblichen Vater nie kennengelernt hat, jazzt der Film von der ersten bis zur letzten Szene mit fast schon nerviger Penetranz zum zentralen Trauma ihrer gesamten Existenz hoch, und ihre verzweifelten Versuche, diese Leerstelle zu füllen, zum Kernaspekt ihres tragischen Niedergangs.

Geht es nach "Blond", war Marilyn Monroe ihr Leben lang immer nur ein Opfer. Und mit dieser Eindimensionalität offenbart der Film sein größtes Manko, denn er wird seinem Subjekt einfach nicht gerecht. Dass Monroe über weite Strecken sehr wohl die Herrin ihrer eigenen Karriere war, und ihre öffentliche Persona, die zum größten Sexsymbol ihrer Ära wurde, maßgeblich selbst geformt hat, ignoriert der Film geflissentlich und lässt seine Hauptfigur in einer sich zuspitzenden schizophrenen Krise immer mehr mit ihrer Zweitidentität ringen. Die Kunstfigur Marilyn Monroe ist hier für Norma Jeane Baker ausnahmslos Fluch und eigentlich gar nicht Segen.

Und das ist alles irgendwie ziemlich problematisch, denn der Film geriert sich als ein Kind der #metoo-Ära, indem er die systemische Ausnutzung, faktische Enteignung des eigenen Willens und den allgegenwärtigen Missbrauch von Frauen in der damaligen Filmindustrie und Gesellschaft anprangert und sich als quasi-feministisches Manifest hinstellt. Mehrmals verzweifelt Monroe im Film lautstark daran, dass man sie wie ein Stück Fleisch behandelt, und nicht wie einen Menschen. Nur: "Blond" muss sich den Vorwurf gefallen lassen, ein gutes Stück weit genau dasselbe zu tun. Die überpräsenten "daddy issues" vermitteln die klare Botschaft, dass diese Frau auch und vor allem deshalb so kaputt war, weil die heilsame Wirkung einer Vaterfigur in ihrem Leben fehlte (was schon mal ziemlich sexistisch ist). Und eine Vielzahl an Nacktszenen wecken den unangenehmen Eindruck, dass der Film sich durchaus selbst an seiner Hauptdarstellerin ergötzt. 

Ana de Armas ("Knives Out", "Keine Zeit zu sterben") wirft sich dabei mit aller Macht in ihre Rolle. Ihr Porträt der Monroe ist phänomenal, sie fängt Habitus und Sprachstil dieser Legende so präzise ein, dass die Kopie vom Original stellenweise nicht mehr zu unterscheiden ist, wenn der Film immer wieder berühmt gewordene Szenen und Fotos aus Monroes Leben Eins-zu-Eins nachstellt. De Armas war sich sicher mehr als bewusst, dass das hier ihre große Chance auf einen Oscar ist. Dafür gibt sie wirklich alles und ließ auch alles mit sich machen. Bei Betrachten des Films kommt man deswegen aber auch kaum umhin, de Armas zu bedauern. Denn als Schauspielerin wird sie hier sowohl seelisch als auch körperlich ganz schön ausgewrungen. 

Auch wenn es bis hierhin vielleicht so klang: Sich "Blond" anzusehen, ist keine reine Qual. Dafür ist er filmisch dann doch viel zu gut gemacht. Auch wenn er in seiner elliptischen und sprunghaften Erzählweise und sehr verkünstelten Inszenierung ganz sicher nur etwas für ein engagiertes Arthouse-Publikum und nichts für die breite Masse ist - der Film hat fraglos eine bemerkenswerte Kraft. Wer sich noch an Andrew Dominiks elegischen Western "Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford" erinnern kann, weiß in etwa, was ihn erwartet. Auch dieser Film hatte seine Probleme und war seeeehr lang, cineastisch aber auch fraglos großartig. Auch bei "Blond" geht Dominik mit einer fast schon übertrieben großen künstlerischen Ambition zu Werke. Akribisch ausgetüftelte und brillant umgesetzte Bilder machen den Film punktuell immer wieder zu einem Ereignis. 

Aber auch das bewahrt "Blond" nicht davor, dass er mit zunehmender Laufzeit öde und eintönig wird. Von 160 Minuten ist seine Hauptfigur gefühlt für ungefähr 10 auch nur ansatzweise glücklich. Die restliche Zeit leidet sie. Und leidet. Und leidet. Und dann leidet sie noch ein bisschen mehr. Das ist nicht nur anstrengend. Das wirft auch die Frage auf, warum man sich das als Zuschauer überhaupt antun sollte. Wer hier schon nach zehn Minuten verstört abgeschaltet hat, hat da womöglich die richtige Entscheidung getroffen. 

Bilder: Copyright

Habe ebenfalls von den Vorzügen des Heimkinos Gebrauch gemacht und den Film von vorne bis hinten in 10 Minuten durchgespult. Allerdings wäre ich auch so nie für ihn ins Kino gegangen. Was mich "gehalten" hat, waren die in meinen Augen phänomenalen Bilder. Praktisch jedes Einstellung könnte ich mir zu Hause als Foto an die Wand hängen.
Insgesamt war der Film mir aber zu sperrig. Die Dialoge empfand ich als künstlich. Ob das im Buch genauso ist, wäre mal interessant zu wissen.

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