Big Bug

Land
Jahr
2022
Laufzeit
111 min
Release Date
Streaming
Bewertung
4
4/10
von Matthias Kastl / 12. Februar 2022

Es ist in den letzten Jahren ziemlich still geworden um Jean-Pierre Jeunet („Mathilde – Eine große Liebe“, „Die Karte meiner Träume“). 2001 hatte der französische Regisseur das Kinopublikum mit „Die fabelhafte Welt der Amélie“ verzaubert, doch für den weiteren Verlauf seiner Karriere schien dieser Erfolg sich eher als eine nicht zu stemmende Last zu entpuppen. Nach sieben Jahren Pause schwingt er sich nun zurück in den Regiesessel und beteiligt sich auch als Drehbuchautor an der Zukunftssatire „Big Bug“. Doch selbst wenn man für dieses Comeback die Messlatte deutlich niedriger legt, ist das Endergebnis eine ziemliche Enttäuschung geworden. Jeunet hat zwar nichts von seinem visuellen Ideenreichtum eingebüßt, doch der Film entpuppt sich als inhaltlich inkonsequentes Stückwerk, dessen eindimensionale Figuren vor allem in der zweiten Hälfte gehörig am Nervenkostüm des Publikums nagen.   

Richtig genervt sind die Protagonisten des Films aber erst einmal von sich selbst. Im Jahr 2045 hat sich im Haus von Alice (Elsa Zylberstein) eine nicht wirklich kompatible Ansammlung von Charakteren eingefunden. Max (Stéphane De Groodt) ist eigentlich vorbeigekommen, um die Hausbesitzerin zu verführen, hat zu seinem Leidwesen aber den eigenen Sohn (Helie Thonnat) im Schlepptau. Nur auf eine Stippvisite schaut dagegen die Nachbarin Françoise („Amélie“-Veteranin Isabelle Nanty) vorbei und auch der Besuch von Alices Ex-Ehemann Victor (Youssef Hajdi) sollte eigentlich zeitlich begrenzt sein. Der möchte nur die gemeinsame Tochter Nina (Marysole Fertard) abliefern, bevor er mit seiner neuen Flamme Jennifer (Claire Chust) in den Urlaub abdüst. Daraus wird aber nichts, denn die vier Haushaltsroboter von Alice entscheiden sich, das komplette Haus abzuriegeln, da ihrer Meinung nach die Rebellion einer neuen Androiden-Generation bevorsteht, die das Wohl aller gefährdet.

 

Das erzwungene Aufeinandertreffen dysfunktionaler Figuren auf engstem Raum gehört ja zu einem der beliebtesten Ausgangspunkte für viele Dramen und Komödien des französischen Kinos. Hier ist es jetzt aber nicht das klassische Familientreffen in der Provence, sondern ein satirisch-dystopisch angehauchtes Zukunftsszenario, in dem unsere Protagonisten ihre Stress- und Konfliktresistenz unter Beweis stellen dürfen. Abgesehen von ein paar kurzen Fernsehberichten erhalten wir dabei nur wenige Informationen über die Außenwelt und verbringen so wirklich die komplette Zeit gemeinsam mit den Figuren im Haus von Alice. Und zumindest in der ersten halben Stunde ist das noch ein halbwegs unterhaltsamer Aufenthalt.

Das liegt allerdings weniger an den Figuren oder der Story, sondern vor allem an dem für Jeunet so typischen Faible für kreative und leicht skurrile visuelle Einfälle. Vom Innendesign des Hauses oder der Roboter bis hin zu Jeunets Zukunftsvision des perfekten Eierkochers – es gibt zu Beginn immer wieder etwas Interessantes zu entdecken. Die Einfälle kommen dabei oft mit einem sympathischen kleinen Augenzwinkern daher – oder mit einem großen, wie in den sehr überspitzt präsentierten Fernsehausschnitten über die Herrschaft der Androiden-Generation der sogenannten Yonyx. Doch gerade in einem so begrenzten Setting wird es natürlich im Laufe der Zeit immer schwieriger, sich neue visuelle Gags einfallen zu lassen, und so rücken mit fortlaufender Filmdauer automatisch die Figuren und die Handlung stärker in den Vordergrund. Und genau hier gehen die Probleme dann los.

 

Anstatt sich mit einer gehörigen Portion Biss an seiner Zukunftsvision abzuarbeiten, legt der Film nämlich vor allem Wert auf einfacheren Slapstick und überspitztes zwischenmenschliches Drama, dass die Oberflächlichkeit der menschlichen Protagonisten entlarven soll. Zumindest in Sachen Humor gelingt zwar zumindest hin und wieder mal ein ordentlicher Gag, an dem dann meistens Françoise oder deren Hund beteiligt sind. Doch meist ist das, was zwischen den menschlichen Figuren passiert, nur schwer zu ertragen. Dass in einer Satire Figuren in ihrer Eindimensionalität überspitzt dargestellt werden, mag ja Genre-typisch sein, doch wenn alle so unsympathisch und nervig daherkommen wie hier fällt es schwer darüber zu lachen oder zum Nachdenken angeregt zu werden. Wenn der liebestolle Max zum sechsten Mal Alice begatten möchte und die einfältige Jennifer ihren fünften hysterischen Anfall bekommt, dann reißt auch beim langmütigsten Zuschauer so langsam der Geduldsfaden.

Es wird auch nicht dadurch besser, dass der Film eher wie eine unzusammenhängende Ansammlung von einzelnen Sketchen als ein in sich schlüssiges Ganze wirkt. Einen wirklich roten Faden sucht man hier vergebens. Figuren handeln oft nur so wie es für den nächsten Gag eben benötigt wird, und eine richtige Botschaft ist auch nicht auszumachen. Gerade die wenigen ernst gemeinten Momente verpuffen angesichts platter Figurenzeichnung. Dem bemüht wirkenden Schauspielensemble kann man dabei wohl nur bedingt einen Vorwurf machen, denn offensichtlich ist deren Overacting für die Macher ein essentieller Teil der Film-DNA.

 

Da sind einem die vier Haushaltsroboter fast schon am sympathischsten, doch deren Streben menschlicher zu werden wird schlussendlich eben auch nur für einfache Kamasutra-Gags verwurstet. Und so ist „Big Bug“ am Ende vor allem schrill und bunt, hat aber nicht wirklich etwas Interessantes zu sagen und wenn dann geht es in der Hektik und Oberflächlichkeit seiner Story und Figuren verloren. Und so wird die Hoffnung immer kleiner, dass es Jean-Pierre Jeunet noch einmal gelingen wird uns ein weiteres Mal wie 2001 zu verzaubern. Vielleicht aber muss man auch einfach nur realistisch bleiben: Kinomagie ist nun mal eben nicht so leicht reproduzierbar.

Bilder: Copyright

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