Die fabelhafte Welt der Amélie

Originaltitel
Le Fabuleux Destin d'Amélie Poulain
Land
Jahr
2001
Laufzeit
120 min
Release Date
Bewertung
10
10/10
von Andreas Berger / 2. Juni 2010

 

Wer ist schon David Copperfield? Der größte Magier der Gegenwart heißt Jean-Pierre Jeunet, und gemeinsam mit seiner im wahrsten Sinne des Wortes bezaubernden Assistentin Audrey

 

Zuckersüß, naiv und liebenswert: Audrey
Tautou als Amelie.

Tautou hat er einen Film geschaffen, nach dessen Sichtung man eigentlich erst mal seine Eltern anrufen sollte, um sich für die eigene Existenz zu bedanken. Nach seinem Hollywood-Abstecher mit dem vierten Teil der "Alien"-Reihe erinnert "Die fabelhafte Welt der Amélie" in seinem visuellen Reichtum und seiner grenzenlosen Verspieltheit wieder stark an die ersten beiden Langfilme Jeunets. Doch wo "Delicatessen" trotz seines skurrilen Humors von einer bedrückenden Düsternis durchzogen war und "Die Stadt der verlorenen Kinder" bei aller optischen Innovation seltsam leb- und seelenlos wirkte, schlägt in seinem neuesten Filmwunder ein Herz, so groß wie das eines Pottwals.

"Die fabelhafte Welt der Amélie" ist in vielerlei Hinsicht wie seine Hauptfigur: Auf äußerst liebenswerte Weise naiv, etwas versponnen und von einer ganz besonderen Cleverness, die ihren Ursprung eher im Bauch als im Kopf hat. Amélie Poulain ist eine junge Frau, die als Kellnerin in einem Café in Montmartre arbeitet. Ausgelöst durch einen der zahllosen Zufälle in diesem Film beschließt sie am Todestag Prinzessin Dianas, die Menschen in ihrem Umfeld

Diesem weißen Kanninchen wird man schwer
folgen können. Trotzdem ein schönes Bild.

glücklich zu machen. Und da gibt es einiges zu tun: Amélies Vater verlässt seit dem Tod seiner Frau kaum noch das Haus, das Liebesleben ihrer Kolleginnen und Gäste im Café will angekurbelt werden, und Lucien, der Gehilfe des Gemüsehändlers, wird von seinem Boss auch nicht gerade so behandelt, wie er es verdient hätte. Zum Glück gibt es Amélie, die sich um all diese Probleme auf äußerst einfallsreiche Weise kümmert, auch wenn sie diese Entschlussfreudigkeit in ihrem eigenen Privatleben ein wenig vermissen lässt. Da wäre nämlich noch Nino zu erwähnen, der in einem Porno-Shop und in einer Geisterbahn arbeitet und noch seltsamere Hobbys als unsere Heldin zu haben scheint. Amélie mag Nino sehr gern und findet auch hier ziemlich originelle Wege, ihn auf sich aufmerksam zu machen, doch das letzte Quentchen Mut fehlt ihr im entscheidenden Moment dann doch immer wieder.

Dass auch Amélie schließlich ihr Glück findet, darf hier ruhig verraten werden und führt nebenbei bemerkt zu einigen der behutsamsten, unbeholfensten und gerade deswegen auch schönsten Filmküssen der Kinogeschichte. Zuvor darf man als Zuschauer jedoch erst mal mit

Alle Menschen werden froh: Amelie bringt
wirklich jeden zum Lachen.

offenem Mund und noch weiter geöffneten Augen gebannt auf die Leinwand starren, um jedes noch so kleine Detail begierig in sich aufzusaugen und nach Möglichkeit nie mehr zu vergessen. Dieses ehrenwerte Unterfangen ist allerdings von vorneherein zum Scheitern verurteilt, denn "Die fabelhafte Welt der Amélie" wirft mit seinen Schätzen derart verschwenderisch um sich wie kaum ein anderer Film der letzten Zeit. Jede Einstellung ein perfekt durchkomponiertes Gemälde, jede zunächst eher nebensächlich wirkende Idee ein großes Geschenk an das Publikum. Man gewinnt den Eindruck, Jeunet hätte sein neuestes Werk weniger als Film denn als Wundertüte konzipiert, die er ohne übertrieben viel nachzudenken einfach bis zum Anschlag mit den wundervollsten Dingen aus seiner privaten Schatzkiste gefüllt hat, auf dass jeder Zuschauer mindestens ein Dutzend ganz persönlicher Magic Moments mit nach Hause nehmen möge. Und das beste: Es funktioniert!
Wo man sich bei "Die Stadt der verlorenen Kinder" noch darüber ärgern konnte, dass viele der durchaus interessanten Ideen nur kurz angerissen wurden, gibt es hier keinen Grund mehr,

Im Kino sitzen und nur noch staunen: So wie
Amelie selbst geht es auch dem Zuschauer.

das abgegriffene "Weniger wäre mehr gewesen"-Sprüchlein aufzusagen. Jede der zahlreichen Nebenfiguren bekommt die Zeit, die ihr zusteht und wächst dem Zuschauer mit all ihren Schwächen und Marotten in Rekordzeit ans Herz. Genau dort befindet sich auch schon auf Ewigkeit die umwerfende Audrey Tautou, deren Nachname eigentlich auch Hepburn lauten könnte und der es tatsächlich gelingt, die Hauptfigur exakt in der winzig kleinen Schnittmenge zwischen engelsgleicher Prinzessin und grauer Maus anzulegen. Auch der gesamte Film schafft es irgendwie, alles gleichzeitig zu sein: Märchen und Alltag, zum Schreien komisch und zum Weinen schön. Denn dass "Die fabelhafte Welt der Amélie" bei all seinem grenzenlosen Optimismus dankenswerterweise nicht von herumtollenden Hippies auf sonnigen Blumenwiesen handelt, wird einem spätestens dann wieder bewusst, wenn der von Mathieu Kassovitz (Regisseur von "Hass" und "Die Purpurnen Flüsse") gespielte Nino an seinem Arbeitsplatz ein paar XXL-Dildos mit Preisschildern auszeichnet.

Und wenn man dann nach zwei Stunden, von denen man sich gewünscht hätte, es wären mindestens acht gewesen, aus dem Kino schwebt, hat man selbst erfahren, was auch all die Filmfiguren erleben durften: Amélie macht glücklich. Diese geballte cineastische Endorphin-Dosis versöhnt einen zumindest kurzzeitig mit so ziemlich allen Widrigkeiten des Alltags und dürfte in nicht allzu ferner Zukunft offiziell als Antidepressivum eingesetzt werden. Eine vollkommen hemmungslose Liebeserklärung an das Leben, das Kino und den ganzen Rest. Mit einem Wort: Magie.              

Bilder: Copyright

9
9/10

Habe diesen Film damals zweimal im Kino gesehen - und meine (spätere) Frau hat den Soundtrack von Y. Tiersen gefühlte 230 Mal abgespielt...
Der Film sticht wirklich aus allen Filmen raus, die ich gesehen habe. So verspielt, visuell witzig, gleichzeitig auch bösartig und mystisch.
Komischerweise haben weder Regisseur noch die zauberhafte A. Tatou danach nochmals richtig überzeugen können. Aber in diesem Film hat alles gepasst.
Dennoch - oder vielleicht gerade darum: Der Film altert nicht so gut. Man kann ihn einfach nicht zu oft sehen (und hören), es fehlt im etwas die Coolness, die Nonchalance, er ist halt auch immer etwas (zu) gewollt.

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