Etwas wird kommen. Etwas, das gar nicht gut ist. Unter dieser Standardmaxime für Weltuntergangsfilme steht der neue Film von Nachwuchshoffnung Jeff Nichols, der schon in seinem ersten Film „Shotgun Stories“ (2007) sein großes Talent gezeigt hatte, den einige amerikanische Filmkritiker wie Roger Ebert auf Anhieb zu den besten Filmen seines Jahres gezählt hatten. Als apokalyptischer Thriller allein wäre „Take Shelter“ wenig spannend, zu langatmig und würde niemanden begeistern. Doch zeigt Nichols hier anhand einer gefühlten Bedrohung im Kopf des Protagonisten mit Visionen prophetischer, vielleicht aber auch einfach schizophrener Art brillant den derzeitigen Zustand der amerikanischen Nation: Der archetypische amerikanische Familienvater, eigentlich gütig und verlässlich und doch innerhalb kürzester Zeit vor dem Ausbruch stehend vor Unfähigkeit, seine Familie zu verteidigen, wird hier großartig verkörpert von Michael Shannon („Zeiten des Aufruhrs“, „Boardwalk Empire“), dessen Gesichtszüge wie in Stein gemeißelt mühsam erzwungene Ruhe zeigen.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird der Mann des Hauses das Gefühl nie los, dass seinen Liebsten jederzeit gefühltes Unheil droht, dass der Job, das Haus oder die Krankenversicherung verloren gehen werden, dass Wetterkatastrophen oder Terroranschläge eintreten können. Vor all diesen schrecklichen Möglichkeiten muss die Familie eigentlich geschützt werden. Doch wie schützt man Frau und Kind vor einer Bedrohung, die niemand außer man selbst kommen sieht?
Curtis (Michael Shannon) hat eigentlich alles. Er ist nicht arm, nicht reich, aber gesegnet mit einem guten und ehrlichen Job, einer hübschen, liebevollen Frau (Jessica Chastain, „Tree of Life“, „The Help“) und einer Tochter, die ihr Gehör verloren hat, aber die - finanziert über die väterliche gute Krankenversicherung - bald ein Implantat bekommen wird, mit dem sie wieder hören kann. Doch dann beginnt Curtis in seinen Träumen, aber auch tagsüber, einen schrecklichen Sturm zu sehen, in dem sich die Wolken über Ohio zusammenziehen und es dicken, schwarzen Regen wie Öl regnet. Niemand anders sieht diese Vorzeichen und bald beginnt sich Curtis zu fragen, ob die Visionen von Unwettern, angreifenden Hunden, Vögeln oder Menschen den Beginn einer Schizophrenie darstellen, mit der seine Mutter genau in seinem Alter diagnostiziert wurde, oder ob er die Zukunft sehen kann und sich ein apokalyptischer Sturm nähert. Curtis geht zum Arzt und sucht psychologische Hilfe, doch gleichzeitig beginnt er hinter dem Haus einen riesigen Bunker zu bauen, mit dem er seine Familie schützen will.
Michael Shannon ist ein hervorragender Schauspieler, dessen zusammengezogene Augenbrauen und kantige Züge ihn für Rollen mühsam beherrschter Männer im Angesicht von Wut und Ohnmacht prädestinieren. Er wurde für „Zeiten des Aufruhrs“ Oscar-nominiert und zeigt derzeit in der amerikanischen TV-Serie „Boardwalk Empire“ als Agent Nelson van Alden eine ähnlich unterdrückte Wut und Anspannung wie hier. Doch im Unterschied zu Jack Nicholson in „The Shining“ fürchtet und hasst man den Familienvater in „Take Shelter“ nicht instinktiv, sondern sieht einen Mann, der gütig und liebevoll zu seiner Familie ist, der alles verzweifelt zusammenzuhalten versucht und dem man trotz seines Verhaltens jederzeit wünscht, dass sich alles bald zum Besseren wenden möge. Er ist doch ein guter Mann, warum geschieht es also ausgerechnet ihm, dass er Visionen hat, die alle um ihn herum von ihm entfremden?
Shannon und Jessica Chastain schaffen es, das von Nichols liebevoll um diese Kernfamilie herum geschriebene Drehbuch über das verzweifelte Bemühen zweier Menschen um ihre Ehe in den sprichwörtlichen „schlechten Zeiten“ auch schauspielerisch überzeugend umzusetzen. Es ist berührend, wie die beiden zum Beispiel über die Gehörlosigkeit ihrer Tochter sprechen oder wie Curtis' Ehefrau versucht, ihrem Mann beizustehen, auch als sie sein Verhalten nicht mehr gutheißen und nachvollziehen kann. Diese Szenen einer Ehe sind tief berührend und lassen den Unterschied zwischen Curtis‘ Wahrnehmung und der Realität aller anderen noch stärker zutage treten.
Die Wahl des Handlungsortes Ohio, wo Stürme über weites Land fegen können und man inmitten endloser weiter Ebenen sein kleines Haus in der Prärie stehen hat, ist hervorragend, wie auch die Detailnähe, dass Curtis’ Ausgaben und Schulden immer als exakte Dollarbeträge genannt werden, um die Umgebung um den Protagonisten herum möglichst fest in der Realität zu verankern, damit die eingebauten CGI-Effekte auch für den Zuschauer in einer glaubwürdigen Umgebung als plötzliches surreales Element eintreten. Einzig etwas Straffung hätte dem Film gut getan, denn die Szenen entwickeln sich manchmal in einem wahren Schneckentempo, eine Kürzung um 15-20 Minuten hätte den Zuschauer weniger ermüdet und doch den gleichen Effekt wie diese Fassung haben können.
Trotz kleiner filmischer Längen im Werk gewann Nichols 2011 verdient für diese Variation der echten, gefühlten oder sogar komplett eingebildeten Bedrohung der amerikanischen Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts den „Preis der Hamburger Filmkritik“ auf dem Filmfest Hamburg, der an Filme geht, die sich durch einen originellen Blick auf die Gegenwart auszeichnen. Davor hatte er für „Take Shelter“ schon in Cannes den „Critics Week Grand Prize“ und den SACD-Preis für das beste Drehbuch verliehen bekommen für seine erst zweite Regiearbeit. Man darf somit in den folgenden Jahren noch weitaus Größeres von Jeff Nichols erwarten.
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