Singin' in the rain

Originaltitel
Singin' in the rain
Land
Jahr
1952
Laufzeit
99 min
Genre
Bewertung
von Simon Staake / 20. Juni 2010

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Das Musical gehört ja zu den merkwürdigsten und unglaubwürdigsten Erzählformen überhaupt. Dass geistig vollkommen gesunde Menschen ständig und unvermittelt in Gesang und Tanz ausbrechen, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen, ist ja doch eher befremdlich, gerade wenn die umgebende Story auch noch Realismus vortäuscht oder in klassischen Genres angesiedelt ist. Nicht umsonst haben die besten Musicals der letzten Jahre, "Moulin Rouge" und "Chicago" mittels Überstilisierung oder Traumsequenzen diese Klippen umschifft. Trotzdem ist es schon bemerkenswert an sich, dass dieses merkwürdige Genre in seiner goldenen Ära überhaupt ein Meisterwerk hervorgebracht hat. Und dieses Meisterwerk ist wiederum ganz ohne Zweifel "Singin' in the Rain".

"Singin' in the Rain" zeigt auf unnachahmliche Weise, wie man sämtliche Genrefallen geschickt umgeht. Da wäre zuallererst mal die Story. Der erste geschickte Schachzug ist es, sie im Showbusiness selbst anzusiedeln. Dadurch erscheint es doch deutlich logischer, dass Charaktere singen und tanzen, als wenn dies etwa Cowboys oder Gangster tun. Zweitens, und noch wichtiger, hat man sich ausnahmsweise eine recht ordentliche, interessante Geschichte ausgedacht. Meistens kranken Musicals ja an einer dramatisch dürftigen Rahmenhandlung, die nur dazu da ist, mit möglichst anspruchslosem Plot die einzelnen Shownummern zu verbinden. Nicht so in "Singin' in the Rain". Hier gibt es eine brauchbare Geschichte mit sympathischen Charakteren, glaubwürdigen Handlungselementen und einem interessanten Hintergrund. Ganz genau sieht das so aus:

Hollywood Ende der 1920er Jahre: Don Lockwood (Gene Kelly) und Lina Lamont (Jean Hagen) sind das Traumpaar der Leinwand, deren romantische Komödien die Öffentlichkeit davon überzeugt haben, beide wären auch im wirklichen Leben ein Paar. Lockwood hat aber für seine intellektuell etwas benachteiligte Partnerin abseits der Leinwand wenig Verwendung - stattdessen verliebt er sich Hals über Kopf in das Chormädchen Kathy (Debbie Reynolds). Dann wird "The Jazz Singer", Hollywoods erster Tonfilm, ein unerwarteter Erfolg und Studioboss R.F. Simpson (Millard Mitchell) drängt darauf, seinen eigenen Tonfilm zu haben, natürlich mit "seinem" Traumpaar Lockwood & Lamont. Aber Probleme werden schnell offensichtlich: Linas Stimme ist nicht tonfilmgeeignet und Dons Gesten sind noch vom expressiven, übertriebenen Stil der Stummfilme geprägt. So wird ihr erster Tonfilm "The Dueling Cavalier" bei Testvorführungen gnadenlos verlacht. Der deprimierte Don wird schließlich von seinem besten Freund Cosmo (Donald O'Connor) und Kathy auf eine Idee gebracht, wie man Lockwood & Lamont doch in die Tonfilmära retten kann: Aus "The Dueling Cavalier" soll "The Dancing Cavalier" werden, eine musikalische Komödie, für die Kathy Lina synchronisiert....

Es spricht für ein gehöriges Maß an Selbstreflexion, dass die Drehbuchautoren Betty Comden und Adolph Green "Singin' in the Rain" in den Jahren ansiedeln, in denen Hollywood vor dem Umbruch vom Stumm- zum Tonfilm stand, schließlich hat dieser Umbruch die Geburt des eigenen Genres erst möglich gemacht. Das Musical (oder musikalische Komödie, wie man damals sagte) feierte Anfang der 30er Jahre seine Erschaffung und auch gleichzeitig seine Blütezeit. Fred Astaire und Ginger Rogers wurden zu Weltstars, Filme wie "Top Hat" und "42nd Street" wurden große Hollywood-Hits, während in Deutschland "Der Kongress tanzt" und "Die drei Männer von der Tankstelle" das Publikum singend begeisterten.
Dass der Übergang zum Tonfilm aber kein einfacher war und unter den Schauspielern auch Opfer forderte, die aufgrund ihrer schwachen Stimmen innerhalb kürzester Zeit arbeitslos waren, diesen eigentlich ernsten Hintergrund benutzt der Film großartig komisch mit dem Dilemma der untalentierten Linda Lamont, die mit ihrer piepsigen Minnie-Maus-Stimme im Tonfilm keine Chance hat und dementsprechend eine "Synchronstimme" braucht. Die Slapsticksequenz, in der sie ständig vergisst, in welchem Blumenstrauß die Mikrofone versteckt sind, ist besonders köstlich. Die satirischen Seitenhiebe und der metatextuelle Kontext von "Singin' in the Rain" sorgen gleichzeitig für ein auch intellektuell ansprechendes Vergnügen - diese absolute Rarität im Musical - falls irgendjemand vom Charme und Humor des gezeigten nicht angesteckt werden sollte, was wiederum fast unmöglich scheint.

Das Genre ist zwar Musical, ganz in der Tradition des deutschen Ablegers, der in den 1930er Jahren entstandenen musikalischen Komödie, ist "Singin' in the Rain" aber auch ein Angriff aufs Zwerchfell und funktioniert auch als reine Komödie perfekt, was neben den in Sachen Witz und Tempo an Screwball-Comedy erinnernden Dialogen auch an der gelungenen Umsetzung der Darsteller liegt. Die Chemie zwischen dem Trio in den Hauptrollen stimmt einfach perfekt (trotz Backstage-Poblemen der anderen Darsteller mit einem launischen und tyrannischen Kelly), Gene Kelly und Donald O'Connor haben die Mechanismen des Comedy-Duos perfekt drauf und die vorher so gut wie gänzlich unbekannte Debbie Reynolds ist nicht nur wunderhübsch, sie fällt gegenüber den Veteranen an ihrer Seite weder in Sachen Gesang, Tanz noch Charisma ab. Und das ist bei den Herren Kelly und O'Connor schon eine besondere Leistung, so dass man hier ohne Zweifel einem Star bei ihrem Durchbruch zusieht.
Reynolds bringt soviel Leben und Energie mit sich, dass die Leinwand förmlich erstrahlt, wenn sie zu sehen ist. Und das trotz des harten Trainings, dass die Nichttänzerin vor dem Film über sich ergehen lassen musste. Nicht zu vergessen ist da ja noch Jean Hagens Leistung als Leading Lady mit Piepsstimmenproblem, die aus ihrer eindimensionalen Rolle das Maximum an Lachern herausholt und zurecht als beste Nebendarstellerin für einen Oscar nominiert war.

Stehen und Fallen tut ein Musical ganz seinem Namen nach trotzdem mit zweierlei Dingen: der Musik und ihrer Umsetzung. Auch das cleverste Drehbuch wird nicht funktionieren, wenn Lieder und Choreografie nichts taugen. Und auch hier ist "Singin' in the Rain" Spitzenklasse. Nicht nur dass man Nummern wie den unsterblichen Titelsong oder "Good Morning" kaum wieder aus dem Ohr bekommt, man hat vor dem geistigen Auge sofort auch die entsprechende Szene parat, seien es das elegante Über-Tisch-und-Bänke-Gehen bei "Good Morning" oder Donald O'Connors verblüffende Salti während "Make 'Em Laugh", die dem Darsteller drei Tage Bettruhe einbrachten. Gerade die innovative, oft wenig stilisierte Choreographie der Nummern, für die Gene Kelly selbst verantwortlich zeichnete, hat im Gegensatz zu vielen Genrekollegen kaum Patina angesetzt und wirkt heute dank ihrer simplen Eleganz noch frisch und bemerkenswert.

Und dann ist unter den musikalischen Nummern natürlich der Klassiker schlechthin, eine Szene, die selbst Musicalhasser kennen und deren Musik sich so ins kollektive Gehör gebrannt hat wie etwa Morricones Kojotenmotiv aus "Zwei glorreiche Halunken", die bedrohlichen Takte des "Weißen Hai" oder John Williams' Fanfaren für "Star Wars" und "Indiana Jones". Der liebestrunkene Gene Kelly tritt hinaus in die regennasse Nacht und man hört die ersten Takte des Titelsongs: Dum-di-dum-dum-dum-di-dum-di-dum. Was folgt sind drei Minuten reinste Kinomagie. Alles kommt zusammen: natürlich das klassische Lied selbst, Kellys eleganter Tanz, seine Mimik, die expressive Ausleuchtung, das Set Design des Straßenzugs. Es ist die wahre Wonne, diese Sequenz. Man kann einfach nicht anders, als nur dumm grinsen und sich merkwürdig glücklich fühlen. Sowas schaffen nur magische Kinomomente. Dem können selbst die endlosen Zitate, Hommagen und Parodien (am bekanntesten wohl Kubricks brutale Adaption in "Uhrwerk Orange", sicherlich einfallsreich Jackie Chans Kungfu-Variante im ansonsten faden "Shanghai Knights") nichts anhaben.

Da darf und muss man dann auch mal den akademischen Eifer und das Kritikervokabular außer Acht lassen und ganz einfach in simpelsten Sentenzen sagen, was "Singin' in the Rain" so großartig macht: Es ist einfach tolle Unterhaltung, er beschwingt, er macht fröhlich, man fühlt sich fast als besserer Mensch nachher. Seinerzeit bei den Oscars ungerechterweise komplett verschmäht, weil "Ein Amerikaner in Paris", ebenfalls mit Gene Kelly, ein Jahr zuvor sechs Oscars abräumte und man nicht schon wieder ein Musical auszeichnen wollte, hat sich "Singin' in the Rain" als der unbedingte Klassiker etabliert, den man auch heute noch wieder und wieder sehen kann oder entdecken sollte. Da kann das American Film Institute "Singin' in the Rain" zum viertbesten Film aller Zeiten wählen, was sicherlich nicht falsch ist, auch wenn solche Nummerierungen natürlich Schwachsinn sind. Aber die beschwingten, beseelten und selig machenden Freuden dieses Films werden auch sie nicht recht ergründen können.


1
1/10

Der Film ist wunderbar. Man ist einfach glücklich, wenn er zu Ende ist. Ich habe das selten bei einem Film erlebt.

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