Fatih
Akin kehrt zurück zu seinen Wurzeln. Nach dem europaweit mit
Preisen überhäuften "Gegen
die Wand" erhielt Akin mit "Auf
der anderen Seite" den Adelsschlag als international anerkannter
Kinokünstler und durfte seine Premiere in Cannes feiern - womit
der weitere Karriereweg augenscheinlich vorgezeichnet war. Doch
statt das nächste anspruchsvolle Arthouse-Projekt in Form des
Abschlusses seiner "Liebe, Tod und Teufel"-Trilogie anzugehen,
gönnte sich Akin erstmal eine Auszeit, um das letzte Mal
seiner Stadt Hamburg und den Vierteln, in denen er groß geworden
ist, zu huldigen. Ein "Heimatfilm", wie er es selbst bezeichnet.
Aber eben nicht Heimat als der Ort, wo man zuhause ist, sondern
als der Ort, wo man sich zuhause fühlt.
Für Akin selbst war das lange Zeit die Taverne seines Freundes
Adam Bousdoukos, der als griechisch-stämmiger Kleinganove Kostas
schon eine der Hauptrollen in Akins fulminantem Debüt "Kurz
und schmerzlos" gespielt hatte und konsequenterweise nun auch
den Protagonisten von "Soul Kitchen" und Inhaber des gleichnamigen
Restaurants spielt. Wobei: Restaurant ist eigentlich ein zu feines
Wort für die runtergekommene Fabrikhalle, in der Zinos Kartoffelsalat
aus der Dose mit fertig frittierter Tiefkühlkost serviert.
Gut, seiner Stammkundschaft im Arbeiter- und Problemviertel Hamburg-Wilhelmsburg
schmeckt's, genug Kohle kommt trotzdem nicht rein. So steht Zinos
permanent vor der Pleite, was sich zu einem noch größeren
Problem auswächst, als seine aus gutem Hause stammende Freundin
Nadine (Pheline Roggan) aus Arbeitsgründen nach Shanghai geht
und Zinos sich fast vor Sehnsucht nach ihr verzehrt. Finanz- und
Gesundheitsamt klopfen ebenfalls an die Tür, drum ist klar:
Der Umsatz muss hochgefahren und das Restaurant modernisiert werden.
Zinos stellt den exzentrischen Koch Shayn (Birol Ünel) ein,
der mit seiner Umkrempelung der Speisekarte zwar
auf einmal richtig gutes Essen im "Soul Kitchen" serviert,
damit aber die letzten verbliebenen Stammgäste vergrault. Außerdem
steht Zinos' Bruder Ilias (Moritz Bleibtreu) vor der Tür, der
Freigang aus dem Knast hat und gern einen Job hätte. Der Ex-Schulfreund-jetzt-Immobilienhai
Thomas Neumann (Wotan Wilke Möhring) hat es auf den Laden abgesehen.
Und dann holt Zinos sich zu allem Überfluss auch noch einen
fiesen Bandscheibenvorfall….
Man ahnt es schon: Die thematische Schwere und Tragik von Akins
letzten Filmen muss man hier nicht fürchten. "Soul Kitchen"
ist eine leichtfüßige, stellenweise fast schon überdrehte
Komödie, die sowohl dem Regisseur als auch seinem Publikum
willkommene Erholung bietet. Ein Film mit einem konsequenten Lächeln
und einem rhythmisch schnippenden Finger, denn die Musik ist in
diesem Film mindestens so wichtig wie das Essen. Seinem Namen entsprechend
läuft in Zinos' Restaurant Soul-Musik in jeder bekannten Ausprägung,
"Musik ist Essen für die Seele" ist einer der zentralen
Sätze dieses Films, an dem ergo auch jeder seine Freude haben
wird, der oder die eine gute Party zu schätzen weiß.
Spaß soll man hier haben, einfach und sorgenfrei, und darum
wird's auch nie richtig schlimm dramatisch. "Soul Kitchen"
lebt weniger von seiner relativ banalen Geschichte, als von seiner
wundervoll erzeugten Atmosphäre, dem Vibe, dem Gefühl,
das er vermittelt. Das ist nicht nur eine Frage der großartig
ausgesuchten Musik, diese Stimmung lebt auch vom Spiel der grandios
aufgelegten
Darsteller - die Intensität, mit der Bleibtreu, Ünel und
Möhring die komische Überzeichnung ihrer Figuren auf die
Spitze treiben, ist schlicht eine Wonne - und vor allem von den
Drehorten, die Akin gewählt hat. Dieser Film lebt und atmet
Hamburg, wie es selten ein Film zuvor getan hat.
Aber es ist auch ein Hamburg, das es nicht mehr lange geben wird.
Gleich in doppelter Hinsicht wollte Akin diesen Film machen, bevor
es zu spät ist. Zum einen, bevor er selbst zu alt dafür
ist, um einen authentischen Film über Lebensgefühl und
-stil der jungen, wilden Partygänger von Hamburgs Szenevierteln
zu machen; zum anderen, bevor viele der Ecken, die diesen Vierteln
ihren Charme und Charakter geben und hier eine tragende Rolle spielen,
endgültig verschwunden sind. Die Gegend in Wilhelmsburg, wo
Zinos' Restaurant steht, wird in den kommenden Jahren städteplanerisch
komplett umgestaltet und sieht wahrscheinlich bald ähnlich
durchgestylt und seelenlos aus wie die mit Yuppie-freundlichen Apartment-Bauten
zugeknallte Hamburger "Hafen City" (bezeichnenderweise
der Wohnsitz des Immobilienhais Thomas). Entsprechend wird es auch
vielen anderen Ecken in St. Pauli und Altona ergehen, deren herrlich
runtergerockten Charme Akin hier noch einmal einfängt, bevor
er womöglich auf immer verschwindet.
Na klar ist das unverhohlene Huldigung der Gegenkultur, und wer
urbane Neubauviertel wie die Hamburger Hafen City schön findet
und in so was gerne wohnen würde, der wird mit diesem Film
herzlich wenig anfangen können. Aber solche Leute hören
auch keinen
Soul und würden von Zinos in seinem Restaurant wahrscheinlich
nicht mal bedient werden. Es ist ein Film, den Fatih Akin für
seine Freunde und mit seinen Freunden gemacht hat. Dementsprechend
liest sich die Besetzungsliste auch wie ein "Best of"
früherer Akin-Filme, und wer "Kurz und schmerzlos",
"Im Juli" und/oder "Solino"
mochte, wird sich in diesem "Heimatfilm" ebenfalls mühelos
zuhause fühlen können.
Fraglos beweist Akin hier auf jeden Fall seinen Status als ein,
wenn nicht das große Ausnahmetalent unter Deutschlands Regisseuren,
denn solch eine Bandbreite muss man erstmal so locker aus dem Ärmel
schütteln. Nach den tief schürfenden, kunstvollen Tragödien
seiner zwei Vorgängerfilme nun zurückkehren und derart
unprätentiös und authentisch ganz unverstellte, mitreißende
und im positivsten Sinne "dreckige" Lebensfreude einfangen,
das macht ihm so schnell keiner nach. Ein Film mit soviel Seele,
dass man hofft und betet, dass es doch nicht der letzte Hamburg-Film
von Fatih Akin gewesen sein wird.
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