Die Filmographie des Taiwanesen Ang Lee ist äußerst vielseitig. Darin finden sich Dramen wie „Der Eissturm“, das Kampfkunst-Epos „Tiger & Dragon“ und mit „Hulk“ tatsächlich auch eine Marvel-Verfilmung (wenn auch von 2003 und damit noch nicht als Teil des Marvel Cinematic Universe). Zwischen Action und Drama pendelt der Filmemacher scheinbar ebenso mühelos wie zwischen Ost und West; seit Jahren dreht er auch in Hollywood Filme und wurde sowohl für „Brokeback Mountain“ also auch für „Life of Pi“ mit dem Regie-Oscar ausgezeichnet. Letzterer Film war es auch, bei dem Lee erstmals 3D-Kameras zum Einsatz brachte, was genauso beeindruckend gelang wie die zum Großteil am Computer entstandenen, realitätsgetreuen Tiere. Seinen nächsten Film „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ filmte Lee dann nicht nur erneut in 3D, sondern zusätzlich auch im HFR-Verfahren mit 120 Bildern pro Sekunde (im Gegensatz zu den im Kino üblichen 24). Nur wenige Kinos sind überhaupt in der Lage, dies auch so auf die Leinwand zu bringen. Das Ergebnis dieses Verfahrens sind jedenfalls gestochen scharf wirkende Bilder, die richtig eingesetzt ein ganz neues Maß an Immersion für den Zuschauer erzeugen können.
Und damit sind wir auch schon bei der entscheidenden Frage: wann und wie setzt man dieses Verfahren richtig ein? Abgesehen von Lee setzt bisher kaum ein anderer Filmemacher auf die HFR-Technik. Peter Jackson filmte seine „Hobbit“-Trilogie in 3D und HFR und James Cameron setzt das Verfahren für seine „Avatar“-Fortsetzungen ein. Große Fantasy-/Science Fiction-Epen also, deren fremde Welten und epische Schlachten in gestochen scharfem 3D noch beeindruckender wirken können. Auf manche Zuschauer wirken die ungewohnten, extrem plastisch aussehenden Bilder aber auch befremdlich oder sogar etwas künstlich. Man kann also zumindest die Frage stellen, ob der Einsatz dieser Technik auch bei einem Drama wie „Billy Lynn“ Sinn macht. Für den Autor dieser Zeilen zumindest ist der Fall klar: die Kombination aus 3D und HFR sieht fantastisch aus, bringt aber zugleich ein paar Risiken mit sich und macht vor allem aus einem mittelmäßigen Drehbuch keinen großartigen Film.
Das Drehbuch zu „Gemini Man“ machte schon in den 90er Jahren in Hollywood die Runde, aber keiner der bislang mit dem Projekt verbundenen Regisseure (darunter Tony Scott) sah einen Weg, die Geschichte zufriedenstellend auf die Leinwand zu bringen. In Ang Lees Film spielt nun Will Smith den im Auftrag der US-Regierung handelnden, alternden Auftragsmörder Henry Brogan, der aber immer noch einer der Besten seines Faches ist. Als er sich mit einem etwa 30 Jahre jüngeren Klon seiner selbst konfrontiert sieht, muss er jedoch zusammen mit zwei Unterstützern die Flucht antreten. Es folgt eine Verfolgungsjagd, die sich auf mehreren Kontinenten abspielt und alle Beteiligten an die Grenzen ihrer Fähigkeiten bringt. Neben Überleben gibt es für Henry dabei noch ein weiteres Ziel: Antworten zu finden auf die Fragen, wer den Klon erschaffen und auf ihn angesetzt hat.
Was die angesprochene Technik betrifft, so ist es gerade in den ersten Szenen des Films schon etwas gewöhungsbedürftig, so „realistisch“ aussehende Charaktere auf der Leinwand zu sehen. Die Schärfe und Detailtreue lässt einen feinste Nuancen im Schauspiel der Darsteller wahrnehmen, auf die man normalerweise gar nicht so sehr achten würde. Insofern müssen sich die Schauspieler auch (und gerade!) in ruhigen Dialogszenen wohl mehr anstrengen, um eine überzeugende Leistung zu bringen und glaubwürdige Figuren zu erschaffen. Jede noch so kleine Regung, jedes Zucken der Mundwinkel kommt hier noch stärker beim Zuschauer an und ja, man hat ein paar Minuten tatsächlich den Eindruck, Will Smith und Co. seien hier zum Greifen nahe, um mal eine abgedroschene Floskel zu verwenden. Doch recht schnell gewöhnt man sich an die andersartige Optik und kann die Aufmerksamkeit vor allem der Geschichte zuwenden – und die hat in diesem Fall längst nicht so viel Tiefe wie die Bilder, weil sie ganz einfach ihr eigenes Potential nicht mal ansatzweise ausschöpft. Die obenstehende Inhaltsangabe ist eher weniger deshalb so knapp gehalten, weil Spoiler vermieden werden sollen, sondern in erster Linie, weil die Handlung von „Gemini Man“ ganz einfach ziemlich dünn ist.
Nachdem wir Henry in der ersten Szene des Films bei der erfolgreichen Erledigung eines Auftrags erleben und dabei gezeigt bekommen, dass er ein absoluter Profi mit jahrzehntelanger Erfahrung ist, kommt der Film eine Weile zur Ruhe, bis schließlich eben Henrys jüngerer Klon auftaucht und ihm das Leben schwer macht. Daraus entspinnt sich eine Verfolgungsjagd, in deren Verlauf sich die beiden Kontrahenten schließlich auf Motorräder schwingen und durch die engen Straßen des kolumbianischen Cartagena rasen. Das macht beim Zuschauen durchaus Laune und erinnert in seiner Intensität an die großartigen Actionsequenzen der letzten „Mission: Impossible“-Filme, ohne aber an diese heranzureichen. Als am Ende der Sequenz Henrys Widersacher schließlich einige zwar beeindruckend aussehende, aber vollkommen sinnlose Motorrad-Stunts aufführt, geht zudem die Logik flöten.
Henry Brogans jüngerer Widersacher wird natürlich ebenfalls von Will Smith gespielt, womit wir beim zweiten großen technischen Aspekt dieses Films sind (den man zudem auch dann noch mitbekommt, wenn man den Film weder mit 120 Bildern pro Sekunde noch in 3D sieht). Mit Hilfe von Computerzauberei verjüngte Schauspieler sind ja mittlerweile nichts Neues mehr – im MCU kam diese Technik gleich mehrmals zum Einsatz und Martin Scorseses neuer Film setzt sogar über weite Strecken und bei mehreren Darstellern darauf. Tatsächlich gibt es am verjüngten Will Smith auch nichts auszusetzen; die Figur wirkt zu keiner Zeit unnatürlich, aber trotzdem fragt man sich, ob der Film nicht einfach auch mit einem anderen Schauspieler funktioniert hätte, der eben Will Smith ähnlich sieht.
Von dem Moment an, als Henry merkt, dass es jemand auf ihn abgesehen hat, ist er wie erwähnt ständig auf der Flucht. Nach der Verfolgungsjagd in Kolumbien geht es unter anderem weiter nach Budapest und es folgen noch einige weitere Schießereien, Verfolgungsjagden und Nahkämpfe. Alle sind spannend inszeniert, wirken meist äußerst echt, aber es fehlt ihnen eben auch allen dieses gewisse Etwas, das aus einer einfach nur soliden Actionszene eine großartige macht. Atemberaubende Choreografien oder wirklich kreative Einfälle bietet „Gemini Man“ in dieser Hinsicht jedenfalls nicht, so dass man sich damit begnügen muss, Will Smith in ultrascharfen 3D-Bildern gegen sich selbst kämpfen zu sehen.
Wie schon angedeutet bietet aber auch die Handlung keine großen Überraschungen, wartet stattdessen mit ein paar altbekannten Klischees auf und bemüht sich kaum, die angerissenen Themen und Problemfelder tiefergehend zu thematisieren. Das Klonen eines Profikillers allein wegen seiner Tötungsfähigkeiten wirft ja bereits genug ethische Fragen auf (und nein, die in diesem Satz verratene Information stellt keinen großen Spoiler dar, die Geschichte verläuft nämlich ganz einfach sehr geradlinig, erwartungsgemäß und überraschungsarm). „Gemini Man“ wirkt in dieser Hinsicht ein wenig wie der Pilotfilm einer TV-Serie: es werden Figuren ins Spiel gebracht, Konflikte aufgebaut und einige große Fragen aufgeworfen, die aber noch nicht alle zufriedenstellend beantwortet werden.
Was die Schauspielleistungen angeht, gibt es zumindest keinen Grund zum Meckern. Will Smith überzeugt in seinen äußerst körperlichen, vor allem auf Action angelegten Rollen und auch seine Unterstützer und Widersacher holen das beste aus ihren eher eindimensionalen Charakteren heraus. Am komplexesten und größten ist die Rolle von Mary Elizabeth Winstead (“10 Cloverfield Lane”), die im Zusammenspiel mit Smith wirklich gut harmoniert.
Da die Geschichte an sich aber eben leider zu platt und die Action zwar unterhaltsam ist, einen aber auch nicht wirklich umhaut, kann man “Gemini Man” insgesamt nur ein durchschnittliches Zeugnis ausstellen. Ang Lee versteht sein Handwerk zweifellos, in diesem Fall aber wirkt es, als habe er sich mehr dafür interessiert, eine eindrucksvolle Tech-Demo zu erstellen als für die Handlung und die Charaktere des Films. Die meisten Zuschauer werden “Gemini Man” sowieso nicht in der HFR-Fassung sehen, aber selbst mit allen technischen Spielereien handelt es sich hierbei schlussendlich nur um einen zwar solide inszenierten, aber leider auch etwas uninspirierten Actionfilm, aus dessen Prämisse man wesentlich mehr hätte herausholen können.
Neuen Kommentar hinzufügen