Alte Tugenden verlernt man nicht. Das gilt auch und vor allem für die Animationsabteilung von Disney. Dort wurde der Animationsfilm klassischer Prägung "für die ganze Familie" erfunden, und das damals von Walt Disney persönlich erdachte Grundkonzept "Märchenmotiv + Musical-Einlagen + lustige Nebenfiguren" ist auch heute immer noch ein verlässliches Rezept für Kinounterhaltung erster Güte. Nach einer Reihe legendärer Superhits Mitte der 1990er Jahre sah es für ein paar Jahre zwar mal so aus, als hätte man im Laufe der Computeranimation-Revolution das richtige Händchen für diese typischen Disney-Filme verloren (siehe unsere Rezension zu "Küss den Frosch"), doch spätestens seit man mit "Die Eiskönigin" endlich mal wieder einen globalen Superhit nach diesem althergebrachten Muster landete, scheint man bei Disney wieder zurück in der Spur gefunden zu haben und tut weiterhin das, was man am besten kann. Das gilt auch für den neuesten Ableger "Vaiana", der alle wohlbekannten, typischen Stärken eines Disney-Klassikers vorweist und gleichzeitig das Kunststück fertig bringt, trotz seines märchenhaften Themas modern und zeitgemäß zu wirken.
Das liegt vor allem an seiner Titelheldin, denn Vaiana hebt sich in ein paar kleinen, aber entscheidenden Details von ihren zahlreichen Vorgängerinnen klassischer Disney-Heldinnen ab. Denn die folgten halt doch fast immer dem althergebrachten Schema "Prinzessin findet Liebe". Vaiana nun findet nicht die Liebe, und besteht sehr vehement darauf, keine Prinzessin zu sein, sondern 'nur' die Tochter eines Häuptlings (wobei sich der Film einen selbstironischen Seitenhieb nicht verkneifen kann, als die zweite Hauptfigur des Films beim ersten Aufeinandertreffen mit Vaiana feststellt: "Du trägst ein Kleid, du singst, und du sprichst mit Tieren - du musst eine Prinzessin sein"). Vaianas Volk lebt auf einer Insel mitten im Pazifik und das junge Mädchen wird aufgezogen, um einmal die Führung des Stamms zu übernehmen. Als eine Hungersnot droht, da in der heimischen Bucht keine Fische mehr zu finden sind und alle Früchte auf merkwürdige Weise verfaulen, beschließt Vaiana gegen den Willen ihres Vaters aufs offene Meer hinauszusegeln um den Grund für diesen Fluch wieder gerade zu rücken: Nämlich indem sie den Halbgott Maui ausfindig macht und ihn dazu bringt, das Herz der Gottheit Te Fiti zurück zu bringen, das er einst gestohlen hat.
"Vaiana" variiert das klassische Disney-Schema angenehm, indem er eben konsequent auf eine Liebesgeschichte verzichtet. Vaiana und Maui sind schon rein physisch so unterschiedlich, das von vornherein klar ist, dass hier keine Romanze geplant ist, und so steht einzig Vaianas Mission im Zentrum und die ganz persönliche Heldengeschichte dieses jungen Mädchens - was für Disney-Verhältnisse schon sehr ungewöhnlich ist. Hier wagt "Vaiana" dann ziemlich erfolgreich den Spagat zwischen mystischen Märchenmotiven und einer zeitgemäßen Emanzipationserzählung, so dass man dann auch über den kleinen Widerspruch wohlwollend hinwegsieht, dass hier immer wieder von Vorherbestimmung die Rede ist, im Showdown aber trotzdem das Selbstverwirklichungs-Mantra "Du bestimmst, wer du bist" bedient wird.
Positiv überraschen kann hier auch das Setting, denn der polynesische Seefahrer-Südsee-Kosmos ist filmisch noch immer ziemlich unabgegriffen und darf daher durchaus als originell verbucht werden. Einen Disney-Film, der zum Gutteil auf dem Wasser spielt, hat man jedenfalls noch nicht gesehen. "Vaiana" versteht es das Maximum aus seinem Setting herauszuholen und kombiniert den Zauber der paradiesischen Südsee sehr gekonnt mit traditionellen mystischen Elementen und Legenden aus diesem Kulturkreis, um dann halt doch wieder einen klassischen Märchen-Stoff aufzubieten. Aber eben mit einigen sehr modernen Zutaten: Sehr gelungen vor allem die Attacke einiger Südsee-Piraten, die sich als wandelnde Kokosnüsse erweisen und eine ziemlich klare Hommage an den letzten "Mad Max"-Film darstellen.
Positiv überraschend ist auch die Tatsache, dass man sich hier über weite Strecken ganz auf die Dynamik zwischen Vaiana und Maui verlässt und auf die Disney-typische Standardwaffe für Kurzweil und Lustigkeit - namentlich: schräge Nebencharaktere, gerne in tierischer Form - weitgehend verzichtet. Vaiana hat zwar zwei tierische Freunde, die benehmen sind diesmal allerdings wirklich wie Tiere und können nicht sprechen und auch nicht singen. Was echt mal eine willkommene Abwechslung ist. In Sachen Gesang ist "Vaiana" indes ein ziemlich großer Wurf: Für die Komposition der Lieder war unter anderem Lin-Manuel Miranda zuständig, der in den USA derzeit als der große Innovator des Musicals gefeiert wird dank seines Broadway-Megahits "Hamilton", ein Hip-Hop-Musical (!) um den ersten Finanzminister der USA (!!). Die Songs für "Vaiana" wagen in dieser Hinsicht zwar keine Experimente, sind aber dennoch so stark umgesetzt, dass man jetzt schon davon ausgehen kann, dass sich das Disney-Oscar-Abo für den besten Song auch diesmal fortsetzen wird.
Also eigentlich alles rundum gelungen. Die deutsche Fassung des Films wartet indes mit zwei befremdlichen Entscheidungen auf. Zum einen ist nicht wirklich ersichtlich, wieso man den Originaltitel und Namen der Heldin von Moana in Vaiana geändert hat. Zum anderen hat man hier leider eine Casting-Entscheidung getroffen, die dem Film definitiv nicht gut tut. Im Original wird Halbgott Maui von Dwayne Johnson gesprochen, was unbestreitbar die perfekte Idealbesetzung für diesen übermenschlich großen, Muskelbepackten Mega-Hünen ist. In Deutschland hingegen leiht ihm der körperlich eher unauffällige Schmusepop-Sänger Andreas Bourani seine Stimme. Man folgt damit dem hierzulande schon lange anhaltenden Trend, Animationsfilme mit Stars aus anderen Gefilden als Sprecher "aufzuwerten", um an der PR-Front mehr Interesse zu wecken. Was man dabei aber entweder nicht bedenkt oder billigend in Kauf nimmt: Synchronsprechen ist eine Kunst für sich, die nicht ohne Grund normalerweise von gelernten Schauspielern ausgeübt wird. Sportler (zuletzt z.B. Franziska van Almsick bei "Findet Dorie"), Musiker oder gar YouTuber haben hinter einem Synchro-Mikro eigentlich nichts zu suchen, und "Vaiana" ist da ein gutes Beispiel. Bourani müht sich im Rahmen seiner Möglichkeiten, schlussendlich ist seine Vorstellung als Maui aber weder überzeugend, noch glaubwürdig, gerade weil Stimme und Körperlichkeit der Figur schlicht überhaupt nicht zusammenpassen. Der eine Song, den Maui hier zu singen hat, ist jedenfalls kein Argument für diese Besetzung. Helene Fischer wurde ja auch lediglich für die deutsche Version des Abspann-Songs engagiert und nicht für die ganze Titelrolle. Die übernimmt die junge Lina Larissa Strahl aus den erfolgreichen "Bibi&Tina"-Kinder-Kinofilmen.
Abzüge für die deutsche Synchron-Fassung kann man aber nicht dem Film an sich anlasten, und so bleibt das Urteil eindeutig: "Vaiana" ist mal wieder Disney vom Feinsten, nach bewährtem und liebgewonnenem Strickmuster und doch mit genug Neuerungen und Variationen, als dass es spannend und interessant bleibt. Auf jeden Fall mal wieder sehr gelungene "Unterhaltung für die ganze Familie", die zur Weihnachtszeit ganz sicher einen Kinobesuch lohnt. Auch wenn hier natürlich weit und breit keine Schneeflocke zu sehen ist.
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