Steven Soderbergh hat in seiner Karriere nicht immer Volltreffer gelandet, aber er war zumindest immer für eine Überraschung gut, und zudem seit seinem legendären Triple-Schlag - als er innerhalb eines Jahres Julia Roberts zu einem Oscar verhalf ("Erin Brockovich"), sich selbst einen als Regisseur verdiente ("Traffic") und eine arschcoole, stilprägende Ganoven-Franchise ins Leben rief ("Ocean's Eleven") - immens fleißig. Seit über einem Jahrzehnt haute Soderbergh jedes Jahr mindestens einen Film raus. Da kann man schon verstehen, wenn er langsam etwas müde wird. Jüngst verkündete Soderbergh seinen (zumindest zeitweiligen) Abschied vom Filmgeschäft, um sich der entspannteren Malerei zu widmen. Wenn man sich Soderberghs vorerst letzten Film ansieht, ist dieser Abschied wirklich bedauerlich. Aber immerhin verabschiedet er sich mit einem definitiven Highlight in seiner wechselvollen Filmografie. Denn "Side Effects" ist so dermaßen gut gelungen und schlägt so erfolgreich sehr überraschende Haken, dass man sich kaum traut, viel über ihn zu sagen.
Rooney Mara (die Lisbeth Salander aus der US-Version von "Verblendung") spielt die Hauptrolle als Emily Taylor, eine junge Frau, die jahrelang auf die Rückkehr ihres Ehemanns Martin (Channing Tatum, "Magic Mike", "21 Jump Street") aus dem Gefängnis wartete, nachdem der erfolgreiche Börsianer wegen Insider-Handels verurteilt worden war. Das einstige Vermögen futsch, wollen die beiden zusammen einen Neuanfang schaffen, doch über den legt sich alsbald ein Schatten. Denn Emily leidet an Depressionen, die kaum noch in den Griff zu kriegen sind. Der aufstrebende, renommierte Psychiater Dr. Jonathan Banks (Jude Law) nimmt sich schließlich Emilys an und verschreibt ihr ein neues Antidepressivum in der Hoffnung, Emilys suizidalen Zustand damit endlich lindern zu können. Doch die Medikamente rufen unerwartete Nebenwirkungen hervor und führen zu einem tragischen Ereignis, welches das Leben aller Beteiligten nachhaltig durcheinander bringt....
Mehr als diese schwammige Andeutung wollen wir eigentlich gar nicht sagen zum zentralen Plot-Twist von "Side Effects" und den unerwarteten Wendungen, die er nach sich zieht. Denn dieser Film macht am meisten Spaß und wirkt definitiv am besten, wenn man möglichst nichts darüber weiß, was sich hier jenseits der 35. Minute abspielt. Darum nur so viel: "Side Effects" geht los als ein beklemmendes, nüchtern betrachtetes Drama über die lähmende Ausweglosigkeit einer psychischen Erkrankung und als kritische Auseinandersetzung über die bereitwillige Neigung der amerikanischen Gesellschaft, allzu schnell zu stimmungsaufhellenden Medikamenten zu greifen. Doch dann fängt der Film mit höchst elegant eingefädelten Twists und Wendungen an, inhaltliche Purzelbäume zu schlagen, bei denen der Zuschauer schon bald nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht. Dass der Film auf halber Strecke seinen Protagonisten wechselt, ist da noch die kleinste darmaturgische Verwirrung. Dass man sich danach auf einmal mitten in einem Justiz-Drama befindet, überrascht noch mehr. Bis "Side Effects" seinen nächsten Haken schlägt und enthüllt, dass man die ganze Zeit tatsächlich noch in einem ganz anderen Genre steckte.
Dass all diese Überraschungen so fabelhaft funktionieren, ist zum einen dem exzellent strukturierten Drehbuch von Scott Z. Burns zu verdanken (der für Soderbergh bereits "Der Informant!" und "Contagion" schrieb), der mit kongenial kalkulierter Präzision den Film genau so aufbaut, dass man sich als Zuschauer absolut sicher ist, in was für einer Geschichte man hier steckt - bis einem ein ums andere Mal der Boden unter den Füßen weggezogen wird und man baff auf die Leinwand starrt, wirklich völlig ahnungslos, was als nächstes passieren wird. Ein Film, der das heutzutage noch schafft, verdient sich schon einmal hohe Anerkennung.
Zum anderen wäre all dies längst nicht so wirkungsvoll ohne Soderberghs bedachte und extrem clevere Inszenierung. In den Händen eines anderen, mehr auf Wirkung und Effekte erpichten Regisseurs hätte "Side Effects" ein sehr anderer, reißerischer Film werden können. Dass Soderbergh in genau diese Falle nicht tappt, macht den Film umso wirkungsvoller. Denn mit seinen kühl komponierten Bildern und der scheinbar gänzlich nüchternen, zurückgenommenen Inszenierung prägt Soderbergh ganz entscheidend die vermeintliche Tonalität der Handlung - und schafft damit überhaupt erst die Grundlage dafür, dass die folgenden Twists das Publikum derart kalt erwischen. Selten hat ein Filmemacher seine Zuschauer so gekonnt und wirkungsvoll im Dunkeln gehalten. Und selten war man als Zuschauer dafür im Nachhinein so dankbar.
Großes Lob gebührt auch den Darstellern, vor allem den beiden Hauptakteuren Jude Law und - ganz besonders - Rooney Mara. Man kann die Leistung der beiden kaum ausreichend beschreiben, ohne auf die Verwicklungen der Geschichte einzugehen. Darum verzichten wir an dieser Stelle darauf und bleiben bei den passenden Adjektiven: herausragend, bemerkenswert, und beängstigend gut.
All die Schwammigkeit in dieser Rezension wird von Ihnen, werter Leser, hoffentlich richtig verstanden: Nämlich als unbedingte Aufforderung, sich diesen Film anzusehen und sich selbst von ihm gehörig den Kopf verdrehen zu lassen. Auch wenn "Side Effects" in den ersten 20 Minuten auf Sie vielleicht langsam, grau und deprimierend wirkt - bitte halten Sie dann noch weitere 20 Minuten durch. Sie werden es nicht bereuen. Versprochen.
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