Into the Woods

Originaltitel
Into the woods
Land
Jahr
2014
Laufzeit
125 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
5
5/10
von Frank-Michael Helmke / 15. Januar 2015

Musicals sind ja so eine Sache. Es gibt wohl kaum ein Film-Genre, über dem sich die Geschmacksgeister so sehr scheiden wie über diesem, wobei die "Kann ich überhaupt gar nix mit anfangen"-Fraktion in der eindeutigen Mehrheit zu sein scheint. Diesen Leuten wird die Annäherung an theatralische Singspiele nicht gerade leichter gemacht durch Stephen Sondheim, einen der meistgefeierten und preisgekrönten Musical-Komponisten der letzten Jahrzehnte, Into the Woodsdenn Sondheim hat nicht nur eine Vorliebe für etwas abseitigen Humor und beizeiten provokante Brüche mit Erzählkonventionen, sondern komponiert auch melodisch höchst komplexe Musiknummern, denen die Eingängigkeit eines Popsongs komplett abgeht und die mit ihrem Grundprinzip, den Rhythmus der Musik an den Rhythmus der Sprache anzupassen, oft eher wie Sprechgesang denn wie "richtige" Lieder wirken. Das alles konnte man vor ein paar Jahren schon einmal im Kino beobachten bei Tim Burtons Film-Adaption von Sondheims Musical "Sweeney Todd" - ein Paradebeispiel für ein Musical mit einem für das Genre eher ungewohnten Thema und Verlauf. Nun hat sich Rob Marshall, dessen bisheriges Oeuvre an Filmmusicals sowohl Licht (Oscar-Auszeichnungen für "Chicago") als auch Schatten (der massive Flop von "Nine") hervorgebracht hat, an eine weitere Sondheim-Adaption gemacht. Und auch für diese gilt: Wer kein zutiefst überzeugter Fan des Genres ist, wird damit vermutlich sehr wenig anfangen können, wenn nicht sogar etwas befremdet von dem sein, was sich da auf der Leinwand tut.

Dass "Into the Woods" es nun zu Kinoehren gebracht hat, dürfte auch an dem derzeitigen, kleinen Boom liegen, den Märchen-Adaptionen erleben. Seit "Shrek" dieses Spielfeld fürs Kino entdeckte und den Ton für einen gern auch mal augenzwinkernden Umgang mit dem Quellmaterial setzte, drängen vor allem in letzter Zeit Neuinterpretationen von "Rotkäppchen" bis "Schneewittchen" auf unsere Leinwände, in wenigen Wochen wirft Disney auch eine Realfilm-Neuauflage von "Cinderella" (dem Trailer nach wohl eher frei von ironischen Brüchen) auf den Markt. Sondheims Musical passt da zumindest auf dem Papier eigentlich ganz gut in den Trend, basiert dessen Vergnügen doch vor allem in der schelmischen Verquickung mehrerer populärer Märchen zu einer neuen Erzählung. Im Zentrum von "Into the Woods" stehen ein Bäcker (James Corden) und seine Frau (Emily Blunt), die aufgrund eines Fluchs, der von der benachbarten Hexe (Meryl Streep) auf die Familie des Bäckers gelegt wurde, kinderlos sind. Into the WoodsDoch die Hexe teilt ihnen mit, wie sie diesen Fluch lösen können. Binnen drei Nächten sollen sie der Hexe vier Dinge besorgen: Eine Kuh so weiß wie Milch, ein Cape so rot wie Blut, Haar so gelb wie Mais und einen Schuh aus Gold. So kreuzen sich die Wege des Bäckerpaares denn alsbald mit Jack (Daniel Huttlestone) und einer magischen Bohnenranke, mit Rotkäppchen (Lilla Crawford), Rapunzel (Mackenzie Mauzy) und Cinderella (Anna Kendrick) sowie den beiden ihnen nachsteigenden Prinzen (Billy Magnussen und Chris Pine), die wiederum alle jeweils ihre eigene Märchengeschichte erleben - allerdings jeweils mit ein paar Variationen zum allseits bekannten Verlauf. 

Man kann an "Into the Woods" durchaus seine Freude haben - man sollte nur nicht den Fehler machen, dies aufgrund der augenscheinlichen Märchenthematik für einen guten Familienfilm zu halten, den man sich mit seinen Kindern ansehen kann. Die Kleinen dürften von dem etwas befremdlichen Verhalten ihrer geliebten Märchenfiguren hier nämlich ziemlich irritiert werden, und den Humor des Ganzen sowieso nicht verstehen. Denn der ist durch und durch von Ironie geprägt, von Sondheims lustvoll-eleganten Wortspielereien in den Texten bis hin zu den fast schon satirischen Drehungen, die er am Ursprungsmaterial vornimmt. Dass Cinderella hier etwas drei Nächte hintereinander vom Ball im Schloss des Prinzen flieht, weil sie sich gar nicht so sicher ist, ob sie den Prinzen wirklich will. Oder dass die beiden Prinzen von Cinderella und Rapunzel hier ein gemeinsames Duett singen über die Seelenpein, die diesen selbstverliebten Gockeln durch die verwirrende Ziererei ihrer Angebeteten zuteil wird - warum werfen sie sich nicht bereitwillig in unsere starken und schönen Arme? 

Into the WoodsMit quasi nicht endendem Augengezwinker springt Rob Marshalls Adaption so von einem Erzählstrang zum nächsten, und es ist dem gut aufgelegten Cast durchaus anzumerken, dass es ihnen großes Vergnügen bereitet hat, hier dabei zu sein. Wenig verwunderlich, denn die Kunstfertigkeit eines Sondheim-Musicals weiß man dann am besten zu schätzen, wenn man mit den Konventionen von Theater und Singspiel inniglich vertraut ist - wovon man bei gut ausgebildeten Schauspielern ausgehen sollte. Vor lauter Gehüpfe durch die verschiedenen Erzählstränge und der ständigen Konzentration auf die Metabenen-Witze bleibt hier eines aber weitgehend auf der Strecke: Ein stringenter Erzählfaden. Die Versuche des Bäckerpaares, die von der Hexe verlangten Dinge zusammenzubekommen, halten die Sache nur mehr schlecht als recht zusammen, und es tut "Into the Woods" definitiv nicht gut, dass eine ganze Reihe von Liedern aus dem Original-Musical für die Film-Adaption gestrichen wurden, zugunsten von mehr Tempo (und um eine Laufzeit nahe der drei Stunden zu verhindern). Da in Sondheims Musicals die Erzählung durch die Lieder aber weitaus mehr vorangetrieben wird als in anderen Genre-Beiträgen, bleibt damit auch viel an Kohärenz auf der Strecke. Wie Cinderella es hier zum Beispiel überhaupt auf den Prinzenball schafft und wo sie ihr bezauberndes Kleid herbekommt - man erfährt es nie.

Into the WoodsEs sind Auslassungen wie diese, welche "Into the Woods" immer wieder davon abhalten, einen zufriedenstellenden Erzählfluss zu erreichen, anstatt wie eine immer wieder abgehackte Nummernrevue zu erscheinen. So richtig schwierig wird die Sache aber im zweiten Akt - also dem, was bei einer Opern- bzw. Musicalvorführung nach der Pause kommt. Denn Sondheim bricht in seinem Meta-Spiel hier systematisch mit so ziemlich allem, was es an Märchen-Konventionen gibt, und lässt auf das eigentlich schon vollzogene Happy End einen in Tonalität und Stimmung sehr anderen zweiten Akt folgen. In der Logik des Ursprungs-Musicals werden die Märchenfiguren hier damit konfrontiert, wohin ihre Wünsche, mit denen sie in das Stück gestartet sind, führen, wenn sie tatsächlich in Erfüllung gehen. In Rob Marshalls gehetzter Film-Adaption bleibt von diesem Motiv wegen der bereits erwähnten Kürzungen aber nicht mehr viel übrig, so dass das letzte Drittel des Films einfach nur wie ein ziemlich merkwürdiger Zusatz erscheint, dessen Sinnhaftigkeit sich leider so gar nicht erschließen mag. Wo es bis eben noch ziemlich drollig und überdreht zuging, kippt die ganze Sache auf einmal in etwas sterile Dramatik und Ernsthaftigkeit und verliert fast komplett ihren Schwung - der zuvor noch das beste Pro-Argument für diese doch reichlich rumpelige Film-Adaption war.

Die letzte halbe Stunde von "Into the Woods" verleitet jedenfalls nur noch zu erhöhtem Kopfkratzen anstatt zu Begeisterungsstürmen. Und das ist für das Finale eines Musicals definitiv keine gute Sache. Spätestens hier scheitert diese Kino-Adaption am anspruchsvollen Charakter von Sondheims Stück und ihrem eigenen Unwillen, auch die dunkleren Aspekte in der Vision des Komponisten wirklich auszuspielen. So bleibt am Ende ein Film, bei dem man nicht umhin kommt sich zu fragen, warum er überhaupt gemacht wurde: Für ein Mainstream-Familienpublikum definitiv zu schräg, für Ironie-bewanderte, erwachsene Zuschauer aber bei weitem nicht konsequent genug. Das Ein-Wort-Urteil über "Into the Woods" fällt darum dann auch ziemlich verheerend aus: Überflüssig.

Bilder: Copyright

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