"Die Zeit des Graffiti ist vorbei" wurde dem Filmemacher Florian Gaag, einem ehemaligen Sprayer aus der Münchner Szene, mehrfach gesagt, als er Geldgeber für seinen ersten Spielfilm "Wholetrain" suchte. Obwohl er selbst über das Projekt sagt: "Welche offizielle Filmförderung investiert schon gerne in einen Film, in dem Züge mit Graffiti überzogen werden und am Ende nicht mal eine politisch korrekte Botschaft steht, die das verurteilt oder zumindest in Frage stellt?", gelang es ihm glücklicherweise, unter anderem das kleine Fernsehspiel des ZDF und Goldkind Film zu gewinnen, um diesen authentischen Blick auf die Sprayerszene in die Tat umsetzen zu können. Dass er mit Herzblut dabei war, zeigt sich daran, dass er für die Low-Budget-Produktion schließlich sogar in die eigene Tasche griff, um den Soundtrack zu finanzieren, nachdem die restliche Kohle schon für die Dreharbeiten draufgegangen war.
Graffiti ist das Wichtigste im Leben der vierköpfigen Keep Steel Burning Crew (KSB), und nichts kann sie davon abhalten: David kann es nicht lassen, obwohl er gerade sechs Monate Bewährung für Sachbeschädigung bekommen hat, Tino ist von seinem kleinen Sohn vollkommen überfordert und erfüllt seine Vaterpflichten nur, wenn es gerade nicht beim Sprayen stört, Elyas ist eifersüchtig auf den Graffiti-Zögling Achim aus gutem Hause, und als seien das nicht schon genug Probleme, taucht auch noch eine neue Crew in der Stadt auf (ATL), die die Pieces von KSB crosst, was einer Kriegserklärung gleichkommt. Um ihren Fame zurück zu gewinnen, beschließen KSB, einen Wholetrain, einen ganzen Zug, zu besprühen. Denn je schwieriger ein Objekt zu erreichen und zu sprayen ist, desto mehr Anerkennung gibt es dafür, und der Wholetrain ist die Königsklasse. Zwischen Windeln, Polizei und Konkurrenz kommen die Jungs immer weniger mit sich und ihrem Leben klar und steuern auf die Katastrophe zu.
"Wholetrain" beeindruckt durch die zur Story passende Kameraarbeit und den großartigen, von Florian Gaag stammenden Soundtrack, dessen Vocals von KRS-One, Freddie Foxxx, O.C., Afu-Ra, Planet Asia, Grand Agent, El da Sensei und Tame One übernommen wurden, von denen einige früher selbst Writer waren. Auch die Darsteller überzeugen, welche Gaag bei Streetcastings und über Anzeigen in Writer-Mags fand. Die Deutsche Bahn weigerte sich, mit dem Team zu kooperieren, so dass mit Genehmigung der Bahnbehörden in Warschau gedreht wurde, wofür sogar voll besetzte Züge länger an den Stationen hielten, wenn der Dreh noch nicht fertig war. Weit entfernt vom drohenden Zeigefinger, zeigt Gaag in "Wholetrain" den Alltag der Sprayer mit all seinen Gefahren und Streitereien, aber auch mit dem Zusammenhalt und den Adrenalinkicks, die die Crew gemeinsam erfährt. Dabei wird dem Publikum nicht viel erklärt, sondern gleich losgesprayt.
Schade ist, dass die Charakterisierung der Figuren eher dürftig ausfällt, so dass man über manche zu wenig weiß, um wirklich mit ihnen fühlen zu können. Auch die Story an sich ist eher simpel gestrickt, wodurch der Film nicht so wirkungsvoll ist, wie er hätte sein können. Trotzdem ist "Wholetrain" ein Film, der einen authentischen Blick auf die Graffitiszene erlaubt und es dem Publikum so ermöglicht, auch mal die Faszination hinter den allseits zu sehenden Tags und Pieces zu erfahren. Um es mit den Worten des Regisseurs zu sagen: "Wenn es um Graffiti-Writing geht, sind Unverständnis und Ignoranz der Öffentlichkeit nach wie vor groß."
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