Sollte es tatsächlich Leute geben, die diesem Film nicht wohlgesonnen sind, sie hätten das richtige Arsenal gleich bei der Hand: Ein Maorimädchen kämpft um Anerkennung, das riecht nach Betroffenheitsdrama, Sozialkitsch, Exotiktand und - was, die frühere Sängerin von Dead Can Dance macht die Musik? - aha, auch noch nach billiger Esoterik. Dabei ist "Whale Rider" einer der großartigsten Filme des Jahres, dessen größte Leistung es ist, sämtliche durch das Thema bereitliegende Klippen geschickt zu umschiffen. Klischees gibt es hier nicht, Kitsch auch nicht - aber echtes, mitreißendes Gefühl. Niki Caros Film beruht auf dem Roman des Neuseeländers Witi Ihimaera, den dieser schrieb, nachdem sich ein Wal in die Mündung des Hudson River in seinem damaligen Wohnort New York verirrte. Dieser Zwischenfall erinnerte ihn an eine Legende, an die die Maoris (die neuseeländischen Ureinwohner) in seiner Heimatstadt Whangara und an der Ostküste Neuseelands glauben: Während eine Grundlage des Maoriglaubens ist, dass ihre Vorfahren das Land auf Kanus erreichten, glauben die Menschen dieser Gegend, ihr Vorfahre Paikea sei auf dem Rücken eines Wales nach Neuseeland gekommen, nachdem sein Kanu gekentert war. Aus diesem Mythos entwickelt sich die Geschichte von "Whale Rider", denn über Generationen hinweg bekommt der männliche Nachfahre des Oberhaupts den Titel des Urvaters. Aber als der ersehnte Enkel von Stammesoberhaupt Koro (Rawiri Paratane) bei der Geburt zusammen mit der Mutter stirbt, und nur seine Zwillingsschwester überlebt, lehnt Koro das unerwünschte Kind ab. Dies ist nicht der Nachfahre, den er erhoffte. Aus Verzweifelung, Wut und Trotz gibt ihr Vater Pourourangi (Cliff Curtis) dem Mädchen trotzdem den Namen Paikea. Das Mädchen wächst in der Obhut der Großeltern Koro und Flowers (Vicki Haughton) auf, wird von Koro jedoch nicht als seine traditionelle Nachfolgerin anerkannt. Schließlich behauptet er gar, Pai (Keisha Castle-Hughes) sei am Unglück seines Stammes Schuld. Auf der Suche nach einem Anführer trainiert er die heranwachsenden Jungen des Dorfes in Maori-Riten - aber Pai, das Mädchen, darf nicht mitmachen. Trotzig beginnt sie ihre eigene Lehre. Und als sich am Abend ihrer Schulaufführung die Ereignisse überschlagen, muss auch Koro seine verbohrte Einstellung überdenken: Gibt es vielleicht doch einen würdigen Nachfolger des Walreiters? "Whale Rider" vermischt auf wunderbare Weise Elemente des Coming-of-Age Films, des Dramas und des Märchens. Zwar macht sich der Film gewisse Hollywoodkonventionen zu nutze, verwendet sie jedoch nie als ausgehöhlte, bedeutungslose Chiffren. Wenn etwa der auch äußerlich ein wenig an Markus Maria Profitlich erinnernde Grant Roa als kiffender Fleischklops mit dem Taiaha-Kampfstock in der Hand auf einmal zum furchteinflößenden Kämpfer mutiert, ist das natürlich witzig - und auch so gedacht. Gleichzeitig ist es aber nicht unlogisch oder an den Haaren herbeigezogen - wie derlei Transformationen zumeist in Hollywoodfilmen rüberkommen. Die Darsteller wirken alle absolut glaubwürdig und liefern eine tolle Ensembleleistung ab. So wird sich jemand wie Cliff Curtis freuen, nach den ganzen Quotenexotenrollen in Hollywoodfilmen - Araber in "Three Kings", Kolumbianer in "Collateral Damage" - hier einmal einen wirklich dreidimensionalen Charakter zu bekommen und als Pourourangi eine kleine aber feine Rolle spielen zu können. Vicki Haughton darf - wiederum sehr subtil eingeflochten - als Koros Frau Flowers für weitere Frauenpower im patriarchalischen Wertesystem sorgen. Der Film steht und fällt aber mit der Leistung der jungen Hauptdarstellerin, und was Keisha Castle-Hughes hier leistet ist absolut fantastisch. Mit einer Leinwandpräsenz gesegnet, die gestandene Schauspielerinnen im besten Alter erblassen lässt, haben wir hier einen zukünftigen Star. Ehrlich, wenn es dieses Mädchen nicht schafft, dann weiß ich es nicht. Die elegante, natürliches Licht imitierende Photograhie von Leon Narbey und die atmosphärische Musik von Lisa Gerrard machen die wunderschöne aber raue Natur rund um Waghara zu einem Ereignis. Und so ergeben die stimmige Story, die tollen Darstellerleistungen und das filmische Vermögen von Niki Caro, die als Autorin und als Regisseurin triumphiert, einen wahrlich wundervollen Film. Spätestens im Schlussdrittel, als der Film auf bemerkenswerte, dabei aber gänzlich unklischeehafte Weise in eine mystische Fabel umschlägt, in der alle Ereignisse einen größeren Sinn ergeben, ist man emotional so gepackt, dass es einem ein wenig die Kehle zuschnürt und die Gänsehaut so langsam den Rücken hoch kriecht. Feuchte Augen hat man eh schon, weil kurz vorher in der schönsten Szene des ganzen Films Pai eine so emotionale Rede hält und Keisha Castle-Hughes dabei eine so schlichtweg grandiose Leistung zeigt, dass nur die versteinertsten und verstocktesten Gemüter nicht berührt sein können. So, und wer sich all dieser fantastischen Errungenschaften von "Whale Rider" zum Trotz jetzt noch erdreistet, irgendetwas von "simplem Mystizismus" zu faseln, der kriegt eins mit dem Taiaha übergebraten. Und zwar volle Kanne. |
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