
Jack Campbell (James Spader) ist
echt eine ganz arme Sau. Ständig am Medikamente schlucken, vegetiert
er in seiner Wohnung dahin, umgeben nur von einer einsamen Apfelsine
im Kühlschrank und drei Dutzend nicht
geöffneter Briefe im Flur. Schuld an allem ist David Allen Griffin
(Keanu Reeves), seines Zeichens Serienkiller und selbst erklärter
Campbell-Fan, der seinen alten Feind zu einer neuen Runde des guten
alten „Hasch mich, ich bin der Mörder“-Spiels überreden
will. Die beiden hatten bereits in Los Angeles das Vergnügen
miteinander, ein Duell, das die damalige Freundin des Polizisten Campbell
nicht überlebte. Stark traumatisiert und ausgebrannt hat sich
Campbell nach Chicago zurückgezogen, seine einzige Bezugsperson
ist die Psychologin Polly Bellman (Marisa Tomei).
Dummerweise lässt
sich Griffin nicht so leicht abschütteln und erleichtert nun
die Chicagoer Damenwelt mittels Pianodraht um Halsschlagader und Leben.
Vorher schickt er seinem Mitspieler Campbell immer ein Foto des nächsten
Opfers und gibt ihm einen Tag Zeit, dieses zu finden und zu retten.
Unterstützt von den Polizisten Ibby (Ernie Hudson) und Hollis
(Chris Ellis) macht sich Campbell auf die Jagd nach Griffin, nicht
zuletzt, um endlich die Dämonen der Vergangenheit zu vertreiben
...
Richtig gruselig bei diesem Streifen ist ja schon das US-Plakatmotiv.
Die dunklen Umrisse von Killer-Keanu sieht man dort, den mörderischen
Draht in den behandschuhten Händen dem Betrachter bedrohlich
entgegenstreckend. Erinnert fatal an ein B-Film-Plakat, und würden
die deutschen Übersetzer aus dem „Watcher“ irgendwas reißerisches
à la „Der Westside-Würger“ machen, hätten wir mit
dem Plakat einen echten Trash-Knaller. Doch genug, lasset uns den
Film betrachten.
Nur
schade, daß man da nicht allzu viel sieht: Spannendes höchst
selten, Neuartiges gar nicht. Als wäre Innovation etwas ekliges,
das man schon aus Prinzip ablehnen müsste, kommt dieser krude
Reißer derart unoriginell und zusammengeklatscht daher, dass
man sich fragt, wie Herr Reeves, der sich nach dem Überknaller
„Matrix“ doch eigentlich Filme und Drehbücher aussuchen könnte,
sich hierher verirrt hat. Die Antwort: vermutlich ein Freundschaftsdienst
für Regisseur Joe Charbanic, der für Reeves’ Rockband „Dog
Star“ diverse Videos drehte und dessen Regiedebüt im Austausch
mit Reeves‘ Präsenz veredelt wird, genauer gesagt: veredelt werden
sollte.
Wobei sich dem Kritiker hier grundsätzlich zwei Fragen stellen:
Darf man einem Film übel nehmen, daß er – obwohl solide
in vielen Bereichen – eine hundertmal gesehene Geschichte ohne die
geringste Variation herunter spult? Sollte ein Film nicht wenigstens
ansatzweise den Anspruch erheben, sich aus reiner Konfektionsware
hervorzuheben? Die Antwort ist meines Erachtens in beiden Fällen
ja, und gerade deshalb nervt
dieser unendlich mediokre Film, der nichts besseres bietet als jeder
beliebige TV-Fernsehfilm im Abendprogramm von TM3, so unendlich. Die
genreüblichen Verfolgungsjagden über Hausdächer und
im Auto, der Showdown der Kontrahenten: das alles ist derart lustlos
und unoriginell in Szene gesetzt, dass man sich gegen Mitte des Films
fragt, warum man sich dafür eigentlich ins Kino bemüht hat.
Nicht viel helfen tun dabei allerdings auch die Spielereien, die man
sich ausdachte, um das Ganze ... tja, „aufzupeppen“ wäre da schon
viel zu viel gesagt. Man erkennt dem Film jederzeit des Regisseurs
Hintergrund als Musikvideospezialist an, was an sich ja nicht sehr
schlimm ist, schließlich kommt der großartige David Fincher
(„Fight Club“, „Sieben“) auch ursprünglich aus der Ecke. Weit
schädlicher ist dagegen, was man wählte, um Modernität
vorzutäuschen. Kameramann Michael Chapman hat zwar zwei Oscars
in der Vitrine zu Hause, aber seine ständig verwischte Zeitlupenoptik
wird nach den ersten zwanzig Minuten des Films zum nervtötenden
Ärgernis. Und weil Keanu Reeves ja der „Watcher“ ist, gibt es
sein Beobachten in der lustig-grobkörnigen „Blair Witch“-Handkameraperspektive.
Dies soll wohl Zeitgeist widerspiegeln, kann aber
nie
die ansonsten auch optisch hausbackene Inszenierung kaschieren.
Die Nähe vieler Bilder zur Clipbranche ist ironischerweise gar
nicht mal falsch: Tiefe oder Bedeutung gibt es in „The Watcher“ nicht,
das Ganze bleibt inhaltsleer und ausdruckslos wie ein schlechtes,
dazu überlanges Video.
Passend dazu Figuren und Darsteller. James Spaders müdes Gesicht
für den nach dem „Psychologiebausatz für Anfänger“
zusammengebastelten Campbell kommt da noch am Besten rüber. Der
Gegensatz dazu Keanu Reeves, bei dessen Figur weder Psychologie noch
sonst was aufgewendet wurde: sie ist schlichtweg als wirklicher Charakter
nicht vorhanden. Reeves’ Serienkiller ist, der umgebenden Videoclipatmosphäre
verpflichtet, ganz Poser und Blender, ohne jegliche inhaltliche Tiefe,
Motivation oder Hintergrund. Ob Reeves deshalb so ausdruckslos spielt,
ist fragwürdig, aber er bestach ja auch als Matrix-Messias eher
durch cooles Auftreten denn durch wirkliche Schauspielkunst. Zu Marisa
Tomei ist eigentlich nicht viel zu sagen, zu klein und auf stereotypisches
Opfer ist ihr Part angelegt. Es fällt einzig auf, dass Miss Tomei
in relativ kurzer Zeit relativ alt geworden ist, während Ernie
Hudson noch genauso aussieht wie vor zehn Jahren. So traurig wie bezeichnend,
dass dieser spannungsarme Streifen größtenteils nur als
Studie über das Altern von Hollywoodstars taugt.
Würde man im Lexikon unter der Rubrik „Durchschnittsware“ nachschlagen,
so könnte einem dort ohne Probleme „The Watcher“ entgegenstrahlen
(vielleicht sogar mit dem tollen Plakat?). Dies ist ein wirkliches
„Un“-Ding: unoriginell, unspannend und unglaublich ermüdend.
Womit es der „Watcher“ definitiv nicht verdient hat, „gewatcht“ zu
werden.
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