
Walhalla ist der Ort der nordischen Mythologie, an dem die gefallenen Krieger, die sich als tapfer erwiesen haben, ihre ewige Ruhe finden. Der Titel "Walhalla Rising" legt nahe, dass es auch der Ort ist, zu dem Regisseur Nicolas Winding Refn ("Pusher", "Bronson") seine Protagonisten führt. In jedem Fall ist es eine Reise ins Herz der Finsternis, egal, ob dieses nun Walhalla, Nordamerika oder schlicht Hölle heißt.
Irgendwann, irgendwo im 12. Jahrhundert: "Einauge" (Mads Mikkelsen), ein stummer Krieger, wird seit vielen Jahren als Sklave gehalten und muss sich immer wieder in tödlichen Kämpfen mit anderen Sklaven messen. Da er stets gewinnt, bringt er seinem Besitzer jede Menge Geld ein. Eines Tages gelingt es ihm, seine Bewacher zu überlisten und zu fliehen. Der Junge Are (Maarten Stevenson) schließt sich ihm an. Auf ihrer Flucht treffen die beiden auf einen Stamm von Wikingern, deren Ziel das "Heilige Land" ist. Gemeinsam mit Einauge und Are stechen die Wikinger in See. Nach einer tagelangen Odyssee durch nichts als Nebel erreichen die Männer endlich festes Land. Was eigentlich das Heilige Land sein sollte, entpuppt sich aber als eine Art von Hölle. Für Einauge und die anderen hat ein Kampf ums nackte Überleben begonnen.
"Walhalla Rising" ist ein Film aus einer anderen Zeit, einer anderen, (gott)verlassenen Welt und erinnert phasenweise sehr stark an Andrej Tarkovskys philosophischen Science-Fiction-Klassiker "Stalker". Die Protagonisten in "Walhalla Rising" erkunden nicht nur eine ihnen fremde Welt, sondern auch ihr eigenes Ich. Was daraus zu Tage tritt, sind Wut, Hass, Neid und Verzweiflung - eben alles Schlechte im Menschen. Nur ein Opfer (auch der Titel von Tarkovskys letztem Film) im gleichnamigen letzten Akt gibt Anlass zur Hoffnung.
Auf erzählerischer Ebene halten sich die Gemeinsamkeiten von "Walhalla Rising" und "Stalker" aber eher in Grenzen. Vielmehr sind es die gestalterischen Mittel, die immer wieder Assoziationen wecken. Alles hier ist trostlos und grau, die Landschaften bestechen vor allem durch ihre Kargheit. Beispielhaft für den Stil von Nicolas Winding Refn ist der dritte Akt, in dem der Einäugige, der Junge und die Wikinger mit ihrem Schiff zum Heiligen Land aufbrechen. Gesprochene Worte sind eine Rarität, selbst der "Bambi"-Film war redseliger. Eine Definition von Langsamkeit wäre von nun an ohne die Erwähnung von "Walhalla Rising" bedeutungslos.
Ein Dutzend Männer sitzt in einem Boot, das sich nicht bewegt. Kein Wind, nur Nebel um sie herum. Sie schlafen, tauschen Blicke aus, schlafen wieder. Im Morgengrauen umgibt sie immerhin mal ein dreckiges Rot. Rot sind auch die Träume/Visionen von Einauge, in denen er immer wieder selbst auftaucht und die ihm wohl ein Bild von der Zukunft zeichnen. Traum und Realität sind nicht immer klar voneinander zu trennen.
Während die einen insbesondere dieser Teil zum Wechsel der DVD veranlassen wird, werden die anderen von der zweifelsfrei hypnotischen Kraft der Bilder in Beschlag genommen und schon längst vergessen haben, dass sie einen Film schauen.
Später rücken dann eher Fragen um Religion, Philosophie und Mythologie in den Vordergrund. Wer will, kann alles Erdenkliche in diesem Film lesen. Fragen um Herrschaft, Loyalität, Gotteswahn, Schicksal und so weiter. Diese Beliebigkeit ist aber zugleich auch die Schwäche von "Walhalla Rising". Es erinnert an die jüngeren Werke von David Lynch, wie Refn immer mehr Elemente in seinen Film streut und dem Zuschauer die Deutungshoheit überlässt. Kohärenz und Dramaturgie bleiben dabei auf der Strecke. "Walhalla Rising" ist eine 90-minütige Irrfahrt durch Mythen und Heldengeschichte, die kein klares Ziel vor Augen hat und deren einzelne Sequenzen mitunter austauschbar wirken. Das Ende des Films wirkt wie ein mögliches unter unendlich vielen.
Absolut gelungen hingegen ist der Auftritt von Mads Mikkelsen. Durch seine Darstellung des "Le Chiffre" im "Bond"-Reboot "Casino Royale" wurde er dem Weltpublikum bekannt, doch auch vorher machte er mit brillant gespielten Rollen wie der des naiven Pfarrers Ivan in "Adams Äpfel" auf sich aufmerksam. In "Walhalla Rising" läuft alles über seine Physis, denn sein Charakter spricht kein einziges Wort. Allein mittels seiner Körpersprache und seiner Blicke ermöglicht Mikkelsen einen Einblick in das Innenleben einer Figur, deren Motivation bis zum Ende verborgen bleibt. Sicher keine ganz alltägliche Aufgabe für einen Schauspieler, so viel zu leisten, ohne dafür eine einzige Dialog-Zeile gelernt zu haben.
Alltäglich ist auch "Walhalla Rising" im Gesamten nicht. Wer hier so etwas wie Entwicklung bei den Figuren oder in der so genannten Handlung erkannt haben möchte, dem sei ernsthaft dazu gratuliert. Refns Werk, das bereits vor über einem Jahr in Venedig Premiere feierte, gibt sich arg behäbig, sperrig, zäh, bedeutungsschwanger und ist zudem nichts für allzu Zartbesaitete. Vor allem mittels seiner Bildsprache erzeugt Refn jedoch eine phasenweise hohe Faszination für seinen Stoff. Die Konsequenz daraus ist kein Meisterwerk, aber ein Film, wie man ihn heutzutage quasi nicht mehr zu Gesicht bekommt.
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