Transamerica

Originaltitel
Transamerica
Land
Jahr
2005
Laufzeit
103 min
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Frank-Michael Helmke / 14. Juli 2010

Hollywood, und damit auch die Oscar-Akademie, ist erstaunlich politisch in den letzten Jahren, und das schlägt sich auch auf die Verleihung der Gold-Jungs (und anderer amerikanischer Filmpreise) nieder. Vor vier Jahren bejubelte man den afroamerikanischen Doppel-Oscar für Halle Berry und Denzel Washington, letztes Jahr räumte Clint Eastwoods Euthanasie-Drama "Million Dollar Baby" ab, und die Gala-Saison 2005/2006 mausert sich zum Triumphzug von Filmen, die sich mit sexueller Identität auseinander setzen: Ang Lees Homosexuellen-Cowboydrama "Brokeback Mountain" ist der große Oscar-Favorit dieses Jahres, bei den männlichen Hauptdarstellern darf sich Philipp Seymour Hoffman als offen schwul lebender Schriftsteller "Capote" berechtigte Hoffnungen auf den Sieg machen, und bei den Damen setzen die Buchmacher ganz klar auf Felicity Huffman.
Warum, diese Frage beantwortet sich beim Betrachten von "Transamerica" schon nach wenigen Minuten von selbst. Die bisher vor allem durch ihre Hauptrolle in der Hit-Fernsehserie "Desperate Housewives" bekannte (und dort neben ihren glamourösen Co-Stars Teri Hatcher und Eva Longoria immer etwas wenig beachtete) Huffman verschwindet hier auf so beeindruckende Weise vollkommen in ihrer Rolle, wie man es selten gesehen hat. Die spröde Hausfrau Lynette aus dem Fernsehen ist komplett vergessen, sobald Huffman hier als Bree Osbourne zum ersten Mal ihren Lidstrich nachzieht. Bree, die eigentlich Stanley heißt, und von ihrer vollständigen Geschlechtsumwandlung nur noch eine einzige Operation entfernt ist.
Für diese OP benötigt Bree jedoch die Einwilligung einer Psychologin (bissig etabliert der Film die amerikanische Gesetzesregelung, dass Transsexualität als geistige Störung diagnostiziert werden muss, bevor zur "Behandlung" die nötigen Operationen erlaubt werden) - und als Bree erfährt, dass in einem New Yorker Jugendgefängnis ein Junge sitzt, der ihr leiblicher Sohn ist (Resultat einer experimentierfreudigen Nacht zu Schulzeiten), verlangt ihre Therapeutin, dass sie sich dieser Vergangenheit stellt, bevor sie die Erlaubnis zur OP bekommt. Mehr erzwungen als erwünscht sammelt Bree ihren Spross ein und gibt sich zunächst als Christenlady aus, die dem "verirrten Kind" (Toby hat ausgiebige Erfahrung als Stricher) den rechten Weg weisen möchte. Da Tobys Mutter vor kurzem verstorben ist, will der Junge nun seinen Vater suchen - und so begleitet ihn Bree auf einem Road Trip gen Westen, auf der Suche nach der Person gleich neben ihm.

Regisseur und Autor Duncan Tucker gelingen wundervolle und lebendige Charakterzeichnungen, bis in die Nebenrollen hinein (Graham Greene als indianischer Verehrer von Bree ist ein stilles Highlight), und er entwickelt seine Geschichte gleichermaßen humor- wie bedachtvoll, ohne jedoch wegen dem sensiblen Thema Transsexualität die Samthandschuhe auszupacken: Für einige gepflegte Geschlechtsteil-Witze ist man sich hier nicht zu schade, Toby ist weder Drogen noch weiteren schnellen Stricher-Dollars abgeneigt, und wenn Bree und er gegen Ende auf Brees Vorort-Familie treffen, lassen die schrillen Verwandten und ihre Reaktionen den Film kurzzeitig ins Absurde abdriften (wo er während eines Zwischenstopps bei einem Transen-Kaffeeklatsch ohnehin schon mal war). Trotz schwerem Thema also keine schwere Kost: Hier gibt's einiges zu lachen, und eine Menge zu schmunzeln.
Das alles kann allerdings nicht wirklich vertuschen, dass es "Transamerica" am gewissen Drive mangelt. Wie so viele Road Movies bleibt auch dieser episodenhaft, und die Grundkonstellation lässt nur wenig dramatische Höhepunkte zu. Wohl auch deshalb wollte Tucker seine entscheidende Wendung (die Lüftung von Brees wahrer Identität gegenüber Toby) so weit wie möglich ausreizen. Und hat sich dabei etwas verzockt: das "Geheimnis" wird so lange aufrecht erhalten, dass man den guten Toby irgendwann für reichlich unterbelichtet hält, weil er noch nicht selbst dahinter gekommen ist. Resultat ist ein ziemlich gemächliches Erzähltempo, dem ein bisschen mehr Straffung gut getan hätte.

Doch das ist alles reichlich zweitrangig neben der unglaublichen Show, die Felicity Huffman hier abliefert. Dass sie in Bree verschwindet, ist nicht übertrieben: Sie sieht hier tatsächlich aus wie ein Mann, der dabei ist eine Frau zu werden. Manieriert und nuanciert in jeder Bewegung, jedem Ton, jeder Reaktion, präsentiert Huffman hier eine unglaublich präzise und intensive, schlichtweg großartige Vorstellung. Die Unsicherheit, die Brees Leben ausmacht, ihren Charakter quasi definiert, ist geradezu fühlbar. In jeder Sekunde verdeutlicht Huffman den schmalen Grat zwischen Selbstdisziplin und Nervosität, der für Bree der einzige Weg durchs Leben zu sein scheint. Gerade wer dem TV-Star eine herausragende Filmrolle nicht zugetraut hätte, wird hier nachhaltig staunen: Wenn es die Definition des Schauspielberufs ist, eine andere Person zum Leben zu erwecken, dann hat wirklich niemand in Hollywood seinen Job dieses Jahr so gut gemacht wie sie.

Daher wäre es wenig überraschend, sondern nur konsequent, wenn auch die Oscar-Akademie diese Leistung anerkennt und - wie schon die Kollegen von den Golden Globes - Frau Huffman noch einen Preis für den Kaminsims spendiert. Man kann die Bild-Schlagzeile schon fast sehen: ‚Homos und Transen regieren die Oscars! - Werden im Kino jetzt alle schwul?'. Wenn dabei so gute Filme und derart beeindruckende Schauspielleistungen rum kommen, hat wohl niemand was dagegen.


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