
Drehbuchkurs Lektion
1: Wir basteln uns einen glaubwürdigen Kommissar.
Entscheidend sind hier die obligatorischen ermordeten Familienmitglieder,
in deren Namen der Kommissar legale
Rache an anderen Tätern nimmt. Unumgänglich ist die harte
Schale, ein schwarzer Mantel und natürlich der jugendlich naive
Assistent, der nach und nach die sensiblen Seiten des Kommissars aufdecken
kann und an der Aufgabe wächst.
Im vorliegenden Film haben wir ein Paradebeispiel. Hauptkommissar
Minks (Christian Redl) arbeitet natürlich in der Mordkommission.
Seine Frau ist tot, seine Tochter vor zwei Jahren abgehauen: ideale
Voraussetzungen für einen kauzigen Eigenbrödler, der an
einem skurrilen Fall dran ist: eine junge nackte Frau wird von einem
Bus überfahren. Obwohl es nach Unfall aussieht, ist es Mord:
der Frau wurde vorher ein großflächiges Tattoo vom Rücken
geschnitten. Sein Assistent Schrader (August Diehl, "23",
"Kalt ist der Abendhauch"), der gerade mit der Ausbildung
fertig ist, kennt
sich in der sogenannten "Szene" aus, und so rutschen die
beiden rasch tief in einen Fall hinein, der globale Auswüchse
hat: Es scheint, als gebe es einen weltweiten Handel mit Secondhand-Tattoos.
Wichtig ist für unseren Film-Bausatz an dieser Stelle die obligatorische undurchschaubare Schöne (Nadesha Brennicke als Galeristin Maya), die dem Assistenten den Kopf und damit den Fall verdreht. Entscheidend ist hier ihr zufälliges Auftauchen, das aber trotzdem für den Fall von immenser Bedeutung sein muss.
Drehbuchkurs Lektion 2: Wie schaffe ich Atmosphäre?
Spätestens seit "Die purpurnen Flüsse" wissen
wir, dass Regen blutige Szenen noch viel ausdrucksvoller macht.
Und deshalb hat Regisseur Schwentke hier gleich eine große
Portion bestellt und setzt mit viel Beton und bunt gefächerten
Grautönen noch einen drauf. Das geht
soweit, dass man sich bei einem roten Regenschirm beinahe schon
erschreckt: so wirkt natürlich das Blut besonders gut.
In Tattoo tragen alle Personen schwarz oder grau, alle Wände
sind grau oder grausam tapeziert, ganz passend zu dem beinahe zufällig
dahingeworfenen Satz: "Das Zimmer ist der Spiegel der Seele."
Wenn es danach geht, jagen sich hier nur Psychopaten gegenseitig.
Was einigermaßen hoffnungsvoll beginnt, entwickelt sich zum minder spannenden Fernsehkrimi auf großer Leinwand. Wenn die ersten verstümmelten Toten auftauchen, hofft man auf einen geisteskranken Killer, auf Schrecksekunden, auf Ekel, bei dem man lachend zum Nebenmann sagen kann: "War doch gar nicht so schlimm!" Hier sagt man nur: "War doch gar nicht von Belang". Hier geht wie eben bewiesen alles nach Schema F, nicht einmal die Konflikte zwischen Minks und Schrader nutzen ihr Potential. Das ausdruckslose Starren der Polizisten, deren interne Machtkämpfe, kombiniert mit ausdrucksvollem Grau machen eben noch lange keinen Thriller. Aber dafür einen netten Krimi auf Video: hier bemerkt man die hingestümperte Handlung hinter der Atmosphäre nicht so wie auf der großen Leinwand.
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