1985 machten sich die beiden jungen, abenteuerlustigen britischen Bergsteiger Joe Simpson und Simon Yates zur Erstbesteigung der Westwand des über 6000 Meter hohen Siula Grande in den peruanischen Anden auf. Mit einer riskanten, auf wenig Sicherung aber hohe Klettergeschwindigkeit ausgerichteten Technik schafften die beiden den schweren Aufstieg in wenigen Tagen. Es waren die dramatischen Ereignisse des Abstieges, die ihrer Klettertour zu Legenden-Status in Bergsteiger-Kreisen verhalfen: Als ein Eisvorsprung unter dem voraus kletternden Simpson nachgibt, bricht dieser sich beim Sturz das linke Bein - bei einem Zweier-Team in solcher Höhe im Prinzip ein Todesurteil. Yates' heroischer Versuch, seinen Freund etappenweise an ihren zusammengeknoteten Seilen den Berg herunterrutschen zu lassen, führt zum nächsten Desaster: Bei schlechten Wetterverhältnissen übersehen die beiden eine Kante, über die Simpson hinwegrutscht und aktionsunfähig in der Luft hängen bleibt. Ohne Sicht- oder Rufkontakt entscheidet sich Yates schließlich, das Seil zu kappen, als er durch das Gewicht von Simpson selbst hinuntergezogen zu werden droht. Simpson stürzt in eine Gletscherspalte, und sein Kamerad - der selbst nur mit Müh und Not ins Basislager zurückkehren kann - hält ihn für tot. Der schier übermenschliche Wille, mit dem sich Simpson in den folgenden Tagen extremsten psychischen und physischen Belastungen entgegen stemmt und sich mit gebrochenem Bein und ohne dringend nötiges Trinkwasser aus der Gletscherspalte hinaus und den Berg hinunterkämpft, ist in der Tat kaum zu glauben - wenn er nicht leibhaftig davon erzählen würde. Simpsons Tatsachenbericht "Touching the Void" - ursprünglich geschrieben, um seinen in Bergsteiger-Kreisen anschließend heftigst attackierten Freund Yates zu verteidigen, der mit dem Kappen des Seils ein heiliges Kletter-Tabu gebrochen hatte - zog schon kurz nach der Veröffentlichung die ersten Interessenten für eine Filmadaption auf sich, zwischenzeitlich war sogar Tom Cruise für die Hauptrolle im Gespräch. Die Schwierigkeiten, dieses Zwei-Mann-Abenteuer in eine filmisch-dramaturgische Form zu bringen, führten letztlich jedoch allerorts zur Kapitulation, bis der Stoff in die Hände von Regisseur Kevin Macdonald fiel. Der fand schließlich einen Ansatz, der aus "Sturz ins Leere" einen der packendsten Kinofilme der letzten Zeit macht - und das ganz ohne dramatische Schönfärbereien. Über die unbestreitbare Faszination der Geschichte hinaus erweist sich "Sturz ins Leere" aber erst dank der fantastischen Bildsprache von Macdonald als wahrer Geniestreich im Doku-Genre: Immer wieder stellt er weitschweifenden Totalen der majestätischen Berggipfel extreme Detailaufnahmen gegenüber, zeigt nur eine Hand, einen Seilhaken oder einen Kletterschuh, der vorsichtig nach Halt im nackten Eis sucht. Prägnant vermittelt er durch diese Gegensätzlichkeit die Dimension von Simpsons Überlebenskampf, reduziert den Bergsteiger zu einem unbedeutenden kleinen Insekt in einer gigantischen, zerklüfteten Welt, die ebenso schön wie lebensfeindlich ist - und evoziert dadurch den fast epischen Kampf des schwachen Menschen gegen die übermächtige Natur, deren Gleichgültigkeit für seine Existenz er nichts entgegen zu setzen hat als den nackten Willen zu überleben. So steigert sich "Sturz ins Leere" durch seine elegante, geschickte Inszenierung zu einer geradezu existentialistischen Parabel über den Triumph des Menschen gegen die lebensfeindliche Natur, zu einer Ode an inspirierenden menschlichen Kampfesgeist: Wir können alles schaffen. Wir müssen nur wollen. |
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