Lange
mussten wir auf diesen Film warten. Seit seiner Welturaufführung
bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes im Jahr 2007,
wo er völlig zu recht den Großen Preis der Jury gewann,
sind mittlerweile zwei Jahre vergangen. Dabei sollte man über
diesen Umstand sogar noch glücklich sein, denn lange Zeit sah
es so aus, als würde dieses Meisterwerk nie auf die deutschen
Leinwände gelangen. Denn genau das ist Carlos Reygadas dritter
Spielfilm - ein Meisterwerk.
"Stellet Licht" beginnt mit einem Sonnenaufgang, der
nahezu in Echtzeit gezeigt wird. So simpel und gewöhnlich dies
klingen mag, es ist in seiner Intensität einer der unvergesslichsten
Momente des aktuellen Kinojahres. Zunächst ist die Leinwand
noch schwarz. Wenn dann langsam die ersten Sternenlichter erscheinen,
können wir noch nicht sagen, ob wir denn nun in den Himmel
gucken, oder nur die Reflektion der Sterne in einem See betrachten.
Erst allmählich verleiht die aufgehende Sonne der Landschaft
ihre Konturen.
Reygadas erschafft so auf unglaubliche Weise die Welt, in dem er
später seine Geschichte spielen lassen wird. Dabei geht er
wie ein Maler vor. Nur wo dieser mit Farben hantiert, nutzt der
mexikanische Regisseur das Licht, um seine Kinobilder zu gestalten.
Bereits
in den ersten Minuten von "Stellet Licht" wird man von
der visionären Kraft dieses Werkes förmlich erschlagen.
Nach dem Sonnenaufgang begibt sich die Kamera in ein kleines Bauernhaus,
wo der Bauer Johan (Cornelio Wall) mit seiner Frau Marianne (Maria
Pankratz) und ihren sechs Kindern wohnt und arbeitet. Sie gehören
alle einer kleinen in Mexiko beheimateten Gemeinschaft der Mennoniten
an.
Die Mennoniten sind eine stark protestantische Glaubensgemeinschaft,
die immer noch einen so gut wie ausgestorbenen, alten plattdeutschen
Dialekt spricht. Es ist wohl das erste Mal in der Filmgeschichte,
dass ein Film fast völlig in dieser Sprache gedreht worden
ist. In dieser Umgebung verliebt sich Johan in Esther. Man würde
jetzt erwarten, dass der Film nun ein Versteckspiel inszeniert,
in dessen Mittelpunkt die Frage steht, ob Johans Frau von dieser
Liebe erfährt oder nicht. Aber Reygadas interessiert sich zum
Glück nicht für solche konventionellen dramaturgischen
Abläufe. In "Stellet Licht" weiß Marianne von
der Liebe ihres Mannes zu Esther. Im Grunde beobachten wir hier
einen Mann, der zwei Frauen liebt und den dieser Zustand völlig
aus dem Gleichgewicht bringt. Ein wenig erinnert diese Konstellation
an Valeska Grisebachs Film "Sehnsucht", wo ein Feuerwehrmann
in Brandenburg an der Liebe zu zwei Frauen zerbricht. Carlos Reygadas
Werk unterscheidet sich zu Grisebachs tollen Film aber durch eine
fast perfekte Art der Inszenierung.
Es fällt zum Beispiel auf, wie sorgfältig Reygadas seine
Figuren immer im Zentrum der Leinwand platziert. So erscheinen die
Mennoniten bei ihrer Arbeit nicht nur sehr naturverbunden, nein,
sie scheinen in der sie umgebenden Natur aufzugehen. Sie bilden
eine Einheit. Unterstrichen wird das von Reygadas bewundernswert
symmetrischer Bildkomposition. Als Johan immer stärkere Gewissensbisse
bekommt und ihm die Situation immer weiter über den Kopf wächst,
spiegelt sich dies auch in den Bildern des Films.
Johan erscheint im weiteren Verlauf immer mehr an den Rand der Einstellungen
gedrückt, als würde er sein bisheriges Gleichgewicht verloren
haben. Immer mehr Schatten fällt auf sein stoisches Gesicht.
Und trotz der Stille in diesem Film sieht man einen Mann, der unglaubliche
Seelenqualen durchleiden muss.
Gesteigert wird dieses Gefühl, wenn man sich vor Augen hält,
dass Reygadas ausschließlich mit Laien gedreht hat (alle samt
Mennoniten). Schön sind deshalb auch jene Momente des Films,
wo einige Darsteller aus ihren Rollen treten. Es gibt in "Stellet
Licht" eine Szene, in der Johans Kinder in einem kleinen Fluss
baden und spielen. Die jüngsten Kinder blicken dabei verdächtig
oft in die Kamera - in einem fiktionalen Film eigentlich ein absolutes
No-Go. Damit bekräftigt dieser exzellent fotografierte Film
seinen semi-dokumentarischen Charakter.
Was "Stellet Licht" neben seiner Inszenierung und der
technischen Umsetzung noch heraushebt, ist die unerklärliche
Mystik, die das ganze Geschehen umgibt. Wie schon in seinem letzten
Film "Battle in Heaven", der unterschwellig mit mittelalterlichen
Prozessionsmythen spielte, bekennt sich Reygadas auch in seinem
neusten Film zum erzählerischen Geheimnis, welches tief in
den Alltag ragen kann.
So
erlebt "Stellet Licht" seinen Höhepunkt im letzten
Drittel, in dem das Schicksal Johans Problem scheinbar gelöst
hat. Es kommt zu einem Unglück, welches für Johan aber
im Endeffekt nicht eine Strafe darstellt - obwohl es zunächst
so aussieht - sondern eine Erlösung. In schlicht und einfach
betörenden Bildern verbeugt sich Reygadas dabei vor niemand
geringerem als dem dänischen Kinomeister Carl Theodor Dreyer.
Dreyer hat mit seinen Filmen (z.B. "The Passion of Joan of
Arc" oder "Vampyr - Der Traum des Allan Grey") nicht
nur den Stummfilm revolutioniert, sondern auch im Tonfilm große
Erfolge gefeiert. "Stellet Licht" verweist insbesondere
auf Dreyers Film "Ordet" aus dem Jahr 1955. Wenn man beide
Filme gesehen hat, erkennt man, dass Reygadas einige Szenen fast
eins zu eins übernommen hat.
Am Ende entlässt uns der Regisseur konsequenterweise mit einem
Sonnenuntergang in Echtzeit zurück in unsere Welt. Sicherlich
ist "Stellet Licht" kein Film der Millionen von Menschen
ins Kino locken wird. Aber das muss er auch nicht. Man kann ohne
zu übertreiben sagen, dass er auf formaler Ebene eine neue
Dimension erklommen hat und mit vielen unvergesslichen, vor Schönheit
nur so strotzenden Momenten ausgestattet ist. Dieser Film tut richtig
gut. Dieser Film weckt wieder die Hoffnung auf eine andere Art von
Kino. Es fällt schwer zu glauben, dass es in diesem Jahr noch
zu einer intensiveren Kinobegegnung kommen wird. "Stellet Licht"
ist pure Leinwandmagie. Punkt.
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