Es sind nur wenige
Sekunden, die das Leben zweier Männer, wie sie unterschiedlicher
nicht sein könnten, für immer verändern, durch eine
Reihe von Ereignissen, die gleichzeitig für beide den schlimmsten
Tag bedeuten, den diese je erlebt haben. Die Männer sind Gavin
Banek (Ben Affleck), ein ehrgeiziger, aufstrebender Anwalt, und
Doyle Gibson (Samuel L. Jackson), ein Ex-Alkoholiker, der um das Sorgerecht
seiner Söhne kämpft. Beide Männer müssen vor Gericht
erscheinen, beide sind zu spät dran, und als eine Unachtsamkeit
beim titelgebenden Spurwechsel zum Unfall führt, beginnt eine
Reihe von (Fehl-)Entscheidungen, von Reaktion und Gegenreaktion, die
das Handlungsgefüge dieses Films darstellen. Gibson, der sein
Leben in den Griff kriegen will, möchte alles richtig machen,
Versicherungsinformationen austauschen. Aber Banek, der arrogante
Anwalt, der hier noch glaubt, mit Geld alles regeln zu können,
schreibt ihm lediglich einen Blankoscheck aus und braust mit den Worten
"Mehr Glück beim nächsten Mal" davon, den perplexen
Gibson ohne Verkehrsmittel und im strömenden Regen zurücklassend.
Gibson kommt zu spät zu seiner Verhandlung und verliert in seiner Abwesenheit das Sorgerecht für seine Söhne. Doch auch Banek zahlt einen Preis für seine Entscheidung. Das von ihm vor Gericht vorzulegende Dokument blieb am Unfallort liegen - und wurde von Gibson gefunden. Banek wird von der Richterin ein Ultimatum gesetzt. Noch am selben Abend muss das Dokument vorliegen, ansonsten verliert Banek den Fall und damit auch das Wohlwollen von Boss und Schwiegervater Delano (Sidney Pollack). Panisch macht sich Banek auf die Suche nach dem Mann, dessen Namen er nicht mal kennt. Zufällig begegnet er Gibson, was dann zu einem höchst lächerlichen Entschuldigungsversuch Baneks führt und der Weigerung Gibsons, ihm das Dokument auszuhändigen. Wütend und verzweifelt versucht Banek Gibson in die Übergabe der Akte zu erpressen, dieser kontert die Aggressionen und bald befinden sich beide Männer in einem gnadenlosen Spiralfall in die Selbstzerstörung. Traue keinem Trailer! Will einem das Werbefilmchen diesen Streifen doch glatt als platten Actionreißer verkaufen. "Falling down" this isn't. Anstatt sich wie damals Joel Schumacher von einer ähnlichen Ausgangssituation in platteste Gefilde zu manövrieren, haben Regisseur Roger Michell und Drehbuchautoren Chap Taylor und Michael Tolkin anderes im Sinn. Um Moralität geht es hier, um die Entscheidungen, die wir tagtäglich treffen, und jene, die wir unter Druck fällen. Es geht auch noch um viel mehr. Darum, wie jede Aktion eine Reaktion fordert und wie sinnlos in den meisten Fällen Gewaltmechanismen ausgelöst werden, die sich verselbstständigen. Und letztendlich darum, in was für einer abgefuckten, moralisch bankrotten Welt wir alle leben. Dass man eine Abhandlung wie diese aus einer derart gezwungenen Ausgangskonstruktion wie hier überhaupt herausdestillieren kann, hat viel damit zu tun, dass hier alle Beteiligten höchst effektiv und - jawoll! - großartig zusammenarbeiten, und dass man als Zuschauer kleinere bis mittlere Logiklöcher in Kauf nehmen muss. Dass zum Beispiel der finanzschwache Gibson den Blankoscheck ablehnt oder die beiden sich ‚zufällig' wiedertreffen kann man akzeptieren - oder eben nicht. Wer akzeptiert, wird mit einem Film belohnt, der sich so unerwartet wie auf ungewöhnliche Weise über die Konkurrenz erhebt, welche zumeist lediglich hohlen Formeln folgt. Sicher, wir wissen, dass das Duell der beiden Hitzköpfe in ein "Ich setze noch eins drauf"-Verfahren führt, aber in welche Nebenstraßen und Sackgassen der Film dann manövriert, können wir nicht erahnen. Weitaus schwächere Filme mit ähnlicher Ausgangssituation enden im finalen und brutalen Duell mit Waffengewalt und Null Ideengehalt. Wenn sich Gibson und Banek am Ende endlich gegenüberstehen wird nicht geprügelt oder geschossen, ja nicht einmal geschrieen. Die einzigen Waffen, die dieser Film benutzt, sind Dialoge. Von
denen gibt es hier so viele gelungene, dass man gar nicht weiß,
was man da zuerst loben soll. Samuel Jacksons Alternativvorschlag
für einen Tiger Woods-Werbespot ist derart messerscharf auf
den Punkt gebracht, Ben Afflecks Rede im Treffen mit dem vermeintlichen
Feind derart prägnant, Sidney Pollacks giftiges Abstrafen seines
Schwiegersohns derart kompromisslos, dass man den Drehbuchautoren
Taylor und Tolkin - Neuling und Veteran - voll Anerkennung auf die
Schulter klopfen muss. Auch für ihren gelungenen Versuch einer
Charakterstudie. Denn dass der Film überhaupt funktioniert,
liegt daran, dass die beiden Protagonisten so gut geschrieben sind:
Keiner von beiden ist ein Hollywoodbösewicht, keiner eine cartoonhafte
Übertreibung, keiner nur eine Ansammlung von Klischees. Dabei
wäre dies so einfach gewesen, den bösen jungen Yuppieanwalt
den armen Schwarzen das Leben zur Hölle machen zu lassen. In
einem anderen Film. Diese Autoren haben aber wirklich etwas zu sagen
und tun das mit Klarheit und Präzision. Dass
Samuel L. Jackson ein hervorragender Schauspieler ist, ist kein
Geheimnis. Da er für den Großteil seiner Karriere aber
den bad ass gegeben hat, kommt sein Spiel hier doch ein wenig als
Überraschung daher. Zwar kann sein Doyle Gibson die unterschwellige
Wut nur mühsam unterdrücken, aber Jacksons Spiel hat kaum
mehr etwas von der grellen Präsenz früherer Auftritte.
Sein nuanciertes Auftreten ist nahezu understated, dabei jedoch
so präzise wie selten zuvor. Subtilität wird bei den Darstellern
ganz groß geschrieben. Was dann sogar einen Ben Affleck gut
aussehen lassen kann. Bei soviel Lob muss dann noch eine kleine Einschränkung erlaubt sein, die auch gleichzeitig ein wenig Enttäuschung aufkommen lässt. Denn dass ein Film wie dieser, der für nahezu die gesamte Laufzeit kompromisslos und unbarmherzig ist, sich in den letzten fünf Minuten in ein erzwungenes und schlichtweg falsches Kuschelende fügt, fühlt sich ein wenig wie Schummeln an; wie das heuchlerische Bemühen, den Zuschauer mit der Idee zu hinterlassen, dass die Welt ein so schlimmer Platz gar nicht ist, wenn wir nur alle etwas besser handeln. Zu dumm nur, dass dieses konstruierte und moralinsaure Ende damit die kraftvollsten, widerhallenden Momente des Films ein wenig negiert. Aber lassen wir hier Milde walten und nicht nur den geschundenen Protagonisten ein wenig Hoffnung gönnen. Denn "Spurwechsel" befindet sich für so lange und so gelungen auf dem richtigen Weg, dass nicht mal diese leichte Irritation wirklichen Schaden hinterlässt. Mit Sicherheit der beste und herausforderndste Mainstream-Film des Jahres. |
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