
Natürlich geht es weiter. Und damit die vom großen „Endgame“ erschlagenen Fans auch gar nicht erst auf die Idee kommen, es würde jetzt erst mal eine Pause und Phase der Entspannung eintreten im Marvel Cinematic Universe hat es sogar nur ein paar Wochen gedauert, bis die Leinwände wieder mit einem neuen Kapitel der erfolgreichsten Kinoreihe überhaupt bestückt werden. Und zwar mit dem zweiten Solo-Abenteuer von Tom Holland als Peter Parker, der als neuer, diesmal wirklich sehr jugendlicher Spider-Man bisher sehr gut angekommen ist und dessen Entwicklung zum verantwortungsvollen Helden nun weiter voranschreitet. Wobei es natürlich nicht nur um den Netzschwinger geht, sondern auch um die Auswirkungen, die der epische Kampf gegen Thanos auf Menschen und Superhelden hatte. Doch obwohl auch dieser Film wieder seinen ganz eigenen Ton findet, beinhaltet er doch auch ein paar Schwächen und wirkt in einigen Ansätzen etwas zu bemüht.
Wie viele andere ist auch Peter Parker nach einer fünfjährigen Auslöschung zurück in seinem Leben angekommen und hat auch sofort wieder mit den typischen Problemen eines Teenagers zu kämpfen. Er weiß nicht so recht, wie er sich seinem Schwarm Mary Jane (Zendaya) annähern soll und muss sich dabei auch mit neuen Rivalen auseinandersetzen. Eine anstehende Klassenreise nach Europa möchte er daher nutzen, in Sachen Beziehungspflege zu seinen Kameraden etwas voranzukommen, doch dem steht seine zweite Identität als Spider-Man im Wege. Kein Geringerer als Nick Fury (Samuel L. Jackson) versucht ihn für neue Rettungsmissionen zu rekrutieren, bedrohen doch aggressive Inkarnationen der Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft die Welt. Zwar stellt sich denen mit dem anscheinend aus einer Paralleldimension angereisten Mysterio (Jake Gyllenhaal) bereits ein mächtiger Held in den Weg, doch auch Peters Hilfe wird benötigt, weshalb Fury und dessen Shield-Truppe kurzerhand ein wenig Einfluss auf die Route seiner Klassenreise nehmen. Für Peter scheint das Dilemma, sich ständig in Gefahrensituationen unauffällig von seinen Freunden lösen zu müssen, aber kaum lösbar, denn auch in Sachen Mary Jane gerät er dadurch eindeutig in Nachteil.
Es blieb schon noch Einiges an Fragen offen, nachdem die von Thanos mit einem Fingerschnippen ausgelöschte halbe Menschheit in „Endgame“ dank eines Einfalls von Bruce „Hulk“ Banner schließlich nach fünf Jahren zurückkehrte und zwar – wie wir nun erfahren – jeder ohne gealtert zu sein und an genau dem Ort, an dem er sich befand bevor das nun als kurzzeitiges „Blip“-Phänomen bezeichnete Ereignis einsetzte. Wenn das, wie hier zu sehen, auf einem Basketballfeld geschah, gab es da auch genügend Platz und nur harmlose Kollisionen, wie das aber bei Menschen funktioniert haben soll, die sich z.B. in einem überfüllten Bus oder einem über der Erde fliegenden Flugzeug befunden haben wird nicht beantwortet.
Während man sich dafür aber sicher noch irgendeine pseudo-wissenschaftliche Erklärung zurecht legen kann, ist es vor allem der emotionale Anteil dieser Erfahrung, der erstaunlich locker beiseite gewischt und zu den Akten gelegt wird. Was ist mit all den für tot erklärten Menschen, die nun in bereits neu vermietete Wohnungen oder in ihren alten Job zurückkehren möchten? Und obwohl für viele seiner Freunde fünf Jahre vergangen und diese nun entsprechend älter geworden sind, scheint sich am Beziehungsgeflecht untereinander kaum etwas geändert zu haben. Da macht man ganz normal weiter als sei nichts gewesen und das komplexe Thema wird lediglich für ein paar Witze genutzt, wenn jemand der Aufsichtsperson zuruft „Hey, er ist technisch gesehen erst sechzehn und nicht einundzwanzig, nehmen Sie ihm bitte die Zigarette weg“.
Da stiehlt man sich beim sonst so clever konstruierten Überbau des Marvel-Universums also ziemlich billig davon und versucht mit jeder Menge Wirbel und Tempo schnell auf die Action um Spider-Man umzuschalten. Was auch gelingt, denn obwohl früh erkennbar ist, dass es sich bei den umherwütenden Elementen wohl nicht um die Hauptgefahr handeln wird, lassen sich mit denen hübsche Effekte und Kämpfe umsetzen, was vor allem in der längeren Venedig-Sequenz ausführlich genutzt wird. Es handelt sich hier um eine echte Europa-Rundreise, die unter anderem auch in Berlin und Prag Station macht, und wie Nick Fury hier immer wieder manipulierend eingreift und sich über die Respektlosigkeiten eines Teenagers ärgern muss („Er ruft Sie zurück, wenn er Zeit hat“), sorgt mit für die amüsantesten Momente des Films. Der im Kern tatsächlich als romantisch-alberne Highschool-Komödie daherkommt und damit seinen eigenen Platz zwischen den Weltraum-Abenteuern, Magie- und Monsterbeiträgen des Marvel-Universums findet, dieses Rad allerdings auch hin und wieder etwas überdreht. So sind vor allem die mitreisenden Lehrer als reine, überforderte Witzfiguren angelegt und gehen schon gehörig auf die Nerven. Insgesamt wirken die zahlreichen Gags und Sprüche diesmal doch ein bisschen bemüht und kommen nicht ganz mit der Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit daher, die man von den Marvel-Filmen sonst gewohnt ist. Was nicht heißen soll, dass „Far from Home“ nicht lustig ist, keinesfalls – man legt es hier aber eben schon sehr spürbar darauf an.
Peter Parkers Nöte bleiben dagegen stets nachvollziehbar und Tom Holland präsentiert sich in dieser Rolle einfach als sehr großer Sympathieträger. Wenn ihm dabei Jake Gyllenhaal als erfahrener und väterlicher Mentor beiseite steht und sogar ein wenig als Ersatz für den gestorbenen Tony Stark dient, dann ahnt aber nicht nur der belesene Kenner der Comicvorlage, dass hier etwas nicht ganz stimmen kann, und wie leicht und geradezu einfältig sich vor allem Nick Fury & Co. in Sachen Herkunft des Mysterio an der Nase rumführen lassen, lässt auch an deren Qualifikation als super-smarte Spezialeinheit zweifeln. Auch das Hilfsmittel „Der Superschurke erklärt nochmal genau seinen Plan und sein bisheriges Vorgehen vor den eigenen Gehilfen“ (in Wahrheit aber natürlich nur für die Zuschauer) ist ein eher billiges, das man so bisher von den Marvel-Autoren nicht kannte.
Es ist zu erwarten, dass das die Mehrheit der Zuschauer nicht weiter stören wird, und nach der Pressevorführung gab es für „Far from Home“ auch durchgehend Lob, nicht wenige reihten den Film spontan unter den stärksten der nun bereits 23 Beiträge umfassenden Reihe ein. Wenn man etwas genauer hinschaut, sind die Nachlässigkeiten beim Drehbuch hier aber nicht zu übersehen und der etwas plumpe Humor auch nicht, daher reicht es bei uns für diesen ansonsten wirklich sehr liebenswerten Spider-Man trotzdem nur für einen Platz im hinteren Mittelfeld.
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