Wer hätte gedacht, dass ein Bildschirmschoner einmal als dramaturgisches Mittel für Spannung sorgen könnte. Regisseur-Newcomer Aneesh Chaganty gelingt aber genau das in seinem neuen Thriller "Searching", dessen Handlung wir ausschließlich auf dem Laptop und dem Smartphone der Hauptfigur erleben. Auf die Idee kamen zwar schon andere Filmemacher, aber mit "Searching" ist dieser Einfall endlich einmal mehr als nur ein halbgarer Gimmick. Vor allem durch den Einsatz von sozialen Medien wird dabei geschickt ein sehr enges Band zwischen Zuschauer und Figuren geknüpft. Auch wenn die Geschichte selbst eher unspektakulär daher kommt, gelingt Chaganty durch das starke emotionale Grundgerüst und eine temporeiche Inszenierung ein richtig kurzweiliger und durchaus packender "Desktop-Thriller".
Hauptsächlich nutzt David Kim (John Cho, "Star Trek", "Harold & Kumar") Laptop und Smartphone für die Arbeit oder um seine einzige Tochter Margot (Michelle La) mal wieder an ihre Haushaltspflichten zu erinnern. Nach dem Tod seiner Frau Pamela (Sara Sohn) ist David alleine für Margot verantwortlich, wird von seiner eher ruhigeren Teenager-Tochter aber nicht wirklich vor große Herausforderungen gestellt. Als Margot eines Tages abrupt verschwindet, loggt sich der verzweifelte David zu Recherchezwecken auf ihren Rechner und in ihre sozialen Netzwerke ein und muss dabei mit Schrecken feststellen, dass seine Tochter ihm wohl so einiges verheimlicht hat. Mit der Unterstützung der Polizistin Vick (Debra Messing) beginnt nun ein Wettlauf mit der Zeit, bei dem David seine Tochter von einer ganz neuen Seite kennenlernt.
Wirklich neu ist die Idee einer "Desktop-Inszenierung" dagegen nicht. "Wanted"-Regisseur Timur Bekmambetov war als Produzent schon für den Desktop-Horrorfilm "Unknown User" verantwortlich, dessen Fortsetzung diesen Dezember in unsere Kinos kommt. Dazu hat er auch gleich noch eine Software namens Screenlife ins Leben gerufen, mit der er diese seiner Aussage nach "neue Filmsprache" populär machen möchte. Laut Interviews ist es das enorme emotionale Potential dieses Ansatzes, welches Bekmambetov so fasziniert. Wir vermuten einmal, dass der deutlich geringere Produktionsaufwand diese Idee wohl mindestens genauso verführerisch macht.
Bisher waren die Filme in diesem "Subgenre" dann leider auch meist eher uninspirierte Werke, aber mit "Searching" zeigen Bekmambetov und sein Team nun durchaus eindrucksvoll, dass dieser Ansatz in Punkto Emotionalität tatsächlich enormes Potential besitzt. Die größte Stärke von "Searching" ist nämlich seine Nähe zu den Figuren. Das beginnt schon mit der Anfangssequenz, in der wir auf dem Desktop die Hintergrundgeschichte von Margot und David mit der Hilfe von alten Fotos, E-Mailverkehr und Youtube-Videos geschildert bekommen. Hier passt einfach alles, von der genauso eleganten wie schwungvollen Inszenierung bis hin zum gefühlvollen Charakteraufbau.
Entscheidend ist dabei, dass wir mit Hilfe diese sehr intimen Aufnahmen und Korrespondenzen einen unglaublich persönlichen Blick in das Innenleben der Figuren erhalten. So dauert es nicht lange bis das Band zwischen Figuren und Zuschauer etabliert ist, und spätestens wenn wir dann Pamelas tragischen Tod aus der Sicht von David und Margot erleben, haben uns die Macher endgültig auf deren Seite gezogen. "Searching" macht einen verdammt guten Job die Verbundenheit zwischen Tochter und Vater zu etablieren, welche ja dann eine tragende emotionale Rolle für den weiteren Verlauf spielen wird.
Es sind dabei oft die kleinen Details, die uns wirklich nahe an die Figuren rücken lassen. Wenn David zum Beispiel angesäuert eine wütende E-Mail tippt, nur um diese dann doch wieder vor dem Abschicken zu löschen. Oder wenn Margot die Antwort auf eine sehr persönliche Frage nur nach einer langen Denkpause abschickt. Wer kennt diese Situationen nicht aus der eigenen Erfahrung. Und so wird man vom Film ganz elegant in den Kopf der Hauptfiguren verfrachtet.
Ein großes Lob geht dabei auch an die beiden Hauptdarsteller. Michelle La findet genau die richtige Mischung um Margot zwar als spürbar introvertiertes Teenager-Girl zu etablieren, das aber trotzdem genug Charme zeigt um im Zuschauer die nötigen Sympathien für sich zu wecken. John Cho wiederum muss im Gegensatz zu seinen Rollen in "Harold & Kumar" und "Star Trek" hier mit einer deutlich anspruchsvolleren emotionalen Bandbreite hantieren und erledigt diese Aufgabe ebenfalls mit Bravour.
Der wohl faszinierendste Teil des Films ist Davids Reise in Margots Privatleben und ihre sozialen Medienkanäle. Wie David Stück für Stück hier neue und teilweise bedrückende Seiten an seiner Tochter kennenlernt, ist schon sehr überzeugendes und emotionales Charakterkino. Geschickt nutzt der Film die Einblicke in die Auftritte von Margot in den sozialen Medien dazu, der Figur eine unglaubliche Vielschichtigkeit und Tiefe zu verpassen, die man mit anderen Mitteln wohl nur sehr schwer so persönlich hinbekommen hätte. Dazu gesellt sich der ein oder andere clevere Seitenhieb auf die oberflächlichen und auch unschönen Aspekte der Kommunikation in den sozialen Netzwerken. Zusammen mit David begibt man sich so auf eine emotionale Reise, bei der jeder Tiefschlag einen nur noch näher an die Hauptfigur schweißt.
Mit zunehmender Dauer beginnt der Film dann aber ein klein wenig zu wanken. Auch wenn immer noch ein paar schöne Charaktermomente zu entdecken sind, fokussiert "Searching" sich dann doch immer mehr auf das Thriller-Potential seiner Handlung. Das ist aber leider nicht gerade eine Stärke des Films, denn das Mysterium rund um das Verschwinden von Margot ist dann doch eher aus der Kategorie einfacher TV-Krimi. Gegen Ende merkt man dann auch, dass der Ansatz, alles auf einem Desktop zu zeigen, natürlich für ein großes Finale doch deutlich die dramaturgischen Möglichkeiten beschränkt. Auch wenn die kreativen Lösungen, die der Film dafür findet (z.B. Live TV-Footage und eine Live-Übertragung einer Beerdigung) jetzt nicht unrealistisch sind, kommen sie doch ein klein wenig zu konstruiert daher.
Glücklicherweise geht Regisseur Chaganty aber in Punkto Inszenierung nie so richtig vom Gas und so braust der Film dann doch eigentlich relativ unbeschadet über diese Stolpersteine. Letztendlich ist es dann vor allem die wundervolle Charakterarbeit im Vorfeld, die einen diese Schwächen wieder schnell vergessen lässt. Sicher, "Searching" tendiert auf unserer schönen Filmszene-Wertungsskala sicher eher in die Richtung von 7 als 9 Augen. Aber es liefert trotzdem etwas, was nun wirklich nicht viele Filme hinbekommen: ein Ende mit einem emotionalen Gewicht. Man fiebert am Ende nämlich einfach richtig mit David mit, der in seiner verzweifelten Suche nach Margot einem richtig ans Herz gewachsen ist. Das durchaus packend inszenierte Finale schickt einen dann auch noch mit einem kleinen Adrenalin-Kick aus dem Kino. Stellt sich dann natürlich nur die Frage, ob man daheim angekommen den eigenen Rechner nicht vielleicht doch lieber erst mal auslassen möchte...
Land
Jahr
2018
Laufzeit
102 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
Bilder: Copyright
Sony Pictures Germany
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